TE Vwgh Erkenntnis 1993/10/14 93/17/0202

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Veröffentlicht am 14.10.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
VStG §24;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Gruber und Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Raunig, über die Beschwerde des H in J, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 22. Februar 1993, Zl. VwSen-101014/11/Sch/Rd, betreffend Verwaltungsübertretung nach der Linzer Parkgebührenverordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat an den Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 6. November 1992 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 24. April 1992 um 12.30 Uhr in Linz, Pfarrplatz 14, sein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes mehrspuriges Kraftfahrzeug in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone ohne gültigen Parkschein abgestellt und sei damit der Verpflichtung zur Entrichtung der Parkgebühr nicht nachgekommen. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 2 der Linzer Parkgebührenverordnung in der geltenden Fassung, Amtsblatt der Landeshauptstadt Linz Nr. 11/89, begangen und es werde gemäß § 6 Abs. 1 lit. a Parkgebührengesetz, LGBl. für Oberösterreich Nr. 28/1988, eine Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe ein Tag) verhängt.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, daß er zur Tatzeit keine Lenkerberechtigung gehabt habe. Er habe den in Rede stehenden PKW nicht gelenkt und daher auch nicht in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt. Vielmehr habe ihn seine Freundin R. Sp. zum Arzt gefahren.

Nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wies der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (in der Folge: UVS) mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid die Berufung als unbegründet ab und bestätigte das Straferkenntnis. Die belangte Behörde stellte fest, daß die Zulassungsbesitzerin des Kraftfahrzeuges zur Tatzeit Frau Sch. gewesen sei. An diese sei eine Anonymverfügung gerichtet worden. In der Folge sei schriftlich bekannt gegeben worden, daß das Kraftfahrzeug am 24. April 1992 dem Beschwerdeführer geborgt worden sei. Dieses Schreiben sei lt. übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers und der Zeugin Frau Sch. vom Beschwerdeführer aufgesetzt und von der Zeugin als Zulassungsbesitzerin unterschrieben worden. Aufgrund dieser Angaben habe die Behörde an den Beschwerdeführer zunächst eine Strafverfügung erlassen, welche beeinsprucht worden sei. In der Folge sei vom Beschwerdeführer ein Fristerstreckungsantrag gestellt worden, eine weitere Stellungnahme im erstbehördlichen Verfahren sei jedoch nicht erfolgt. Erstmals in der Berufung vom 19. November 1992 sei vom Beschwerdeführer behauptet worden, nicht er, sondern eine andere Person, nämlich R. Sp., habe das Fahrzeug zur Tatzeit am Tatort gelenkt. Unter Anwendung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung sei nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, daß Angaben, die unmittelbar nach einer Tat gemacht würden, in der Regel einen größeren Wahrheitsgehalt aufwiesen, als solche, die erst nach Monaten, allenfalls erst im Berufungsverfahren, getätigt würden. Gehe man nun davon aus, daß, wie im Verfahren zu Tage getreten sei, die Zeugin Frau Sch. lediglich als Zulassungsbesitzerin "fungiert" habe, über das Fahrzeug aber tatsächlich der Beschwerdeführer verfügt habe, so sei es aus diesem Blickwinkel heraus nicht unschlüssig, wenn vermutet werden könne, daß dieser das Fahrzeug auch zur Tatzeit gelenkt habe. Dazu komme im konkreten Fall, daß der Beschwerdeführer in dem von ihm verfaßten Schreiben vom 1. Juli 1992 ausdrücklich ausgeführt habe, ihm selbst sei das Fahrzeug von der Zulassungsbesitzerin geborgt worden. Der Beschwerdeführer könne nicht angeben, warum er eine solche Behauptung aufgestellt habe, wenn sie nicht den Tatsachen entspreche. Darüber hinaus erscheine es auch nicht schlüssig, wenn ein, lediglich "auf dem Papier fungierender" Zulassungsbesitzer ein Fahrzeug an die Person "verborgt", die ohnedies darüber verfügungsberechtigt sei. Des weiteren spreche gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers der Umstand, daß der Einspruch gegen die Strafverfügung vom 18. August 1992 noch immer keinen Hinweis auf R. Sp. als angebliche Lenkerin enhalten habe; das gleiche gelte auch für den Fristerstreckungsantrag. Erst in der Berufung vom 19. November 1992, also etwa sieben Monate nach der Tat, habe der Beschwerdeführer erstmals behauptet, daß R. Sp. Lenkerin des Fahrzeuges zur Tatzeit gewesen sei. Der UVS nehme nicht an, der Beschwerdeführer habe mit der Bekanntgabe der angeblichen Lenkerin deshalb solange zugewartet, da er den Ablauf der Frist gemäß § 31 Abs. 2 VStG, welche bei Verwaltungsübertretungen grundsätzlich sechs Monate betrage, abwarten habe wollen. Ein solches Zuwarten wäre im konkreten Fall nämlich ohne Sinn gewesen, da die Verfolgungsverjährungsfrist bei Verwaltungsübertretungen wegen Verkürzung oder Hinterziehung von Landes- oder Gemeindeabgaben (wie Parkgebühren) ohnedies ein Jahr betrage und daher, sollte tatsächlich von der vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugin als Lenkerin auszugehen gewesen sein, gegen diese noch rechtzeitig ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet hätte werden können. Auch wenn man eine solche Annahme nicht zu treffen habe, müsse dem Beschwerdeführer seine Zurückhaltung im Hinblick auf die Angabe der erst in der Berufung genannten angeblichen Lenkerin zu seinen Lasten gewertet werden, da ein solcher Umstand seine Glaubwürdigkeit wesentlich beeinträchtige. Dazu komme noch, daß er im Rahmen der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung keine Gründe dafür angeben habe können, warum er nicht bereits im erstbehördlichen Verfahren auf diese Person hingewiesen habe. Zur Aussage der Zeugin R. Sp., die anläßlich der Berufungsverhandlung angegeben habe, sie habe das Fahrzeug in der gebührenpflichtigen Kurzparkzone in Linz abgestellt, sei auszuführen, daß diese an der Beurteilung des Sachverhaltes nichts zu ändern vermöge. Es möge letztlich dahingestellt bleiben, ob die Zeugin, die mit dem Beschwerdeführer befreundet sei, bewußt eine falsche Zeugenaussage in Kauf genommen habe, oder ob sie aufgrund des seit der Tat verstrichenen langen Zeitraumes zu der unzutreffenden Ansicht gelangt sei, sie sei Lenkerin des Fahrzeuges zur Tatzeit gewesen. Für diese Annahme spreche insbesondere der Umstand, daß die Zeugin den Beschwerdeführer des öfteren zu Arztbesuchen mit dem verfahrensgegegenständlichen Kaftfahrzeug chauffiert habe, da dieser nicht im Besitze einer Lenkerberechtigung sei. Es könne also durchaus sein, daß die Zeugin vermeinte, auch bei diesem Vorfall wäre sie die Lenkerin gewesen. Die Aussage der Zeugin hätte im Verfahren sicherlich ein wesentlich größeres Gewicht gehabt, wenn sie vom Beschwerdeführer gleich zu Beginn des erstbehördlichen Verfahrens namhaft gemacht worden wäre und bereits dort seine Angaben hätte bestätigen können. Da aber der Beschwerdeführer diese Zeugin erstmals in der Berufung angeführt habe, habe sie von der Erstbehörde auch nicht einvernommen werden können. Durch den geringeren zeitlichen Abstand zur Tat hätte man der Zeugin ein größeres Erinnerungsvermögen zubilligen und allenfalls, sofern sie die Lenkereigenschaft auf sich genommen hätte, das Verfahren gegen den Beschwerdeführer einstellen müssen und ein Verwaltungsstrafverfahren gegen die Lenkerin einleiten können.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluß vom 15. Juni 1993, B 630/93-4, ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof ab.

