Index
50/01 Gewerbeordnung;Norm
GewO 1973 §74 Abs2 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissärin Mag. Paliege, über die Beschwerde der J-Gesellschaft m.b.H. & Co KG in Wien, vertreten durch Dr. H, RA in X, gegen den Bescheid des BM für wirtschaftl Angelegenheiten vom 28. 3. 1991, Zl. 313.099/3-III-3/90 - in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 26. 8. 1991, Zl. 313.099/2-III-3/91 -, betreffend Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.680,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien - Magistratisches Bezirksamt für den 13./14. Bezirk - vom 24. November 1988 wurde der Beschwerdeführerin "die Betriebsanlage im Standort Wien, X-Straße 275, in welcher die J-Gesellschaft m.b.H. & Co KG beabsichtigt, ein Bierlokal mit Brauerei zu betreiben, nach Maßgabe des Planes und der Betriebsbeschreibungen, auf die sich dieser Bescheid bezieht, gemäß § 74 GewO 1973 genehmigt". Gemäß § 77 GewO 1973 und § 27 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz wurde "bezüglich der Errichtung und des Betriebes der Betriebsanlage" eine Reihe von Auflagen vorgeschrieben. So wurde unter anderem unter Punkt 24 der Auflagen (im wesentlichen) das Ende der Betriebszeit des Gastgartens mit 22.00 Uhr und unter Punkt 26 (im wesentlichen) das Ende sonstiger lärmender Tätigkeiten, "die nicht unmittelbar mit der Kundenbedienung im Zusammenhang stehen", mit 24.00 Uhr festgesetzt.
Gegen diesen Bescheid berief eine Reihe von Nachbarn an den Landeshauptmann von Wien. Im Zuge des Berufungsverfahrens holte der Landeshauptmann von Wien ein ergänzendes Gutachten des medizinischen Amtssachverständigen der MA 15 (Gesundheitsamt) ein. Die für den vorliegenden Beschwerdefall relevanten Ausführungen im Gutachten des medizinischen Amtssachverständigen vom 27. September 1989 lauten wie folgt:
"Lärmbelästigung:
Wie beschrieben wurde bei einer ab 21.00 Uhr durchgeführten Hörprobe im Schlafzimmer der Familie F und im Kinderzimmer der Familie B eine akustische Situation vorgefunden, die zum größten Teil von Geräuschen aus dem Gastgarten bestimmt war. Aus Erfahrung kann gesagt werden, daß diese Emissionen aufgrund ihrer Informations-(Gesprächfetzen) und ihrer Impulshäufigkeit (Lachen, Klirrgeräusch) als besonders störend empfunden werden. Sie sind daher geeignet, die abendliche Erholungsphase zu verunmöglichen und die notwendige Entspannung zu verhindern. Konsekutiv kann es auch zu Einschlafstörungen kommen. Dieser psychische Streß ist über eine Aktivierung des vegetativen Nervensystems - besonders auf längere Zeit gesehen - geeignet, organmanifeste Veränderungen, etwa im Herz-Kreislaufbereich zu bewirken. Aus medizinischer Sicht ist es daher notwendig, den Betriebsschluß des Gastgartens mit 20.00 Uhr zu beschränken."
Diesem Gutachten lagen - in dem dem Gutachten vorangestellten Befund näher ausgeführte - Erhebungen des medizinischen Amtssachverständigen vom 26. Juli 1989 von 21.00 Uhr bis 22.30 Uhr zugrunde. Dabei wurde festgestellt, daß im Erhebungszeitraum viermal Geräusche von der Westbahn, weiters einmal von einem Auto und einmal von einem Moped wahrgenommen worden seien. Weiters wurde im Befund ausgeführt:
"Aufgrund langjähriger Erfahrungen können für die gegenständliche Situation ein Grundgeräuschpegel von 40 dB, A und Störgeräusche aus dem Gastgarten von 45 dB, A bis 50 dB, A (bei offenen Fenstern) angenommen werden (Telefonat mit Herrn Ing. T, Magistratabteilung 22 - Umweltschutz vom 22. September 1989)."
