TE Vfgh Beschluss 1991/6/10 V186/90

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Veröffentlicht am 10.06.1991
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
EinkaufszentrenV über die Zulässigkeit der Widmung von Sonderflächen für Einkaufszentren in der Kleinregion Wörgl und Umgebung, kundgemacht im "Boten für Tirol" vom 30.03.90 unter Nr. 312
Tir RaumOG §10 Abs2
Tir RaumOG §16b

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrages auf Aufhebung einer Verordnung betreffend das Entwicklungsprogramm für Einkaufszentren für die Region Wörgl mangels Legitimation; Antragsteller nicht Normadressat des Entwicklungsprogramms

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Die W M KG in Wörgl/Tirol stellte am 4. Mai 1990 mit Berufung auf Art139 B-VG iVm §§57 ff VerfGG 1953 den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge die von der (Tiroler) Landesregierung am 6. März 1990 gemäß den §§4 und 16 b des Tiroler Raumordnungsgesetzes 1984 (TROG 1984), LGBl. 4, erlassene Verordnung über die Zulässigkeit der Widmung von Sonderflächen für Einkaufszentren in der Kleinregion Wörgl und Umgebung, kundgemacht im "Boten für Tirol" vom 30. März 1990 unter Nr. 312, wegen Gesetzwidrigkeit aufheben.

1.2.1. Die angefochtene Verordnung (in der Folge: EinkaufszentrenV) hat folgenden Wortlaut:

"§1

Die Widmung von Sonderflächen für Einkaufszentren ist in der Stadtgemeinde Wörgl auf den Grundstücken Nr. .234, .394, .404, .530, .531, 158/5, 158/28 und 158/31, KG Wörgl-Kufstein, bis zu einem Höchstausmaß der Nutzfläche der Verkaufsräume von 3500 m2 zulässig. Dabei darf die Nutzfläche der Verkaufsräume, in denen Lebensmittel angeboten werden, nicht mehr als 400 m2 betragen.

§2

Auf anderen Grundstücken der Stadtgemeinde Wörgl und in den übrigen Gemeinden der Kleinregion Wörgl und Umgebung, das sind die Marktgemeinde Kundl sowie die Gemeinden Angath, Angerberg, Bad Häring, Breitenbach am Inn, Kirchbichl und Mariastein, ist die Widmung von Sonderflächen für Einkaufszentren nicht zulässig.

§3

Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft."

Gemäß §4 TROG 1984 hat die Landesregierung durch Verordnung Entwicklungsprogramme zu erlassen (überörtliche Raumordnung). Als solches Entwicklungsprogramm stellt sich die angefochtene Verordnung dar. Die Flächenwidmungspläne, deren Erlassung den Gemeinden obliegt (örtliche Raumordnung), dürfen derartigen Entwicklungsprogrammen nicht widersprechen (§10 Abs2 TROG 1984).

§16 b TROG 1984 (geändert mit der 6. TROG-Novelle, LGBl. 76/1990, in Kraft getreten am 20. Dezember 1990 (ArtIII der 6. TROG-Novelle)) steht unter der Überschrift "Sonderflächen für Einkaufszentren" (zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser Vorschrift: VfSlg. 11.626/1988). Gemäß §16 b Abs3 TROG idF vor der 6. Novelle (ebenso gemäß §16 b Abs6 TROG 1984 idF der 6. Novelle) dürfen Sonderflächen für Einkaufszentren im Flächenwidmungsplan ua. nur insoweit vorgesehen werden, als ein Entwicklungsprogramm bestimmt, daß eine dieser Widmung entsprechende Verwendung von Grundflächen in der betreffenden Gemeinde zulässig ist (siehe §1 EinkaufszentrenV).

1.2.2. Die Antragstellerin ist Eigentümerin dreier Grundstücke in der Katastralgemeinde Wörgl-Rattenberg, die unter §2 EinkaufszentrenV fallen. Sie gibt an, Vermieterin eines Einkaufszentrums zu sein, das dort seit Anfang der siebziger Jahre bestehe, und erachtet sich durch die - den Flächenwidmungsplan in Beziehung auf ihre Grundstücke berührende - angefochtene Norm in ihren Nutzungs- und Verwertungsrechten verkürzt.

1.2.3. Die zur Stellungnahme eingeladene Tiroler Landesregierung trat für die Zurückweisung, hilfsweise für die Abweisung des (Individual-)Antrags ein.

Dazu gab die Antragstellerin eine schriftliche Stellungnahme ab, worauf die Tiroler Landesregierung nochmals entgegnete.

Ua. brachte die Tiroler Landesregierung wörtlich vor:

    " . . . Entwicklungsprogramme betreffend Einkaufszentren

(richten sich) nach der Systematik des TROG 1984 unmittelbar nur an

die jeweiligen Gemeinden . . ., die die darin enthaltenen

Festlegungen bei der Erlassung des Flächenwidmungsplanes zu berücksichtigen haben. Zwar beeinflussen die Festlegungen dieser Entwicklungsprogramme solcherart den Inhalt der darauf aufbauenden Flächenwidmungspläne. Gerade dies zeigt jedoch, daß die Festlegungen von Entwicklungsprogrammen betreffend Einkaufszentren für den Rechtsunterworfenen nur über den Flächenwidmungsplan und damit nur mittelbar wirksam werden. Die erforderliche unmittelbare Betroffenheit der Antragstellerin liegt dagegen nicht vor. . ."

