TE Vwgh Erkenntnis 1993/11/16 90/14/0108

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Veröffentlicht am 16.11.1993
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Index

61/01 Familienlastenausgleich;

Norm

FamLAG 1967 §2 Abs1 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der A in G, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 4. April 1990, Zl. B 33-4/1987, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe für den Zeitraum vom 1. November 1982 bis 30. April 1983 und 1. Dezember 1983 bis 31. Oktober 1984 sowie Lohnsteuernachforderung wegen nachträglicher Streichung des Alleinerhalterabsetzbetrages und des Kindesvermerkes auf der Lohnsteuerkarte für die Jahre 1983 und 1984, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.020,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Das Finanzamt überprüfte im Jahr 1985 den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Familienbeihilfe für ihren am 10. Oktober 1963 geborenen Sohn und forderte sodann mit Bescheid die für die Zeit vom 1. November 1982 bis 30. April 1983 und vom 1. Dezember 1983 bis 31. Oktober 1984 bezogene Familienbeihilfe von S 20.400,-- mit der Begründung zurück, der Sohn der Beschwerdeführerin habe am 10. Oktober 1982 das 19. Lebensjahr vollendet und werde nicht ordnungsgemäß für einen Beruf ausgebildet. Das Finanzamt sprach bescheidmäßig für den Zeitraum vom 1. Jänner 1983 bis 31. Dezember 1984 den Widerruf der Eintragung des Alleinerhalterabsetzbetrages und des Vermerkes eines Kindes in die Lohnsteuerkarte aus und forderte von der Beschwerdeführerin Lohnsteuer im Betrag von S 9.913,-- nach. Für 1983 und 1984 sei ein Kind zu Unrecht auf der Lohnsteuerkarte vermerkt gewesen, daher sei eine Nachversteuerung der sonstigen Bezüge und des geltend gemachten Alleinerhalterabsetzbetrages vorzunehmen.

In der Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, ihr Sohn habe nach Abbruch des Besuches eines Gymnasiums keine Aussicht auf eine Anstellung gehabt. Es habe sich daher nur noch die Möglichkeit eines Mittelschulabschlusses als Externist geboten. Der Sohn habe daher im Schuljahr 1982/1983 die G. Maturaschule besucht, wofür Zahlungen in Höhe von S 12.630,-- angefallen seien. Dieses Schuljahr sei "praktisch kaputt" gewesen, weil der Sohn vom April bis November 1983 das Bundesheer absolviert habe. Dem Sohn sei durch ein Schreiben des Landesschulrates für Steiermark vom 12. November 1982 mitgeteilt worden, daß er frühestens im Sommer 1984 zur Ablegung der Hauptprüfung zugelassen würde. Für das Schuljahr 1983/1984 habe die Beschwerdeführerin den Sohn in die Privatlehranstalt A. geschickt und Schulgeld in Höhe von S 18.040,-- bezahlt. Im März 1985 habe der Sohn eine Anstellung gefunden.

Die Beschwerdeführerin brachte in der Folge ein "nervenärztliches Attest" eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie bei. In diesem wird im wesentlichen festgestellt, beim Sohn der Beschwerdeführerin habe im Zeitpunkt der Untersuchung (26. November 1984) eine hochgradige Prüfungsneurose vorgelegen, wobei schwer depressive Züge mit Suizidgedanken nachweisbar gewesen wären; aufgrund der Exploration sei durchaus einsichtig gewesen, daß schon ab dem 17. Lebensjahr eine normale Leistungsanforderung nicht mehr erfüllt und auch eine Bewältigung von Prüfungssituationen nicht mehr gemeistert werden hätte können, da die Neurose hohen Krankheitswert angenommen habe.

In der abweisenden Berufungsvorentscheidung hielt das Finanzamt der Beschwerdeführerin vor, ihr Sohn habe im Oktober 1982 vom Gymnasium zur G. Maturaschule gewechselt und seither keine Prüfung abgelegt. Eine Berufsausbildung im Sinn des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 liege auch vor, wenn ein Kind die Externistenreifeprüfung ablegen wolle und sich tatsächlich und zielstrebig auf die Ablegung der Reifeprüfung vorbereite. Der Sohn der Beschwerdeführerin habe - auch aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes - keine Prüfungen abgelegt, es stehe auch kein voraussichtlicher Maturatermin fest. Aus diesen Umständen könne geschlossen werden, daß eine Ausbildung im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen nicht erfolge. Die Anmeldung an diversen Schulen und die Bezahlung des Schulgeldes reiche als Nachweis der Berufsausbildung nicht aus.