In der Folge änderte der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 15. Februar 1990 die unter den Punkten 24 und 26 vorgeschriebenen Auflagen dahin, daß diese nunmehr lauten wie folgt:
"24.) Das Ende der Betriebszeit des Gastgartens wird mit 20.00 Uhr festgesetzt. Es ist durch geeignete Maßnahmen wie z. B. Abräumen der Stühle sicherzustellen, daß der Gastgarten nach diesem Zeitpunkt nicht mehr verwendet werden kann.
26.) Nach 22.00 Uhr dürfen im Hof keine betrieblichen Tätigkeiten verrichtet werden."
Darüber hinaus wurde unter Punkten 35 und 36 nachfolgende weitere Auflagen vorgeschrieben:
"35.) Im Freien dürfen keine Musikveranstaltungen veranstaltet werden.
36.)Das Tor zum Garten, der an die Betriebsanlage anschließt, ist während der Betriebszeit versperrt zu halten."
Über die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin entschied der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom 28. März 1991 - in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 26. August 1991 - dahin, daß der angefochtene Bescheid insofern abgeändert werde, als die unter den Punkten 35 und 36 vorgeschriebenen Auflagen zu entfallen hätten. Im übrigen wurde die Berufung abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.
Zur Begründung - diese wiedergegeben in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 26. August 1991 - wurde ausgeführt, der Bundesminister habe zusätzlich zu den bereits im Akt befindlichen Gutachten, darunter insbesondere jenem von einem medizinischen Sachverständigen der MA 15 erstellten vom 27. September 1989, ergänzende Schallpegelmessungen durchführen lassen. Der diesbezügliche Bericht des Sachverständigen der MA 22 vom 14. August 1990 habe folgenden Wortlaut:
"Mit Schreiben vom 22.6.1990, Zl. MA 63 - M 348/90, wurde um Durchführung von Schallpegelmessungen im Sinne des Erlasses des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 6.6.1990, Zl. 313.099/1-III-3/90, ersucht.
Die Messungen fanden am 9.8.1990 ab 21.00 Uhr statt.
Meßort:
Als Meßort wurde die Wohnung des Nachbarn Herrn B, X-Straße 277/14, gewählt. Dieser Meßpunkt liegt gartenseitig in dem an der rechten Grundgrenze anschließenden Nachbarhaus im
4. Stock. Dieser Meßpunkt kann als für die Nachbarschaft repräsentativ angesehen werden, da er der exponierteste Meßpunkt ist. Dies deshalb, da von diesem Meßpunkt aus eine direkte Sichtverbindung zur Betriebsanlage herrscht, die weder durch Gebäude noch durch sonstige Hindernisse verstellt ist.
Meßeinrichtungen:
Die Messungen wurden mit dem geeichten Präzisionsschallpegelmeßgerät Nortronic 110, Klasse 0,7, unter Verwendung eines Kondensatormikrophones B & K 4165 mit Vorverstärker B & K 2639 vorgenommen. Die gesamte Meßkette wurde vor Beginn der Messungen und nach Abschluß derselben mit einer geeichten Prüfschallquelle der Klasse 0,6, B & K 4230, überprüft.
Die letzte Eichung der gesamten Meßkette einschließlich der Prüfschallquelle erfolgte 1989, die Nacheichfrist beträgt zwei Jahre.
Akustische Situation:
Die akustische Situation wird im ggst. Fall durch zwei verschiedene Schallquellen geprägt, und zwar erstens die Westbahn und zweitens den Gastgewerbebetrieb der J-Gesellschaft mbH & Co KG.
ad 1) In der Zeit vor 22.00 Uhr herrschte auf der Westbahn
eine stündliche Verkehrsdichte von acht
Nahverkehrstriebwagenzügen, vier Güterzügen und sechs
Personenzügen (einschließlich Schnellzügen) und nach
22.00 Uhr eine stündliche Verkehrsmenge von sechs
Nahverkehrstriebwagenzügen, sechs Güterzügen und vier
Personenzügen (einschließlich Schnellzügen) pro
Stunde.
ad 2) Bis 22.00 Uhr war während der Verkehrspausen der
Westbahn (teilweise bis zu zehn Minuten) die
akustische Situation durch die Geräusche aus dem
Gastgewerbebetrieb geprägt. Es waren Gesprächslärm
sowie Gläser- und Geschirrklappern deutlich
wahrnehmbar. Bei den Gesprächen konnte teilweise der
Inhalt der Gespräche verstanden werden. Äußerst
unangenehm und störend wurden die immer wieder
auftretenden Lacher des Publikums empfunden. Weiters
war sowohl vor 22.00 Uhr als auch nach 22.00 Uhr immer
wieder das Zufallen der Küchentüre zum Hof
wahrnehmbar. Dieses Geräusch wies eindeutig
Impulscharakter auf.
