TE Vwgh Erkenntnis 1993/10/19 93/08/0102

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.1993
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ASVG §412 Abs1;
ASVG §412 Abs3;
ASVG §412 Abs4;
ASVG §413 Abs1 Z1;
AVG §8;
BSVG §2 Abs1 Z1;
BSVG §2 Abs1 Z2;
BSVG §33 Abs1;
BSVG §33 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Ladislav, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in Wien, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 5. Februar 1993, Zl. 126.509/1-7/92, betreffend Zurückweisung eines Vorlageantrages (mitbeteiligte Partei: A in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 13. April 1992 stellte die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt der Bauern fest, daß der am 1. Oktober 1969 geborene Sohn des Mitbeteiligten vom 1. April 1986 "bis laufend" in der Kranken- und Pensionsversicherung der Bauern gemäß § 2 Abs. 1 Z. 2 BSVG pflichtversichert sei. Nach der Begründung dieses Bescheides habe der Mitbeteiligte gemeldet, daß sein Sohn trotz seiner Behinderung (nach der Aktenlage leidet der Sohn des Mitbeteiligten infolge einer Chromosomenanomalie an einer höhergradigen Hirnleistungsschwäche) hauptberuflich in seinem land(forst)wirtschaftlichen Betrieb beschäftigt sei. Eine Beschäftigung gelte als hauptberuflich, wenn sie im Schnitt mehr als 20 Stunden pro Woche ausgeübt werde. Dies treffe für den Sohn des Mitbeteiligten zu.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Einspruch mit der Begründung, sein Sohn sei "nicht laufend, sondern nur bis Ende Juli 1991 im elterlichen Betrieb hauptberuflich beschäftigt gewesen".

Mit Einspruchsvorentscheidung vom 26. Mai 1992 gab die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt dem Einspruch des Mitbeteiligten Folge und änderte den erstinstanzlichen Bescheid dahin ab, daß die Versicherungspflicht des Sohnes des Mitbeteiligten bis 31. Juli 1991 bestehe.

Gegen diesen Bescheid wendete sich der Mitbeteiligte mit Schreiben vom 11. Juni 1992, welches wie folgt lautet:

"Betrifft: Einspruchsvorentscheidung vom 26.5.1992 -

Vorlageantrag

AZ ...

Mit Entscheidung vom 26.5.1992 hat die Sozialversicherungsanstalt der Bauern festgestellt, daß die Versicherungspflicht meines Sohnes ... nicht laufend, sondern bis 31.7.1991 besteht.

Ich habe die Anmeldung meines Sohnes zur Kranken- und Pensionsversicherung nur deshalb erstattet, weil ich verhindern wollte, daß mein Sohn keinen Versicherungsschutz hat. Mein Sohn war und ist nicht in der Lage, eine selbständige oder nichtselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben (siehe beiliegendes Schreiben der Lebenshilfe vom 29.4.1992). Es war mir nicht bekannt, daß er auf Grund seiner Behinderung automatisch mit mir mitversichert ist.

Ich bin daher mit der Beitragsnachverrechnung ab 1.4.1986 nicht einverstanden und ersuche den Landeshauptmann, den angefochtenen Bescheid im Sinne meines Vorbringens aufzuheben."

    Die Beschwerdeführerin legte den Akt mit dem Bemerken dem

Landeshauptmann vor, daß der Mitbeteiligte den Vorlageantrag

gemäß § 412 Abs. 3 ASVG fristgerecht eingebracht habe, nahm zum

Vorbringen des Mitbeteiligten Stellung und beantragte den

erstinstanzlichen Bescheid "vollinhaltlich zu bestätigen". Nach

Einholung einer Stellungnahme des Mitbeteiligten und einer

weiteren Stellungnahme der Beschwerdeführerin wies der

Landeshauptmann von Steiermark mit Bescheid vom

10. November 1992 "den Vorlageantrag des (Mitbeteiligten),

seinen Einspruch vom 29. April 1992 gegen den Bescheid der

Sozialversicherungsanstalt der Bauern ... vom 13.4.1992 ...

betreffend Pflichtversicherung seines Sohnes ... der

Einspruchsbehörde (dem Landeshauptmann) zur Entscheidung vorzulegen, wegen Erweiterung des ursprünglichen Einspruchsbegehrens" als unzulässig zurück. Nach der Begründung sei der Vorlageantrag wegen rechtswidriger Erweiterung des ursprünglichen Einspruchsbegehrens ohne weiteres Verfahren als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Der Mitbeteiligte erhob Berufung.

