Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BAO §115 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Mag. Wochner, über die Beschwerde der I in Graz bzw. Zürich, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark (Berufungssenat) vom 23. Oktober 1991, Zl. B 65-3/91, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1986 bis 1988, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgwiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin wurde vom Finanzamt Graz-Stadt wegen vermeintlicher Nichtabgabe ihrer Einkommensteuererklärung für die Streitjahre unter Verwertung der vom Rentengeber über die Höhe der Rente gemachten Angaben im Schätzungsweg veranlagt. In der dagegen erhobenen Berufung verwies die Beschwerdeführerin auf ihre bereits vor der Bescheiderlassung - wenn auch verspätet - eingebrachten Einkommensteuererklärungen dieser Jahre und beantragte eine erklärungsgemäße Veranlagung. In den Beilagen zu diesen Abgabenerklärungen hatte die Beschwerdeführerin angegeben, am 20. August 1986 den Wohnsitz gemäß Einzugsanzeige der Stadt Zürich vom 18. August 1986 in die Schweiz verlegt zu haben. Sie zog daraus den Schluß, in Österreich ab 1. September 1986 nur mehr "beschränkt steuerpflichtig im Sinne des DBA-Schweiz" zu sein. Mit ihren (einzigen) aus einer Versorgungsrente auf Grund eines Rentenlegates zur Abgeltung ihres Pflichtteilsanspruches stammenden Einkünften sei sie in der Schweiz, ihrem Wohnsitzstaat, einkommensteuerpflichtig. Ferner behauptete die Beschwerdeführerin, in Österreich weniger als sechs Monate im Jahr zu verbringen. Laut vorgelegter "Einzugsanzeige" der Stadt Zürich ist die Beschwerdeführerin seit 20. August 1986 Zimmermieter in dieser Stadt. Laut Attest (Auszug aus dem Einwohnerregister) der Stadt Zürich wohnt die Beschwerdeführerin seit 2. Oktober 1986 ununterbrochen in dieser Stadt.
Schon mit Schriftsatz vom 30. April 1987 hatte ein Wirtschaftstreuhänder namens und auftrags der Beschwerdeführerin dem Finanzamt mitgeteilt, die Beschwerdeführerin habe im November 1984, voraussichtlich für den Rest ihres Lebens, den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen ins Ausland (vorerst Schweiz) verlegt. Sie unterhalte in Österreich seit diesem Zeitpunkt weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 26 BAO.
Am 19. Mai 1988 gab die von Organen des Finanzamtes in ihrer Dreizimmer-Eigentumswohnung in Graz angetroffene Beschwerdeführerin unter anderem an, sie habe sich 1985 polizeilich nach Schweden abgemeldet, gebe aber ihre Anschriften im Ausland (Schweden, BRD und Schweiz) nicht bekannt. Sie komme fallweise nach Graz, um für drei Katzen zu sorgen, die in ihrer Abwesenheit von einem ihr bekannten Studenten gegen Entgelt betreut würden. Bei dieser Gelegenheit handle sie nebenbei auch mit ihren in zwei von ihren drei Garagen abgestellten Antiquitäten.
In weiterer Folge vernahm das Finanzamt einen namentlich angeführten Wohnungsmieter desjenigen Hauses, in dem auch die Eigentumswohnung der Beschwerdeführerin liegt. Der Vernommene bezeichnete sich als seit 1982 in diesem Haus wohnhaft und gab niederschriftlich an, daß er die Beschwerdeführerin mehrmals in der Woche sehe. Für ihn sei die Beschwerdeführerin ständige Mitbewohnerin dieses Hauses.
In der Begründung der abweislichen Berufungsvorentscheidung führte das Finanzamt aus, durch Befragung der Hausparteien sei nunmehr geklärt, daß die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer zumindest mehrmaligen Aufenthalte pro Woche in ihrer Wohnung in Graz im Inland einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften unterhalte. Da es auch nicht den Tatsachen entspreche, daß sich die Beschwerdeführerin weniger als sechs Monate im Jahr in Österreich aufgehalten habe, sei sie mit ihren Einkünften in den Streitjahren in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig. Daran vermöchten auch die polizeilichen Meldungen in Zürich nichts zu ändern.
In ihrem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz bezweifelte die Beschwerdeführerin, ob sich Hausparteien im Jahre 1990 noch mit Sicherheit daran erinnern könnten, "wann" sich die Beschwerdeführerin in den Kalenderjahren 1986 und 1987 in ihrer Grazer Wohnung aufgehalten habe. Seit ihrer polizeilichen Meldung in Zürich habe ihre jährliche Aufenthaltsdauer im Inland keineswegs sechs Monate erreicht und sei schon gar nicht körperliche ununterbrochene Anwesenheit während dieser Zeit im Inland gegeben gewesen. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen sei auf Grund größerer Bindungen zum ausländischen Aufenthaltsort nicht in Österreich gewesen.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin sodann nach Durchführung der beantragten mündlichen Berufungsverhandlung für die Jahre 1987 und 1988 als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich des Jahres 1986 wurde der Berufung insoweit (teilweise) Folge gegeben, als von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Werbungskosten berücksichtigt wurden. In der Begründung dieses Bescheides heißt es im wesentlichen, auf Grund der eigenen Angaben der Beschwerdeführerin am 19. Mai 1988 und der Aussage eines Hausbewohners stehe fest, daß die Beschwerdeführerin ihre Wohnung in Graz in den Streitjahren benützt habe. Sie habe dort nach eigenen Angaben auch Haustiere gehalten und befinde sich dort noch immer ein auf ihren Namen lautender Telefonanschluß. Die Beschwerdeführerin behaupte nunmehr auch nicht mehr, diese Wohnung jemals aufgegeben zu haben. Aus diesen Umständen lasse sich schließen, daß die Beschwerdeführerin ihre Wohnung in Graz beibehalten habe und benutzen werde. Auf Grund des in Österreich aufrechten Wohnsitzes sei sie hier unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Jährliche Aufenthalte von unter sechs Monaten in Österreich stünden der unbeschränkten Steuerpflicht nicht entgegen. Bei Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführerin den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Streitzeitraum in Österreich oder in der Schweiz gehabt habe, deuteten die festgestellten Umstände auf stärkere Beziehungen der Beschwerdeführerin zu ihrer Wohnung in Graz als zu ihrer Zimmerunterkunft in Zürich hin; dies auch deswegen, weil sich die Beschwerdeführerin laut eigenen Angaben im Ausland nicht nur in der Schweiz, sondern auch in der BRD und in Schweden aufgehalten habe. Der Berufungssenat sei daher in freier Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Beschwerdeführerin den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in den Streitjahren weiterhin in Österreich gehabt habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht "auf Nichtbesteuerung in Österreich bzw. auf gesetzeskonforme Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz" verletzt.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist nicht mehr strittig, daß die Beschwerdeführerin ihre Wohnung in Graz nicht aufgegeben hat, sondern unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß sie die Wohnung beibehalten werde, weiterhin benützt und daher in den Streitjahren einen Wohnsitz im Sinne des § 26 Abs. 1 BAO in Österreich gehabt hat. Die Beschwerdeführerin bekämpft jedoch die für die Steuerpflicht ihrer Einkünfte in Österreich nach den Bestimmungen des DBA-Schweiz unabdingbare Voraussetzung, daß sie in den Streitjahren den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Inland gehabt habe. Die Beschwerde rügt die Beweiswürdigung der belangten Behörde und macht Mängel des dieser vorangehenden Verfahrens geltend. Da die belangte Behörde nicht "auch die übrigen Hausparteien" als Auskunftspersonen befragt habe und der Beschwerdeführerin nicht Gelegenheit gegeben habe, ihrerseits Auskunftspersonen namhaft zu machen bzw. einen Informationsaustausch gemäß Art. 25 DBA-Schweiz gepflogen habe, sei das Ermittlungsverfahren unvollständig geblieben. Anläßlich solcher Ermittlungen hätte sich herausgestellt, daß die Schwester der Beschwerdeführerin in der Schweiz wohne und daß die Beschwerdeführerin gesellschaftlich in der Schweiz, näherhin in Zürich, absolut integriert sei, während sich ihre persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Österreich darauf beschränkten, hier eine Eigentumswohnung zu besitzen. Könne nicht festgestellt werden, in welchem Vertragsstaat eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen habe, so gelte gemäß Art. 4 Z. 2 lit. b DBA-Schweiz die Person als in dem Vertragsstaat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt habe; Feststellungen betreffend den gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin seien aber von der belangten Behörde nicht getroffen worden.
Wie der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise in seinem Erkenntnis vom 27. September 1990, Zl. 89/16/0225, näher ausgeführt hat, ist das (österreichische) Abgabenverfahren dadurch gekennzeichnet, daß einerseits die Abgabenbehörde die Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit trifft (§ 115 BAO), andererseits aber der Abgabepflichtige in Erfüllung seiner Offenlegungspflicht (§ 119 BAO) dazu verhalten ist, die Richtigkeit der in seinen Anbringen dargetanen Umstände zu beweisen bzw. glaubhaft zu machen (§ 138 BAO). Das Abgabenverfahren ist somit durch ein Zusammenspiel amtswegiger Ermittlung und Mitwirkung der Partei charakterisiert, wobei sich beide Teile in dem Bemühen zur Erforschung der materiellen Wahrheit zu ergänzen und gegenseitig zu unterstützen haben. Wo für beide Seiten die Grenze für dieses Bemühen liegt, läßt sich allerdings nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter sorgfältiger Beachtung aller konkreten Umstände entscheiden. Die amtswegige Ermittlungspflicht findet dort ihre Grenzen, wo der Abgabenbehörde weitere Nachforschungen nicht mehr zugemutet werden können. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Sachverhalt nur im Zusammenwirken mit der Partei geklärt werden kann, die Partei aber zur Mitwirkung an der Wahrheitsfindung nicht bereit ist bzw. eine solche unterläßt. Die Grenze der amtlichen Ermittlungspflicht orientiert sich an der Zumutbarkeit, die bei Auslandsbeziehungen (und bei Inanspruchnahme abgabenrechtlicher Begünstigungen) eine mehr oder weniger starke Einschränkung erfährt (vgl. hiezu beispielsweise auch das hg. Erkenntnis vom 17. November 1980, Zl. 1885/78). Diese Formel bringt den allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck, daß die Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes dort ihre Grenze findet, wo nach der Lage des Falles nur die Partei Angaben zum Sachverhalt machen kann (vgl. hiezu das weitere hg. Erkenntnis vom 25. Juli 1990, Zl. 89/17/0054, 0055).
Im vorliegenden Fall haben sich nur die Verwaltungsinstanzen, nicht aber die Beschwerdeführerin in der gebotenen Weise um die Klärung des Auslandsbeziehungen aufweisenden maßgebenden Sachverhaltes bemüht. Nach Widerlegung des Vorbringens der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 30. April 1987, daß sie in Österreich seit November 1984 weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 26 BAO unterhalte, hat das Finanzamt außer der Beschwerdeführerin auch eine von ihm selbst erkundete Auskunftsperson zur Sache vernommen. In der als Vorhalt wirkenden Berufungsvorentscheidung wies das Finanzamt die Beschwerdeführerin darauf hin, daß der von ihr behauptete Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in der Schweiz in den Streitjahren nicht allein durch die von ihr vorgelegten polizeilichen Meldungen erweisbar sei. Wenn die Beschwerdeführerin in der Folge dennoch die für die Beantwortung der Frage nach dem Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse bedeutsamen Umstände - vgl. hiezu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 19. September 1979, Zlen. 2365/78, 2051/79 - nicht offengelegt hat, so hat sie die ihr nach dem oben Gesagten im Abgabenverfahren obliegende Mitwirkungspflicht, nicht aber die belangte Behörde die ihr obliegende amtliche Ermittlungspflicht verletzt. Abgesehen davon, daß in der Beschwerde davon die Rede ist, die Schwester der Beschwerdeführerin sei in der Schweiz wohnhaft, kann auch selbst der Beschwerde nicht entnommen werden, aus welchen Umständen sich ergeben hätte, daß der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Beschwerdeführerin in den Streitjahren nicht in Österreich gelegen wäre.
Die Beschwerdeführerin hat auch im Abgabenverfahren ausreichend Gelegenheit gehabt, Auskunftspersonen selbst namhaft zu machen, von dieser Möglichkeit aber keinen Gebrauch gemacht. Angesichts der Begründung der Berufungsvorentscheidung mußte der Beschwerdeführerin auch das Streitthema und der Umstand bewußt sein, daß es zur Annahme eines nicht in Graz gelegenen Mittelpunktes der Lebensinteressen weiterer, nur von ihr beibringbarer Tatsacheninformationen bedurft hätte.
Auch die sämtliche festgestellten Umstände berücksichtigende Beweiswürdigung der belangten Behörde ist schlüssig, das heißt, sie stimmt mit den Denkgesetzen und mit der Lebenserfahrung überein.
Bei diesem Ergebnis scheint auch der Hinweis der Beschwerde auf Art. 4 Z. 2 lit. b DBA-Schweiz verfehlt, weil diese Bestimmung erst dann Anwendung finden könnte, wenn der hier nicht gegebene Fall vorläge, daß nicht feststellbar wäre, in welchem Vertragstaat eine Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat.
Da somit dem angefochtenen Bescheid weder die behauptete Rechtswidrigkeit des Inhaltes noch auch ein wesentlicher Verfahrensmangel anhaftet, mußte die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992150002.X00Im RIS seit
11.07.2001