Meßwerte:
a) Messungen auf der Terrasse der vorgenannten Wohnung im
Freien:
Gästelärm:
Niedrigster Wert ............................... 44 dB (A)
durchschnittliche Werte ........................ 47 - 51 dB (A)
Lachen ......................................... 55 dB (A)
Gläser- und Geschirrklappern ................... bis 57 dB (A)
Zufallen der Küchentüre ........................ 49 dB (A)
Westbahn:
Vorbeifahrt eines Nahverkehrstriebwagenzuges ... 52 dB (A)
Vorbeifahrt eines Güterzuges ................... 60 - 63 dB (A)
Vorbeifahrt eines Personen- bzw. Schnellzuges .. 64 - 65 dB (A)
b) Messung im Schlafzimmer bei geöffneten Fenstern:
Gästelärm:
Niedrigste Werte ............................... 39 dB (A)
durchschnittliche Werte ........................ 41 - 43 dB (A)
Lachen ......................................... 49 dB (A)
Gläser- und Geschirrklappern ................... 51 dB (A)
Zufallen der Küchentüre ........................ 43 dB (A)
Westbahn:
Vorbeifahrt eines Nahverkehrstriebwagenzuges ... 48 dB (A)
Vorbeifahrt eines Güterzuges ................... 57 dB (A)
Vorbeifahrt eines Personen- bzw. Schnellzuges .. 61 dB (A)
Eine Messung des Grundgeräuschpegels war während des Gartenbetriebes nicht möglich, da in dieser Zeit ständig die Geräusche des Gastgartens vorlagen. Der Grundgeräuschpegel war erst nach dem Ende des Gartenbetriebes um ca. 22.15 Uhr meßbar. Er betrug auf der Terrasse 41 dB(A) und im Schlafzimmer bei offenen Fenstern 35 dB(A). Die durchschnittlichen Verkehrsgeräusche, die durch das Verkehrsaufkommen auf der X-Straße und der Y-Straße verursacht wurden, betrugen auf der Terrasse 52 bis 55 dB(A) und im Schlafzimmer bei geöffnetem Fenster 37 bis 39 dB (A). Hinsichtlich des Umgebungsgeräuschepegels wird festgestellt, daß dieser nicht erhoben wurde, da aufgrund der Spitzenwerte durch den Eisenbahnverkehr dieser ausschließlich durch den Eisenbahnverkehr geprägt wäre, jedoch aufgrund der unterschiedlichen Charakteristik der Geräusche keinerlei Aussagekraft besäße.
...
Hinsichtlich des Betriebes im Gastgarten ist festzustellen, daß zur Zeit der Messung Schönwetter herrschte, es war praktisch windstill und sehr warm. Der Gastgarten war sehr gut besucht, so waren alle Tische im Gastgarten mit mindestens vier bis sechs Personen, teilweise mit bis zu zwölf Personen, besetzt."