Im Antrag auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz wurde wiederum darauf verwiesen, daß zur Erlangung einer Ausbildung Schulgeld in Höhe von ca. S 30.000,-- verausgabt worden sei.

Die Externistenreifeprüfungskommission des Landesschulrates für Steiermark bestätigte, daß der Sohn der Beschwerdeführerin in der Zeit von Jänner 1986 bis März 1987 zu fünf Prüfungen angetreten sei.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Ziel einer Berufsausbildung sei die Erlangung der fachlichen Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes. Das Ablegen von Prüfungen, die in den Ausbildungsvorschriften vorgesehen sind, sei Bestandteil einer Berufsausbildung. Der Sohn der Beschwerdeführerin habe erst im Jänner 1986, also mehr als zwei Jahre nach Beendigung seines Präsenzdienstes, die erste Teilprüfung der Externistenreifeprüfung abgelegt. Aus dem ärztlichen Gutachten ergebe sich, daß bis zum Herbst 1984 ein Ausbildungserfolg krankheitsbedingt nicht zu erwarten gewesen sei. Die Berufsausbildung eines Kindes sei durch eine Krankheit nur dann nicht unterbrochen, wenn die Ausbildung nach Beendigung der Krankheit zielstrebig fortgesetzt werde. Zwischen der Genesung des Sohnes der Beschwerdeführerin und der Ablegung der ersten Teilprüfung sei ein Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren verstrichen. Ein zielstrebiges Fortsetzen der Ausbildung liege daher nicht vor. Da kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe, liege auch kein Kind im Sinne des § 119 EStG 1972 vor und seien die in § 57 Abs. 2 EStG 1972 genannten Voraussetzungen des Alleinerhalterabsetzbetrages nicht erfüllt.

Aus dem gesamten Vorbringen der Beschwerdeführerin ergibt sich, daß sie sich sowohl in ihrem Recht, Familienbeihilfe nicht rückzahlen zu müssen, als auch in ihrem Recht, nicht aufgrund des Widerrufes der Eintragung von Alleinerhalterabsetzbetrag und Kind in der Lohnsteuerkarte zur Lohnsteuer herangezogen zu werden, verletzt erachtet. Sie beantragt, den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

Gemäß § 119 EStG 1972 gelten als Kinder im Sinne dieses Bundesgesetzes jene Kinder, für die dem Steuerpflichtigen oder dem nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten Familienbeihilfe aufgrund des FLAG oder eine gleichartige ausländische Beihilfe im Sinne des § 4 FLAG gewährt wird.

Gemäß § 57 Abs. 2 EStG 1972 steht der Alleinverdienerabsetzbetrag auch einem Alleinerhalter mit mindestens einem Kind im Sinne des § 119 EStG 1972 zu.

Ziel einer Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG ist es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essentieller Bestandteil der Berufsausbildung. Berufsausbildung liegt daher nur vor, wenn die Absicht zur erfolgreichen Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen gegeben ist. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich die erfolgreiche Ablegung der Prüfungen gelingt (vgl. hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1987, 86/14/0059).

Der laufende Besuch einer Maturaschule für sich allein reicht nicht aus, um das Vorliegen einer Berufsausbildung im hier maßgeblichen Sinn anzunehmen. Hinzu muß das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um die Externisten-Reifeprüfung treten, das sich im Antreten zu den erforderlichen (Vor-)Prüfungen manifestiert. Zwar ist nicht der Prüfungserfolg ausschlaggebend; der Maturaschüler muß aber durch Prüfungsantritte innerhalb angemessener Zeit versuchen, die Voraussetzungen für die Zulassung zur Reifeprüfung zu erlangen (vgl. hg. Erkenntnis vom 17. September 1990, 89/14/0070). Ein ernstliches und zielstrebiges Bemühen wird aber nicht schon dann in Abrede zu stellen sein, wenn ein Kind mit vorgesehenen Prüfungen durch einige Zeit in Verzug gerät. Eine Ausbildung jedoch, bei der schon bald nach ihrem Beginn Prüfungen abzulegen sind, bei der das Kind aber während langer Zeit zu keiner Prüfung antritt, kann nicht als Berufsausbildung gewertet werden (vgl. hg. Erkenntnis vom 13. März 1991, 90/13/0241).