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Beschwerdeführer erachtet sich u.a. in seinen Rechten "gemäß §§ 25, 29b StVO, § 6 der Parkgebührenverordnung vom 11. Mai 1989", sowie in seinen Rechten "gemäß § 32 (2) VStG und § 37 ff AVG verletzt". In der Beschwerde bringt er vor, daß gegen ihn innerhalb der Verjährungsfrist keine Verfolgungshandlung gesetzt worden sei und es den Denkgesetzen widerspreche, wenn aus der Aussage der Frau Sch. geschlossen werde, daß nicht R. Sp. das Kraftfahrzeug abgestellt habe, sondern er selbst.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 31 Abs. 2 VStG beträgt die Verjährungsfrist bei den Verwaltungsübertretungen der Gefährdung, Verkürzung oder Hinterziehung von Landes- und Gemeindeabgaben ein Jahr, bei allen anderen Verwaltungsübertretungen sechs Monate.

Verfolgungshandlung ist gemäß § 32 Abs. 2 VStG jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung und dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.

Das in Rede stehende Kraftfahrzeug wurde am 24. April 1992 widerrechtlich abgestellt vorgefunden. Die erste aktenkundige Verfolgungshandlung gegen den Beschwerdeführer erfolgte mit der Postaufgabe der an ihn gerichteten Strafverfügung am 18. August 1992 und somit innerhalb der einjährigen Verjährungsfrist. Der Vorwurf, es läge Verfolgungsverjährung vor, ist demnach unbegründet.