In rechtlicher Hinsicht wurde - nach Darstellung maßgebender Bestimmungen - hinsichtlich der in Beschwerde gezogenen Auflagen unter anderem ausgeführt, die unter den Punkten 24 und 26 vorgeschriebenen Auflagen dienten dem Schutz der Nachbarn vor Lärm. Bereits im medizinischen Gutachten vom 27. September 1989 sei ausgeführt worden, daß die betriebskausalen Geräusche entsprechend dem subjektiven, anläßlich eines Augenscheines gewonnenen Eindruck des medizinischen Sachverständigen infolge ihrer Informations- und Impulshältigkeit geeignet seien, die abendliche Erholungsphase und die notwendige Entspannung zu verhindern, woraus zunächst Einschlafstörungen und, insbesondere auf längere Sicht, organmanifeste Veränderungen, etwa im Herz-Kreislaufbereich, bewirkt werden könnten. Diesen medizinischen Gutachten seien die Annahmen folgender Lärmwerte, bezogen auf einen exponierten Raum mit geöffneten Fenstern, zugrunde gelegen:
Grundgeräuschpegel 40 dB, Störgeräusche aus dem Gastgarten 45 bis 50 dB. Diese Werte seien durch die über Auftrag des Bundesministeriums von der MA 22 am 9. August 1990 vorgenommenen Messungen im wesentlichen bestätigt worden. Der Störlärm habe sich zwischen 39 und 51 dB bewegt, insbesondere die für einen Gastgewerbebetrieb typischen Geräusche, wie Lachen, Gläser- und Geschirrklappern, bewegten sich im oberen Bereich (49 bis 51 dB). Es treffe zu, daß in stärkerer Weise als im medizinischen Gutachten zugrunde gelegt, die Nachbarschaft nicht nur betriebskausalen Emissionen, sondern auch insbesondere solchen der vorbeiführenden Eisenbahnstrecke (Westbahn) ausgesetzt sei, wobei die hiedurch bewirkten Lärmemissionen jene der Betriebsanlage noch beachtlich zu übertreffen vermögen (um bis zu 10 dB). Wie sich jedoch auch aus dem Meßbericht MA 22 vom 14. August 1990 ergebe, träten auf der Westbahn immer wieder längere Verkehrspausen auf, während deren ohne die Einwirkung betriebskausaler Emissionen ein Grundgeräuschpegel von 37 bis 39 dB vorherrschen würde. Unter Berücksichtigung noch der besonderen Klangcharakteristik der Störgeräusche (Impuls- und Informationshältigkeit) der betriebskausalen Geräusche sei eine solche, immer wieder auftretende und 10 dB übersteigende Differenz zwischen Umgebungs- und Störlärm (39 bis 51 dB) weder einem gesunden, normal empfindenden Erwachsenen, noch einem gesunden, normal empfindenden Kind gemäß § 77 Abs. 2 GewO zumutbar (Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. April 1988, Zl. 87/04/0272). Die Beibehaltung der unter den Punkten 24 und 26 vorgeschriebenen Auflagen in der Fassung des zweitinstanzlichen Bescheides sei daher zum Schutze der Nachbarn vor einer unzumutbaren Belästigung durch Lärm jedenfalls erforderlich. Die Berufung sei daher diesbezüglich spruchgemäß abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich in dem Recht verletzt, "den Betrieb ihres Gastgartens bis 22.00 Uhr zu betreiben und bis 24.00 Uhr Tätigkeiten die nicht unmittelbar mit dem Kundenbetrieb im Zusammenhang stehen (z.B. lärmende Manipulationen mit Geschirr oder Transporte durch den Innenhof), vornehmen zu dürfen". In Ausführung dieses Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften im wesentlichen vor, nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hätten Anrainer einer Betriebsanlage ein gewisses Ausmaß an Belästigungen oder Beeinträchtigungen hinzunehmen, damit nicht eine gewerbliche Tätigkeit völlig unterbunden werde. Bei der Frage, ob gemäß § 77 Abs. 2 GewO 1973 Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 GewO 1973 zumutbar seien, sei eine Beurteilung danach durchzuführen, wie sich die von der Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen auswirkten. Es handle sich bei der Frage, ob eine Gefährdung der Gesundheit bzw. eine Belästigung der Nachbarn vorliege, um die Lösung einer Rechtsfrage, wobei aber die Behörde erst dann berechtigt sei, eine Entscheidung darüber zu fällen, wenn die Behörde objektive Grundlagen geschaffen habe, um ihrer Entscheidungspflicht nachkommen zu können. In der Frage, ob eine unzumutbare Lärmbelästigung im Sinne des § 77 GewO 1973 vorliege, habe sich die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Mitwirkung