2. Über die Zulässigkeit des Antrags nach Art139 Abs1 B-VG wurde erwogen:

2.1. Gemäß Art139 Abs1 (letzter Satz) B-VG igF erkennt der Verfassungsgerichtshof "über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist; . . ."

2.2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur - beginnend mit seinen Beschlüssen VfSlg. 8009/1977 zu Art140 B-VG und VfSlg. 8058/1977 zu Art139 B-VG - ausführte, setzt die Antragslegitimation nicht nur voraus, daß die antragstellende Partei behauptet, unmittelbar durch die als verfassungs-(gesetz-)widrig angefochtene Gesetzes-(Verordnungs-)Bestimmung in ihren Rechten verletzt worden zu sein; sie verlangt überdies, daß dieses Gesetz (diese Verordnung) für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam wurde. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation bildet dabei der Umstand, daß das angefochtene Gesetz (die angefochtene Verordnung) die Rechtssphäre der betreffenden (natürlichen oder juristischen) Person berührt und - im Fall der Verfassungs-(Gesetz-)widrigkeit - verletzt. Jedoch nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsberechtigung zu; es ist vielmehr auch notwendig, daß unmittelbar durch das Gesetz (die Verordnung) selbst - tatsächlich - in die Rechtssphäre des Antragstellers eingegriffen wird. Ein solcher, die Antragslegitimation begründender Eingriff muß jedenfalls nach Art und Ausmaß durch das Gesetz (die Verordnung) eindeutig bestimmt sein und die rechtlich geschützten Interessen des Betroffenen nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigen.

2.2.2.1. Der Verfassungsgerichtshof befaßte sich in seiner Entscheidung VfSlg. 10.350/1985 mit der - als Landesraumplan iSd §§7 ff Vorarlberger Raumplanungsgesetz (RPG), LGBl. 15/1973, eingestuften - Verordnung der Vorarlberger Landesregierung über die Festlegung von überörtlichen Freiflächen in der Talsohle des Rheintales (GrünzonenV), LGBl. 8/1977, und sprach dazu der Sache nach aus, §8 RPG umschreibe die Wirkungen eines Landesraumplanes auf eine Art und Weise, daß sich daraus keine unmittelbare Wirkung auf die Rechte und Pflichten der Grundstückseigentümer ergebe: Die entscheidende Anordnung, wie die Grundstücke gewidmet würden, treffe der Flächenwidmungsplan; Adressat des Landesraumplanes sei hier (bloß) die Gemeinde.

2.2.2.2. Steht man auf dem Boden dieser Entscheidung und der Lehre (Fröhler/Oberndorfer, Österreichisches Raumordnungsrecht II (1986) S 172, 182 (FN 55)), so wird deutlich, daß auch die angefochtene EinkaufszentrenV nicht unmittelbar in die Rechte der Antragstellerin einzugreifen vermag. Nach §10 Abs2 TROG 1984 darf nämlich der Flächenwidmungsplan dem Entwicklungsprogramm nicht widersprechen (vgl. §8 Abs1, §12 Abs3 Vbg. RPG). Das nämliche gilt nach §16 b Abs3 TROG 1984 idF vor der 6. Novelle (ebenso nach §16 b Abs6 TROG 1984 idF der 6. Novelle). Auch die Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. 33/1989, vermeidet einen Bezug zu Entwicklungsprogrammen. Aus §31 Abs3 und 4 TBO läßt sich nicht ableiten, daß ein Bauansuchen abzuweisen ist, wenn das Bauvorhaben dem Entwicklungsprogramm zuwiderläuft. Diese Rechtsfolge tritt vielmehr nur dann ein, wenn dem Vorhaben der Flächenwidmungsplan, der Bebauungsplan, örtliche Bauvorschriften nach §20 TROG 1984, die TBO oder Verordnungen auf Grund der TBO entgegenstehen.

2.3. Aus all dem folgt, daß dem antragstellenden Unternehmen schon aus dem dargelegten Grund - und zwar wegen fehlender unmittelbarer Betroffenheit iSd Art139 B-VG - die Legitimation zur Stellung des in Behandlung stehenden (Individual-)Antrags nach Art139 Abs1 B-VG fehlt. Der Antrag war darum gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 igF - in nichtöffentlicher Sitzung - als unzulässig zurückzuweisen, ohne daß es einer weiteren Prüfung bedurfte, ob alle übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Geltungsbereich (persönlicher) einer Verordnung, Baurecht, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Planungsakte (Flächenwidmungsplan), Einkaufszentren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:V186.1990

Dokumentnummer

JFT_10089390_90V00186_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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