TE Vwgh Erkenntnis 1993/10/13 90/14/0021

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Veröffentlicht am 13.10.1993
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Index

61/01 Familienlastenausgleich;

Norm

FamLAG 1967 §8 Abs4;
FamLAG 1967 §8 Abs5;
FamLAG 1967 §8 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hnatek und Dr. Pokorny als Richter im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 6. Dezember 1989, Zl. B 160-4/89, betreffend Gewährung einer erhöhten Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz vom 20. Dezember 1988 (beim Finanzamt eingelangt am 10. Februar 1989) die erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 FLAG für seine Tochter, weil diese erheblich behindert sei. Dem Antrag war ein ärztliches Zeugnis, ausgestellt am 30. Dezember 1988 vom Landeskrankenhaus G, Lungenabteilung, angeschlossen, in welchem als Leiden Asthma bronchiale und Neurodermitis bescheinigt wurden. "Eine leichte Beeinträchtigung der körperlichen Leistung" sei gegeben.

Das Finanzamt wies den Antrag ab, weil keine dauernde und wesentliche Beeinträchtigung der Tochter des Beschwerdeführers in ihrer Berufsausbildung (Schulbesuch) gegeben sei.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung und legte ein Zeugnis des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft D (Dr. O) vom 17. Februar 1989 vor, in dem bescheinigt wurde, daß die Tochter des Beschwerdeführers "in der Berufsausbildung voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt" sei.

Als Leiden waren festgestellt:

"Asthmoide Bronchitis, Dauermedikation, häufige Anfälle, häufige Spitalsfahrten, starke Hausstaub-Allergie mit zahlreichen notwendigen Maßnahmen, Akupunktur-Behandlung, Neurodermitis".

Mit Rücksicht auf diese beiden einander widersprechenden Zeugnisse ersuchte das Finanzamt die Schulärztin Dr. F um Mitteilung, worin die dauernde und wesentliche Beeinträchtigung der Tochter des Beschwerdeführers bestehe.

Dr. F teilte darauf hin mit (Schreiben vom 13. April 1989), daß eine "wesentliche Beeinträchtigung im Hinblick auf die Berufsausbildung (Besuch der 3-jährigen Fachschule für wirtschaftliche Frauenberufe) ... nicht gegeben" erscheine. Allerdings bestehe dauernd eine mäßige Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit.

In der Folge teilte Dr. O dem Finanzamt mit (Schreiben vom 13. April 1989), daß die Tochter des Beschwerdeführers in der Berufsausbildung zwar dauernd, aber nicht wesentlich beeinträchtigt sei. Das Schreiben enthielt überdies folgenden Hinweis: "Das Gutachten vom 17. Februar 1989 ist damit hinfällig".

Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung legte der Beschwerdeführer ein weiteres ärztliches Zeugnis vom 28. April 1989 vor, ausgestellt ebenfalls vom Landeskrankenhaus G, diesmal allerdings vom Ambulatorium für Dermatologie und Venerologie. Als festgestelltes Leiden wurde "Neurodermitis constit." angeführt. Weiters wurde bescheinigt, daß die Tochter des Beschwerdeführers im schulpflichtigen Alter in der Schulausbildung bzw. in der Berufsausbildung voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt sei.

Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid ab, wobei sie sich auf die drei übereinstimmenden ärztlichen Zeugnisse (Landeskrankenhaus G vom 30. Dezember 1988, Amtsarzt Dr. O vom 13. April 1989 und Schulärztin Dr. F ebenfalls vom 13. April 1989) stützte, in denen eine erhebliche Behinderung der Tochter des Beschwerdeführers verneint worden war. Das zuletzt vom Beschwerdeführer vorgelegte ärztliche Zeugnis vom 28. April 1989 blieb im angefochtenen Bescheid unerwähnt.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 8 Abs. 4 FLAG sieht für erheblich behinderte Kinder eine erhöhte Familienbeihilfe vor. Als erheblich behindert gelten gemäß Abs. 5 lit. c der zitierten Bestimmung Kinder, deren Berufsausbildung infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt ist. Die erhebliche Behinderung ist durch ein Zeugnis eines inländischen Amtsarztes nachzuweisen, wobei einem amtsärztlichen Zeugnis eine entsprechende Bestätigung einer inländischen Universitätsklinik oder einer inländischen Krankenanstalt sowie eine entsprechende Bestätigung des Schularztes gleichzusetzen ist (Abs. 6 der zitierten Bestimmung).

Ein solches amtsärztliches Zeugnis bzw. eine derartige Bestätigung stellen Beweismittel dar, die im Sinn des § 167 Abs. 2 BAO der freien Beweiswürdigung durch die Beihilfenbehörde unterliegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1990, 89/13/0094). Voraussetzung dafür, daß ein amtsärztliches Zeugnis oder eine ihr gleichzuhaltende Bestätigung einer Krankenanstalt bzw. eines Schularztes geeignet sind, das Vorliegen einer erheblichen Behinderung eines Kindes im Sinne des § 8 Abs. 5 lit. c FLAG als erwiesen anzunehmen oder zu verneinen, ist nicht nur die Feststellung des Leidens an sich (ärztlicher Befund). Vielmehr müssen die konkreten Auswirkungen des festgestellten Leidens auf die Berufsausbildung dargelegt und schlüssig begründet sein. Solche Auswirkungen können z. B. in einer verminderten Bewegungsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit (insbesondere Hören und Sehen), Denkfähigkeit (Gehirnleistung), Konzentrationsfähigkeit oder allgemein in einer verminderten Belastbarkeit bei Erbringung von Leistungen verschiedenster Art erblickt werden. Auch auf Dauer erforderliche besonders zeitaufwendige Therapien können zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Berufsausbildung führen. Feststellungen dieser Art hat die belangte Behörde weder in positiver noch in negativer Richtung getroffen. Sie hat sich vielmehr damit begnügt, auf "übereinstimmende ärztliche Zeugnisse" zu verweisen, die ihrerseits die erforderlichen und in freier Beweiswürdigung zu gewinnenden Feststellungen nicht ermöglichten, weil sie keinen Aufschluß über die konkreten Auswirkungen des Leidens der Tochter des Beschwerdeführers auf ihre Berufsausbildung gaben. Die bloße Feststellung, eine dauernde und wesentliche Beeinträchtigung der Berufsausbildung liege vor oder liege nicht vor, ohne daß die Gründe hiefür aufgezeigt werden, läßt sich auf ihrer Richtigkeit hin nicht überprüfen, weil die Denkvorgänge, die zu dieser Feststellung führen, verborgen bleiben. Der von der belangten Behörde als erwiesen angenommene und ihrer Entscheidung zugrundegelegte Sachverhalt wurde somit nicht in einem ordnungsmäßigen Ermittlungsverfahren festgestellt, sondern ungeprüft aus Zeugnissen und Bestätigungen übernommen, deren Inhalt die erforderlichen Feststellungen nicht ermöglichte. Aus diesem Grund ist die von der belangten Behörde dennoch getroffene Tatsachenfeststellung auch der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof entzogen. Der angefochtene Bescheid erweist sich somit als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Stempelgebühren waren nur in dem Ausmaß zu ersetzen, in dem sie durch Schriftsätze und Beilagen verursacht

wurden, zu deren Vorlage der Beschwerdeführer verhalten ist bzw. die der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1990140021.X00

Im RIS seit

01.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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