von Sachverständigen zu bedienen. Die Reihenfolge, die bei der Zuziehung der Sachverständigen einzuhalten sei, sei folgende: Vorerst habe sich der technische Sachverständige über das Ausmaß der zu erwartenden und gegebenen Emissionen zu äußern. Er habe sich dabei auch dahingehend zu äußern, ob wirksame Maßnahmen zur Verhinderung oder Verringerung der allenfalls zu erwartenden Lärmemissionen getroffen werden könnten. Erst nach Vorliegen eines solchen Gutachtens eines gewerbetechnischen Sachverständigen habe der ärztliche Sachverständige sich dazu zu äußern, welche Einwirkungen auf die Nachbarschaft zu erwarten sein würden. Im gegenständlichen Fall seien nun wohl eine medizinische gutächtliche Stellungnahme und eine Schallpegelmessung vorgenommen worden, wobei es die Behörde aber unterlassen habe, die nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorgeschriebene Reihenfolge einzuhalten, nämlich vorerst die Schallpegelmessungen vorzunehmen, sodann den Sachverständigen zu befragen, ob wirksame Maßnahmen für eine allfällige Verringerung der Lärmemissionen möglich seien, und erst aufbauend auf diesem Gutachten eine ärztliche Stellungnahme einzuholen. Wäre nämlich diese Reihenfolge eingehalten worden, hätte die Behörde zum Schluß gelangen müssen, daß "der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 15. Februar 1990" (gemeint wohl: der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien - MBA 13./14. - vom 24. November 1988) in den Punkten 24 und 26 wiederherzustellen gewesen wäre, wonach die Betriebszeit des Gastgartens mit 22.00 Uhr festgesetzt und ausgesprochen worden sei, daß nach 24.00 Uhr "im Hof keine betrieblichen Tätigkeiten mehr durchgeführt werden dürfen". Es sei somit die belangte Behörde durch Verletzung von Verfahrenvorschriften zu einem unrichtigen Ergebnis gelangt. Aber auch auf der Basis des festgestellten Sachverhaltes scheine die belangte Behörde einem Rechtsirrtum unterlegen zu sein: Die Behörde meine, daß, gestützt auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. April 1988, Zl. 87/04/0272, unter Berücksichtigung der besonderen Klangcharakteristik der Störgeräusche (Impuls- und Informationshältigkeit) der betriebskausalen Geräusche eine solche immer wieder auftretende und 10 dB übersteigende Differenz zwischen Umgebungs- und Störlärm weder einem gesunden, normal empfindenden Erwachsenen noch einem gesunden, normal empfindenden Kind gemäß § 77 Abs. 2 GewO 1973 zumutbar sei. Der Sachverhalt der zitierten Entscheidung weiche aber "im wesentlichen zu dem diesem Verfahren zugrunde liegenden" ab, gehe man doch in dem dortigen Verfahren von einem Grundgeräuschpegel von 30 bis 39 dB und einer von der Betriebsanlage ausgehenden Lärmemission von Werten zwischen 44 und 49 dB aus. Aus dem Bescheid der belangten Behörde sei eindeutig ersichtlich, daß der niedrigste Wert bei 39 bzw. 44 dB liege, welcher somit um fast 10 dB höher sei als der in dem von der belangten Behörde zitierten Bescheid. Hiezu komme, daß als Grundgeräuschpegel doch an sich der durchschnittliche Wert zu nehmen sei, der nach den Feststellungen der belangten Behörde zwischen 41 dB im Schlafzimmer und 47 bis 51 dB auf der Terrasse liege. Im Gegensatz dazu lägen die von der Behörde festgestellten höchstanzusetzenden Störgeräusche, nämlich Gläser- und Geschirrklappern, im Schlafzimmer bei 51 dB und auf der Terrasse bei 57 dB. Es ergebe sich somit, daß die Überschreitung des Grundgeräuschpegels bei nicht einmal 10 dB liege, obwohl dieser wesentlich höher sei als der in der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. April 1988 angeführte. Es erscheine daher auch die rechtliche Beurteilung unrichtig, daß unter Hinweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. April 1988 derartige, im Verhältnis zum Grundgeräuschpegel relativ geringfügig überschreitende Differenzen weder einem gesunden, normal empfindenden Erwachsenen noch einem gesunden, normal empfindenden Kind gemäß § 77 Abs. 2 GewO 1973 zumutbar seien, sondern richtigerweise festzustellen gewesen wäre, daß der Betriebsgastgarten bis 22.00 Uhr keine unzumutbare Emission für die Anrainer darstelle.