Die belangte Behörde entschied über diese Berufung mit Bescheid vom 5. Februar 1993, der folgenden Spruch enthält:

"Aus Anlaß der Berufung (des Mitbeteiligten) gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 10.11.1992 ... betreffend die Zurückweisung des Vorlageantrages (des Mitbeteiligten) wegen Unzulässigkeit, nimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 6 AVG seine Unzuständigkeit wahr; gemäß denselben Gesetzesbestimmungen wird der Bescheid des Landeshauptmannes wegen Unzuständigkeit der Unterinstanz behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 6 AVG an die Sozialversicherungsanstalt der Bauern verwiesen."

Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Vorlageantrag gemäß § 412 Abs. 5 ASVG nur unter der Voraussetzung vorzulegen, daß die Einspruchsvorentscheidung "außer Kraft tritt", was von der Zulässigkeit des Vorlageantrages abhänge. Dieses sei daher generell vom Sozialversicherungsträger zu prüfen. Nur zulässige Vorlageanträge könnten eine Einspruchsvorentscheidung außer Kraft setzen. Vom Sozialversicherungsträger sei auch die Rechtzeitigkeit des Vorlageantrages zu prüfen gewesen. Das gelte auch für "die anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen". Wenn der Sozialversicherungsträger die Zulässigkeit des Vorlageantrages verneine, habe er diesen mit Bescheid zurückzuweisen. Dagegen könne Einspruch gemäß § 412 ASVG erhoben werden (Hinweis auf Fink, Soziale Sicherheit, Wien Nr. 7/8 1992, S. 378). Da für die Zurückweisung des Vorlageantrages nur der Sozialversicherungsträger in Betracht komme, sei die Unzuständigkeit des Landeshauptmannes auszusprechen und der von ihm ergangene Bescheid zu beheben gewesen. Da über die Zulässigkeit des Vorlageantrages noch nicht durch die zuständige Behörde entschieden worden sei und dieser an die zuständige Behörde gerichtet gewesen sei, sei die Sache zur Entscheidung an die Sozialversicherungsanstalt zu verweisen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, erklärt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand zu nehmen, jedoch beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Der Mitbeteiligte hat keine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorausgeschickt sei, daß der angefochtene Bescheid nur dem Mitbeteiligten, nicht aber dessen Sohn (um dessen Versicherungspflicht es im Verwaltungsverfahren ging) zugestellt wurde. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten bestehen beim Verwaltungsgerichtshof auch Zweifel darüber, ob der Sohn des Mitbeteiligten im Hinblick auf seine geistige Behinderung einerseits und den Gegenstand des Verfahrens andererseits die volle prozessuale Handlungsfähigkeit besitzt. Es ist auch stets der Mitbeteiligte im Verwaltungsverfahren eingeschritten, ohne daß allerdings aktenkundig ist, daß er zum Sachwalter seines - nach Lebensjahren eigenberechtigten - Sohnes bestellt worden wäre. Diese Frage kann aber auf sich beruhen, weil einerseits im Hinblick auf die unterlassene Zustellung des angefochtenen Bescheides an den Sohn der mitbeteiligten Partei dieser dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb nicht beigezogen werden mußte und andererseits der Mitbeteiligte jedenfalls Partei des Verwaltungsverfahrens ist, und zwar unabhängig davon, ob er (auch) zum Sachwalter seines Sohnes bestellt wurde. Letzteres ergibt sich vor allem aus der Überlegung, daß gemäß § 33 Abs. 2 BSVG die Beiträge "gemäß Abs. 1" (diese Bestimmung nennt auch die Beiträge für die gemäß § 2 Abs. 1 Z. 2 BSVG Pflichtversicherten) jene Personen schulden, die auf ihre Rechnung und Gefahr den land(forst)wirtschaftlichen Betrieb führen oder auf deren Rechnung und Gefahr der Betrieb geführt wird. Da der Mitbeteiligte nach der Aktenlage diejenige Person ist, auf deren Rechnung und Gefahr der landwirtschaftliche Betrieb geführt wird und der daher im Falle der Bejahung der Versicherungspflicht seines Sohnes als Beitragsschuldner zur Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge rechtlich verpflichtet wäre, ist er insoweit (ähnlich einem Dienstgeber im Verfahren über die Versicherungspflicht eines Dienstnehmers) rechtlicher Interessent im Verfahren über die Versicherungspflicht seines Sohnes im Sinne des § 8 AVG und daher Partei des Verwaltungsverfahrens. Seine Berufung war daher jedenfalls zulässig und der angefochtene Bescheid ist daher nicht etwa schon deshalb rechtswidrig, weil die belangte Behörde die Rolle des Mitbeteiligten im Verwaltungsverfahren nicht geklärt hat.