Soweit der Beschwerdeführer aber die Beweiswürdigung der belangten Behörde bekämpft, kommt der Beschwerde Berechtigung zu. Bei der Feststellung, wer ein Kraftfahrzeug gelenkt hat, handelt es sich um einen Akt der Beweiswürdigung im Sinne des § 45 Abs. 2 AVG. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes obliegt die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung insoweit seiner nachprüfenden Kontrolle, als die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, d.h. den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen, nicht aber auch dahin, ob ein Akt der Beweiswürdigung richtig in dem Sinne ist, daß eine den Beschwerdeführer belastete Darstellung und nicht dessen Verantwortung den Tatsachen entspricht (vgl. hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1993, Zl. 92/17/0248, samt Rechtsprechung).

Die belangte Behörde begründet die entscheidungswesentliche Feststellung damit, es sei nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, daß unmittelbar nach der Tat gemachte Angaben in der Regel einen größeren Wahrheitsgehalt aufwiesen, als solche die erst nach Monaten allenfalls erst im Berufungsverfahren getätigt würden. Geht man auch von dieser Ansicht der belangten Behörde aus, so hat sie dennoch Entscheidendes übersehen. In dem von der Zulassungsbesitzerin unterfertigten Schreiben vom 1. Juli 1992 teilte diese zu der ihr gegenüber erlassenen Anonymverfügung dem Magistrat Linz mit, daß sie das Kraftfahrzeug dem Beschwerdeführer am 24. April 1992 "geborgt" habe. In der Folge wurde dann die Strafverfügung vom 18. August 1992 erlassen, gegen die der Beschwerdeführer mit der Begründung der Unzuständigkeit ("weil gegebenenfalls die Bundespolizeidirektion Linz nach der StVO zuständig wäre") Einspruch erhob. In der Strafverfügung und in einem Vorhalt vom 1. September 1992 wurde dem Beschwerdeführer gegenüber der Vorwurf erhoben, er habe das Kraftfahrzeug ohne gültigen Parkschein widerrechtlich abgestellt. Den Vorhalt hat der Beschwerdeführer nicht beantwortet, sondern um eine Fristerstreckung für die Beantwortung ersucht. Nach ergebnislosem Ablauf dieser Frist erließ der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz das Straferkenntnis vom 6. November 1992, das der Beschwerdeführer in der Berufung u.a. mit der Behauptung bekämpfte, das Kraftfahrzeug nicht abgestellt zu haben, sondern eine von ihm namentlich näher genannte Person.

Bei dieser Sachlage konnte sich die belangte Behörde nicht auf die allgemeine Lebenserfahrung, wonach unmittelbar nach der Tat gemachte Angaben einen größeren Wahrheitsgehalt aufwiesen als solche, die erst nach Monaten getätigt würden, berufen, lagen doch im Beschwerdefall unmittelbar nach der Tat gemachte Angaben überhaupt nicht vor.

Wenn die belangte Behörde aus der Tatsache, daß der Beschwerdeführer in seinem Einspruch zunächst nur die Zuständigkeit der Behörde bekämpft und erst zu einem späteren Zeitpunkt die Person bekanntgegeben hat, die das Kraftfahrzeug abgestellt hat, den Schluß zieht, daß die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers wesentlich beeinträchtigt sei, so ist diese Annahme deshalb nicht ausreichend begründet, weil der Beschwerdeführer noch innerhalb der Vollstreckungsverjährungsfrist der Behörde die Lenkerin des Pkw bekanntgegeben hat und die Lenkerin auch als Zeugin vernommen werden konnte. Was die Beweiswürdigung hinsichtlich der Aussage der Zeugin R.Sp. (vom Beschwerdeführer angegebene Lenkerin des Pkw) anlangt, so bietet die im Verhandlungsprotokoll der belangten Behörde festgehaltene Zeugenaussage keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Zeugin die zum Tatzeitpunkt erfolgte Beförderung des Beschwerdeführers zu einem Arztbesuch mit anderen derartigen Arztbesuchen verwechselt haben könnte, wurde doch die Zeugin nach dem Inhalt der Niederschrift darüber überhaupt nicht befragt. Unschlüssig ist die Annahme der belangten Behörde, daß die Aussage dieser Zeugin dann ein wesentlich größeres Gewicht gehabt hätte, wenn sie vom Beschwerdeführer gleich zu Beginn des Verfahrens namhaft gemacht worden wäre.

Aus diesen Erwägungen erweist sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde einerseits als unschlüssig, andererseits als nicht ausreichend begründet.

Ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen eingehen zu müssen, war daher der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 und 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die geltend gemachte Umsatzsteuer ist im Pauschalaufwand enthalten.

Schlagworte

Beweismittel Beschuldigtenverantwortung Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993170202.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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