Was das zuletzt genannte Vorbringen betrifft, ist vorweg auf den Berichtigungsbescheid der belangten Behörde vom 26. August 1991 - der mit dem von ihm berichtigten Bescheid eine Einheit bildet (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 17. März 1987, Zl. 87/05/0040) - zu verweisen, wonach - worauf in der Gegenschrift zutreffend hingewiesen wird - die belangte Behörde den auch in der Beschwerde nicht bestrittenen höchsten Störgeräuschen, nämlich Gläser- und Geschirrklappern, hörbar im Schlafzimmer mit 51 dB, einen Umgebungsgeräuschpegel - ohne Eisenbahnverkehr - von 37 bis 39 dB gegenüberstellte, was eine Differenz von 12 bis 14 dB zwischen Störgeräusch- und Umgebungsgeräuschpegel ergibt.
Gleichwohl ist der vorliegenden Beschwerde Erfolg beschieden:
Gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1973 ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen oder der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, daß überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1973 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 leg. cit. auf ein zumutbares Maß beschränkt würden.
Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle ist das Tatbestandselement, ob Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 zumutbar sind, danach zu beurteilen, wie sich die durch die Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen auswirken.
Bei der Beurteilung eines Sachverhaltes daraufhin, ob eine Gefährdung der Gesundheit der Nachbarn (§ 77 Abs. 1 GewO 1973 in Verbindung mit § 74 Abs. 2 Z. 1 leg. cit.) vorliegt, handelt es sich, ebenso wie bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Belästigungen der Nachbarn (§ 77 GewO 1973 in Verbindung mit § 74 Abs. 2 Z. 2 leg. cit.), um die Lösung einer Rechtsfrage. Das Ergebnis der Beweisaufnahme durch Sachverständige (§ 52 AVG) bildet lediglich ein Element des für die Erlassung des Bescheides "maßgebenden Sachverhalts" (§§ 37 und 56 AVG). Das Merkmal "Gefährdung der Gesundheit" ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff. Ein entscheidender Ansatzpunkt für seine Auslegung ergibt sich aus der Unterscheidung zwischen der Gefährdung der Gesundheit der Nachbarn und der Belästigung der Nachbarn. Dementsprechend ist die Gefährdung der Gesundheit eine Einwirkung auf den menschlichen Organismus, deren Art und Nachhaltigkeit über eine bloße Belästigung hinausgeht. Die Abgrenzung ist von der Behörde im Rechtsbereich jeweils unter Heranziehung der dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Sachverständigenaussagen vorzunehmen. Die Behörde hat demzufolge unter Beachtung der dargestellten Rechtslage vorerst zu beurteilen, ob zu erwarten ist, daß eine Gefährdung der Gesundheit unter anderem der Nachbarn ausgeschlossen ist. Ist dies zu erwarten, dann obliegt der Behörde die Prüfung, ob zu erwarten ist, daß die Belästigungen der Nachbarn auf ein zumutbares Maß beschränkt werden (vgl. dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1993, Zl. 92/04/0208, 0209).
Danach ist die Feststellung, ob die (sachverhaltsbezogenen) Voraussetzungen für die Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage vorliegen, Gegenstand des Beweises durch Sachverständige auf dem Gebiet der gewerblichen Technik und auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Den Sachverständigen obliegt es, aufgrund ihres Fachwissens ein Urteil (Gutachten) über diese Fragen abzugeben. Der gewerbetechnische Sachverständige hat sich über die Art und das Ausmaß der von der Betriebsanlage zu erwartenden Immissionen zu äußern. Dem ärztlichen Sachverständigen fällt, fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen, die Aufgabe zu, darzulegen, welche Einwirkungen die zu erwartenden unvermeidlichen Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus, entsprechend den in diesem Zusammenhang in § 77 Abs. 2 GewO 1973 enthaltenen Tatbestandsmerkmalen, auszuüben vermögen. Aufgrund der Sachverständigengutachten hat sich sodann die Behörde im Rechtsbereich ihr Urteil zu bilden (siehe u.a. die
hg. Erkenntnisse vom 31. März 1992, Zl. 91/04/0306, und vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/04/0096).