Der Spruch des angefochtenen Bescheides ist daher auch nicht schon deshalb rechtswidrig, weil die belangte Behörde

-

nach dessen Wortlaut - IHRE Unzuständigkeit wahrgenommen hat und deshalb das Rechtsmittel des Mitbeteiligten hätte zurückweisen müssen. Wie sich nämlich aus den nachfolgenden Passagen des - oben wiedergegebenen - Spruches des angefochtenen Bescheides ergibt, liegt hier nur ein offenkundiges (d.h. jedenfalls den Parteien des Verwaltungsverfahrens klar erkennbares) Vergreifen im Ausdruck vor (das gemäß § 62 Abs. 4 AVG berichtigt werden könnte), sodaß diese Wendung so zu lesen ist, wie sie offenkundig gemeint ist, nämlich, daß die belangte Behörde nicht ihre, sondern die Unzuständigkeit der Einspruchsbehörde wahrnehmen wollte (vgl. zum Verständnis berichtigungsfähiger Fehler eines Bescheides das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 1990, Zl. 89/06/0104).

Erfordernis eines wirksamen Vorlageantrages im Sinne des § 412 Abs. 4 ASVG ist - abgesehen von seiner Rechtzeitigkeit - lediglich der Antrag, "daß der Einspruch dem Landeshauptmann zur Entscheidung vorgelegt werden möge". Wird ein solcher Antrag - dem Sinne nach - gestellt, so tritt die Einspruchsvorentscheidung gemäß § 412 Abs. 3 dritter Satz ASVG ipso iure außer Kraft, und zwar unabhängig davon, ob der Vorlageantrag - wie im Beschwerdefall - neben den Minimalerfordernissen auch noch andere (allenfalls unzulässige) Anträge enthält oder mit solchen Anträgen verbunden wird. Die Zurückweisung des Vorlageantrages des Mitbeteiligten durch die Einspruchsbehörde war daher schon deshalb rechtswidrig.

Die Frage, die Behörde welcher Rechtsstufe

-

gegebenenfalls - zur Zurückweisung eines unzulässigen (etwa mangels Vorliegens einer Einspruchsvorentscheidung) oder verspäteten Vorlageantrages zuständig wäre, muß im Beschwerdefall nicht erörtert werden, weil der Landeshauptmann aufgrund des zulässigen und rechtzeitigen Vorlageantrages des Mitbeteiligten dessen Einspruch sachlich zu erledigen haben und daher auch über die im Vorlageantrag vorgenommene Erweiterung des Einspruchsbegehrens (etwa durch Zurückweisung als verspätet) abzusprechen haben wird.

Die belangte Behörde hat den bei ihr bekämpften Einspruchsbescheid zwar behoben, die Sache jedoch rechtsirrig sowohl wegen "Unzuständigkeit der Unterinstanz" an die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt zur neuerlichen Entscheidung verwiesen, als auch in der Begründung ihres Bescheides den Vorlageantrag - gleich der Rechtsauffassung des Landeshauptmannes - als unzulässig beurteilt. Da die belangte Behörde insoweit dem Landeshauptmann ihre (irrige) Rechtsauffassung überbunden hat, war der angefochtene Bescheid - ungeachtet dessen, daß die Behebung des Bescheides des Landeshauptmannes an sich zu Recht erfolgte - zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sozialversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993080102.X00

Im RIS seit

24.01.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten