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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §10 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des B (auch Y) S (auch X oder Z) in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 25. März 1993, Zl. FR 6665/93, betreffend Erteilung eines Sichtvermerkes in Bescheidform, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 25. März 1993 wies die Bundespolizeidirektion Graz (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers - es handelt sich bei ihm nach der Aktenlage um einen jugoslawischen Staatsangehörigen albanischer Nationalität - vom 15. Dezember 1992 auf Erteilung eines Sichtvermerkes in Bescheidform gemäß § 10 Abs. 4 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Fremdengesetz (FrG) ab.
In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, die jugoslawischen Behörden hätten die Ausstellung eines Reisepasses verweigert, weil der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet habe. Aus § 10 Abs. 3 und 4 FrG ergebe sich, daß ein Sichtvermerk in Bescheidform nur bei Vorliegen der Sichtvermerksversagungsgründe des § 10 Abs. 1 Z. 2 und 3 erteilt werden könne. Da diese Sichtvermerksversagungsgründe beim Beschwerdeführer nicht vorlägen, sei der Antrag abzuweisen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 7 Abs. 1 und des § 10 Abs. 1 Z. 2 und 3, Abs. 2, 3 und 4 FrG lauten wie folgt:
§ 7. (1) Ein Sichtvermerk kann einem Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern ein gültiges Reisedokument vorliegt und kein Versagungsgrund gemäß § 10 gegeben ist. Der Sichtvermerk kann befristet oder unbefristet erteilt werden.
§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
2. der Sichtvermerkswerber nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt oder nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt;
3. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte, es sei denn, diese Belastung ergäbe sich aus der Erfüllung eines gesetzlichen Anspruches; ...
(2) Die Erteilung eines befristeten Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn die Wiederausreise des Fremden nicht gesichert ist.
(3) Die Behörde kann einem Fremden trotz Vorliegens eines Sichtvermerksversagungsgrundes gemäß Abs. 1 Z. 2 oder 3 oder gemäß Abs. 2 einen Sichtvermerk erteilen,
1. in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen oder
2. wenn auf Grund der Verpflichtungserklärung einer Person mit ordentlichem Wohnsitz oder Sitz im Bundesgebiet die Tragung aller Kosten, die öffentlichen Rechtsträgern durch den Aufenthalt des Fremden entstehen könnten, gesichert erscheint.
(4) Ein Sichtvermerk kann im Inland aus den Gründen des Abs. 3 Z. 1 auch in Bescheidform erteilt werden, wenn der Fremde nicht in der Lage ist, sich ein Reisedokument seines Heimat- oder Aufenthaltsstaates zu beschaffen. Dem Fremden ist in solchen Fällen von Amts wegen ein Lichtbildausweis für Fremde (§ 64) auszustellen.
2.1 Die Rechtsansicht der belangten Behörde, die Erteilung eines Sichtvermerkes in Bescheidform nach § 10 Abs. 4 FrG komme nur in Betracht, wenn Sichtvermerksversagungsgründe nach § 10 Abs. 1 Z. 2 oder 3 FrG vorlägen, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang. § 10 Abs. 4 FrG normiert eine Ausnahme nur von dem im § 7 Abs. 1 leg. cit. normierten Grundsatz, daß ein Sichtvermerk nur bei Vorliegen eines gültigen Reisedokumentes erteilt werden kann. Wenn der Fremde nicht in der Lage ist, sich ein Reisedokument zu beschaffen, soll ihm ein Sichtvermerk erteilt werden können, wenn die im § 10 Absatz 3 Z. 1 genannten Gründe, das sind humanitäre Gründe, gegeben sind. Mit der im Abs. 4 enthaltenen Formulierung "aus den Gründen des Abs. 3 Z. 1" wird nur auf die dort genannten humanitären Gründe in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen verwiesen, nicht aber auch auf die im ersten Halbsatz des Abs. 3 erwähnten Sichtvermerksversagungsgründe (vgl. dazu die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FrG, 692 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen XVIII. GP, Seite 35). Schon die wörtliche Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen zeigt somit die Unrichtigkeit der Auffassung der belangten Behörde.
2.2 Die Rechtsansicht der belangten Behörde würde dazu führen, daß Fremden, die sich kein Reisedokument beschaffen können und bei denen humanitäre Gründe für die Erteilung eines Sichtvermerkes sprechen, kein Sichtvermerk in Bescheidform erteilt werden dürfte, wohl aber Fremden, bei denen ebenfalls diese Voraussetzungen gegeben sind und überdies noch bestimmte Sichtvermerksversagungsgründe (§ 10 Abs. 1 Z. 2 und 3 FrG) vorliegen. Der in diesem Ergebnis gelegene Wertungswiderspruch zeigt die Unrichtigkeit der Auffassung der belangten Behörde.
3. Die belangte Behörde hat ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Sichtvermerkes in Bescheidform nicht geprüft und damit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993180252.X00Im RIS seit
20.11.2000