Im Beschwerdefall hat sich die zweitinstanzliche Behörde, um beurteilen zu können, inwieweit den Berufungsausführungen Berechtigung zukomme, in Ergänzung des erstbehördlichen Ermittlungsverfahren gehalten gesehen, ein medizinisches Sachverständigengutachten (MA 15 - Gesundheitsamt) einzuholen, dessen unter Bezugnahme auf die am 26. Juli 1989 durchgeführte Erhebung erfolgte Befundaufnahme über die in den Wohnungen der Familien F und Ing. B festgestellten betrieblichen Lärmemissionen und die hieraus gezogenen Schlüsse, als Sachverhaltsfeststellungen übernommen wurden. Danach hat aber der ärztliche Amtssachverständige sein Gutachten auf Prämissen aufgebaut, die nicht auf dem vordargestellten verfahrensrechtlichen Weg zustandegekommen sind, auch wenn etwa hinsichtlich der Eigenart des Geräusches, wie z.B. Impulscharakter, besondere Frequenzzusammensetzung und Informationshaltigkeit, subjektive Wahrnehmungen durch den ärztlichen Sachverständigen von Bedeutung sein können (vgl. hiezu die entsprechenden Darlegungen im hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 1991, Zl. 90/04/0178).
Wenngleich unter Bedachtnahme auf die vordargestellten Erwägungen eine formalisierte zeitliche Reihenfolge - wie die Beschwerdeführerin meint - nicht abgeleitet werden kann, und es weiters keinen entscheidungswesentlichen Verfahrensmangel darstellt, wenn die nachträglichen Messungen die Richtigkeit der Schätzungen ergeben, so ist die Beschwerdeführerin - im Ergebnis - dennoch im Recht:
Zunächst ist festzuhalten, daß der amtsärztliche Sachverständige auf frühere - nicht aktenkundige und daher nicht nachvollziehbare - Schallpegelmessungen sowie auf eine Auskunft der Magistratsabteilung 22 (Umweltschutz) - welche zwar im erstinstanzlichen Verfahren ein Gutachten abgegeben hatte, ohne jedoch konkrete Lärmmessungen durchgeführt zu haben - Bezug nahm.
Soweit nun aber in dritter Instanz - nachträglich - Lärmmessungen durchgeführt wurden, fehlt es - auch wenn die Werte der in dritter Instanz durchgeführten Messungen im entscheidungswesentlichen Bereich mit den Schätzungen der Sachverständigen der ersten und zweiten Instanz übereinstimmten - dennoch für das Festlegen des Endes der Betriebszeit im Gastgarten mit 20.00 Uhr und des Endes sonstiger betrieblicher Tätigkeiten im Hof mit 22.00 Uhr an ausreichenden Grundlagen im Ermittlungsverfahren. So fehlen - bezogen auf die Umgebungsgeräusche - Begründungsdarlegungen, weshalb das Ende der Betriebszeit im Gastgarten gerade mit 20.00 Uhr festgesetzt wurde, zumal sowohl der medizinische Amtssachverständige seine Feststellungen im Rahmen eines Augenscheines in der Zeit von 21.00 Uhr bis 22.30 Uhr traf als auch die Messungen der MA 22 erst ab 21.00 Uhr stattfanden. Weiters wird darauf hingewiesen, daß das Gutachten des medizinischen Amtssachverständigen vom 27. September 1989 - das im Verfahren vor der Behörde dritter Instanz keine Ergänzung erfuhr - die Einbeziehung der von der belangten Behörde erhobenen durch den Verkehr auf der Westbahnstrecke hervorgerufenen Lärmspitzen vermissen läßt, sodaß die diesbezüglichen Aussagen der belangten Behörde auf Seite 9 des angefochtenen Bescheides - die offenkundig davon ausgehen, daß diese Lärmspitzen bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der "betriebskausalen Geräusche" für einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen sowie für ein gesundes, normal empfindendes Kind außer Betracht gelassen werden können - nicht ausreichend durch die Sachverständigengutachten belegt sind.
Die belangte Behörde, belastete daher den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhang mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1991040163.X00Im RIS seit
20.11.2000