TE Vwgh Erkenntnis 1993/10/28 93/18/0331

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Veröffentlicht am 28.10.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z3;
FrG 1993 §69 Abs1;
FrG 1993 §69 Abs2;
FrG 1993 §69 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der M in T, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft in Ankara vom 3. Juni 1993, Zl. 3.33.619/4/93, betreffend Sichtvermerk, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, vom 19. Mai 1992 auf Erteilung eines (auf ein Jahr befristeten) Einreisesichtvermerkes "gemäß § 10 Abs. 1 Zif. 2 u. 3 in Verbindung mit § 7 Abs. 3 FrG" abgelehnt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 69 Abs. 1 FrG haben Antragsteller in Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes zweckdienlichen Urkunden und sonstige Beweismittel selbst vorzulegen; die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.

§ 69 Abs. 2 FrG sieht vor, daß über schriftlichen oder niederschriftlichen Antrag der Partei die Entscheidung gemäß Abs. 1 auch schriftlich auszufertigen ist; hiebei sind außer der getroffenen Entscheidung die maßgeblichen Gesetzesbestimmungen anzuführen; einer weiteren Begründung bedarf es nicht.

Diese Regelung des Verfahrens vor österreichischen Vertretungsbehörden hat sich laut den Materialien

(692 BlgNR 18.GP, 56 f) von dem vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Prinzip leiten lassen, daß für dieses Verfahren "die im AVG niedergelegten Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens in der Verwaltung" gelten, und die Grundsätze nun ausdrücklich festgelegt. Die "Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens" erfordern jedoch auch, daß der für eine Entscheidung maßgebliche Sachverhalt, wenn er schon nicht in der Begründung des Bescheides darzulegen ist, zumindest im Akt nachvollziehbar sein muß, wie dies im letzten Satz des die Versagung eines Sichtvermerkes auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit regelnden § 69 Abs. 5 FrG verlangt wird. Aus der in dieser Bestimmung enthaltenen Wendung "AUCH in diesen Fällen" ergibt sich, daß das Erfordernis der Nachvollziehbarkeit des maßgeblichen Sachverhaltes im Akt über die Fälle des § 69 Abs. 5 FrG hinaus, also in Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden nach dem FrG schlechthin, zu gelten hat. Damit ist die Überprüfbarkeit von Bescheiden österreichischer Vertretungsbehörden aber gewährleistet, weshalb die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des letzten Halbsatzes des § 69 Abs. 2 FrG ("einer weiteren Begründung bedarf es nicht") vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt werden.

In der Gegenschrift brachte die belangte Behörde zum Ausdruck, daß sich die Versagung des Sichtvermerkes im Beschwerdefall auf das Fehlen einer ortsüblichen Unterkunft stütze.

Aus den Verwaltungsakten geht hervor, daß die Beschwerdeführerin bereits mit ihrem Antrag die Ablichtung eines Mietvertrages vom 1. März 1992 zwischen der Gemeinde N als Vermieterin und den Eltern der Beschwerdeführerin als Mieter über das Wohnhaus G 58 in N vorgelegt hatte. Dieses Mietverhältnis begann laut Punkt II. des Mietvertrages am 1. März 1992 und wurde auf die Dauer von sechs Monaten abgeschlossen. Es sollte durch den Ablauf der bedungenen Zeit am 30. September 1992 ablaufen, ohne daß es einer Kündigung bedürfe. Mit Schriftsatz vom 7. April 1993 legte die Beschwerdeführerin - u.a. - die Abschrift des Mietvertrages vom 17. März 1993 vor, der zwischen denselben Vertragsparteien und über dasselbe Mietobjekt wie der Mietvertrag vom 1. März 1992 abgeschlossen worden war. In Punkt II. dieses Mietvertrages heißt es, daß das Mietverhältnis mit 1. April 1993 beginne und auf die Dauer von sechs Monaten abgeschlossen werde. "Das Mietverhältnis erlischt daher durch den Ablauf der bedungenen Zeit, ohne daß es einer Kündigung bedarf, am 30.9.1993." Die Beschwerdeführerin brachte dazu vor, daß die Gemeinde N als Vermieterin seit 23. September 1991 regelmäßig den Mietvertrag befristet verlängert habe. Auch nach dem 30. September 1993 sei mit einer weiteren Verlängerung zu rechnen. Allenfalls werde ersucht, bei der Gemeinde N im Rechtshilfeweg anzufragen.

Die belangte Behörde führte in der Gegenschrift aus, es sei einsichtig, "daß ein bloß kurzfristiger Mietvertrag keine ortsübliche Unterkunft zu begründen vermag. Durch die Vorlage eines neuen Mietvertrages ergaben sich keinerlei Änderungen in der Beurteilung des Sachverhaltes. Der Mietvertrag wurde lediglich um ein halbes Jahr verlängert (in der Zwischenzeit ist jedoch auch etwa ein halbes Jahr verstrichen), sodaß weiterhin keine ortsübliche Unterkunft vorlag und somit der zwingende Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Ziff. 3 leg. cit. nach wie vor erfüllt war. Es steht nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit den Denkgesetzen, aber auch der Lebenserfahrung durchaus in Einklang, daß das Nichtvorhandensein einer geeigneten Unterkunft für einen Fremden zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte."

Bei diesen Überlegungen ließ die belangte Behörde außer acht, daß das Mietverhältnis in der Vergangenheit immer wieder - durch Abschluß jeweils eines neuen, auf sechs Monate befristeten Mietvertrages - verlängert wurde. Bei dieser Sachlage hätte die belangte Behörde nicht zuletzt im Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, daß auch nach dem 30. September 1993 mit einer weiteren Verlängerung zu rechnen sei, in nachvollziehbarer Weise aktenkundig machen müssen, wodurch nunmehr die Annahme gerechtfertigt sei, daß es - anders als bisher - zu keiner weiteren Verlängerung des Mietverhältnisses mehr kommen werde.

Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, verletzte sie Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltun sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Von der von der Beschwerdeführerin beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verorrdnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993180331.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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