Die Unterbrechung der Ausbildung durch der Natur der Dinge entsprechende Unterbrechungen des tatsächlichen Ausbildungsvorganges sind für einen bereits vorher entstandenen Anspruch auf Familienbeihilfe nicht schädlich. Hiezu gehören Erkrankungen, die die Berufsausbildung auf begrenzte Zeit unterbrechen, genauso wie Urlaube und Schulferien (vgl. hg. Erkenntnis vom 15. Feber 1983, 82/14/0148). Bei einer mehrjährigen krankheitsbedingten Unterbrechung der tatsächlichen Berufsausbildung bleibt hingegen der Familienbeihilfenanspruch nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG nicht bestehen, weil die Berufsausbildung nicht mehr aufrecht ist (vgl. nochmals hg. Erkenntnis 89/14/0070).

Entscheidend ist im gegenständlichen Fall, ob der Sohn der Beschwerdeführerin in der Zeit vom November 1982 bis Oktober 1984 - abgesehen vom Zeitraum der Ablegung des Präsenzdienstes - in Berufsausbildung gestanden ist. Ob Berufsausbildung vorgelegen hat, ist zunächst eine Tatfrage, die die belangte Behörde in freier Beweiswürdigung zu beantworten hat.

Wäre der Sohn der Beschwerdeführerin im Zeitraum vom November 1982 bis Oktober 1984 aufgrund seiner Krankheit durchgehend gehindert gewesen, für die Ausbildung erforderliche Prüfungen abzulegen, könnte Ausbildung in diesem Zeitraum nicht angenommen werden. Aus dem vorgelegten nervenärztlichen Attest kann jedoch nicht abgeleitet werden, daß während des gesamten Zeitraumes die Möglichkeit zur Ablegung von Prüfungen nicht bestanden habe. Dafür spricht auch, daß der Sohn der Beschwerdeführerin während dieses Zeitraumes seinen Präsenzdienst absolviert hat. Auch aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich nicht, daß die belangte Behörde im Sachverhaltsbereich angenommen hätte, während des gesamten Zeitraumes wäre ununterbrochen das Ablegen von Prüfungen krankheitsbedingt unmöglich gewesen.

Die belangte Behörde hat aus dem Umstand, daß der Sohn der Beschwerdeführerin erst ab Jänner 1986 Teilprüfungen zur Matura abgelegt hat, geschlossen, daß im Streitzeitraum keine Ausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG vorgelegen habe. In der Beschwerde wird als Rechtswidrigkeit des Inhaltes gerügt, daß wegen der erst später abgelegten Prüfungen für den Zeitraum bis Oktober 1984 das Vorliegen einer Ausbildung verneint wird. In Wahrheit bekämpft damit die Beschwerdeführerin die Beweiswürdigung der belangten Behörde und ist damit im Recht. Wesentliche Verfahrensmängel sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch ohne Antrag in der Beschwerde von Amts wegen wahrzunehmen.

Die belangte Behörde hatte zu untersuchen, ob der Schulbesuch des Sohnes der Beschwerdeführerin von dessen Absicht zur erfolgreichen Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen begleitet war. Zum Schuljahr 1982/1983 brachte die Beschwerdeführerin in der Berufung vor, daß dieses ab April 1983 durch die Ableistung des Präsenzdienstes unterbrochen war. Sie brachte weiters vor, daß nach einer Mitteilung des Landesschulrates vor Sommer 1984 mit der Ablegung der Hauptprüfungen nicht hätte begonnen werden können. Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid auf diese Vorbringen nicht ein. Sie hätte unter Berücksichtigung dieser Vorbringen prüfen müssen, ob aus dem Umstand, daß der Sohn der Beschwerdeführerin nicht zu Prüfungen angetreten ist, auf das Fehlen der Absicht zur erfolgreichen Ablegung derartiger Prüfungen geschlossen werden kann. Als Indizien wären in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen gewesen, daß die Beschwerdeführerin nicht unbeträchtliche Aufwendungen an Schulgeldern getragen hat und daß das späte Ablegen von Prüfungen in der mit März 1985 aufgenommenen Berufstätigkeit ihres Sohnes begründet sein kann. Da die belangte Behörde auf diese Einwendungen nicht eingegangen ist, hat sie Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung ein anders lautender Bescheid hätte ergehen können.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, was zu einer Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG führen muß.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

Berufsausbildung, Berufsfortbildung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1990140108.X00

Im RIS seit

01.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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