TE Vwgh Erkenntnis 1993/11/16 90/08/0178

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Veröffentlicht am 16.11.1993
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §502 Abs1;
ASVG §502 Abs4;
ASVG §502 Abs5;
ASVG §502 Abs6 idF 1989/642;
ASVG §502 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des B in USA, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. August 1990, Zl. MA 14-M 50/87, betreffend Begünstigung nach den §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines ablehnenden Ausspruches betreffend die Zeit vom 1. Mai 1945 bis 31. März 1959 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 7. Juli 1987 sprach die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt aus, daß dem am 26. November 1925 geborenen Beschwerdeführer die Zeiten vom 1. Juli 1939 bis 31. Mai 1940 und vom 19. Mai 1941 bis 30. April 1945 gemäß § 502 Abs. 6 ASVG als Pflichtbeitragszeiten mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage beitragsfrei angerechnet würden. Eine weiterreichende Begünstigung für die Zeiten vom 4. März 1933 bis 30. Juni 1939, vom 1. Juni 1940 bis 18. Mai 1941 und vom 1. Mai 1945 bis 31. März 1959 wurde hingegen gemäß den §§ 500 ff ASVG abgelehnt.

Die auf § 502 Abs. 6 ASVG gestützte Entscheidung begründete die mitbeteiligte Partei im wesentlichen damit, der Beschwerdeführer hätte am 12. März 1938 seinen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich gehabt und aus Gründen, auf die er keinen Einfluß gehabt habe, vor der Schädigung keine Beitrags- oder Ersatzzeiten erwerben können. Der Beschwerdeführer habe glaubhaft dargetan, aus den in §§ 500 ASVG angeführten Gründen in der Zeit vom 1. Juli 1939 bis 31. Mai 1940 im Inland arbeitslos und vom 19. Mai 1941 bis 30. April 1945 inhaftiert gewesen zu sein. Das Ermittlungsverfahren habe ferner ergeben, daß die Voraussetzungen zur Anwendung des § 502 Abs. 7 ASVG nicht erfüllt seien.

In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch beantragte der Beschwerdeführer die "Vollbegünstigung" bis 31. März 1959, da Zeiten einer Beschäftigung als Arbeiter auf dem Friedhof der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien vorlägen.

Mit Bescheid vom 6. August 1987 lehnte die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter die vom Beschwerdeführer beantragte begünstigte Anrechnung ab, da dieser einen glaubhaften Nachweis über die von ihm behauptete Tätigkeit von Juni 1940 bis Mai 1941 nicht habe erbringen können. Der dagegen erhobene Einspruch wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 12. März 1990 abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch des Beschwerdeführers als unbegründet ab und bestätigte den Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 7. Juli 1987. Nach der Begründung weise der Beschwerdeführer die für eine Begünstigung gemäß § 502 Abs. 1, 4 und 5 ASVG erforderlichen Vorversicherungszeiten nicht auf, sodaß aus diesem Grund lediglich die Zeit der Arbeitslosigkeit im Inland vom 1. Juli 1939 bis 31. Mai 1940 sowie die Zeit der Anhaltung in mehreren Konzentrationslagern vom 19. Mai 1941 bis 30. April 1945 gemäß § 502 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 ASVG beitragsfrei habe angerechnet werden können. Die Zeit der Auswanderung von November 1946 bis 31. März 1959 könne deswegen nicht begünstigt angerechnet werden, weil es sich dabei um eine sogenannte "Spätemigration" handle, die nur im Rahmen der Bestimmungen des § 502 Abs. 5 ASVG begünstigungsfähig sei. Dafür sei jedoch - wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0101, festgestellt habe - eine vor dem 9. Mai 1945 zurückgelegte Vorversicherungszeit zwingend erforderlich. § 502 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 4 ASVG sei hingegen nur dann anwendbar, wenn die Auswanderung bis zum 9. Mai 1945 erfolgt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt - eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 500 ASVG werden Personen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, Personen, die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 begünstigt.

Nach § 502 Abs. 1 erster Halbsatz ASVG, gelten Zeiten einer aus den Gründen des § 500 veranlaßten Untersuchungshaft, Verbüßung einer Freiheitsstrafe, Anhaltung oder Arbeitslosigkeit, ferner Zeiten der Ausbürgerung (§ 501 Abs. 1) für Personen, die vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226, Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 oder Zeiten nach den Auslandsrenten - Übernahmegesetz (ARÜG) - erworben haben, als Pflichtbeitragszeiten mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage.

Gemäß § 502 Abs. 1 letzter Satz gelten Zeiten der Auswanderung gemäß Abs. 4 bis 31. März 1959 ab Vollendung des 15. Lebensjahres der in Betracht kommenden Person als Ersatzzeiten, wenn ihnen eine Beitrags- oder Ersatzzeit vorangeht oder nachfolgt, und zwar in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt, bzw. beim Fehlen einer solchen, in den Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt.

Nach § 502 Abs. 4 ASVG können Personen, die in der in §§ 500 angeführten Zeit aus einem der dort angeführten Gründe ausgewandert sind und die vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 oder Zeiten nach dem ARÜG zurückgelegt haben, für die Zeiten der Auswanderung, längstens aber für die Zeit bis 31. März 1959, Beiträge nachentrichten.

Gemäß § 502 Abs. 5 ASVG gilt Abs. 4 entsprechend auch für Personen, die sich nach dem 9. Mai 1945 in Österreich aufgehalten haben und danach ausgewandert sind, sofern diese Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluß hatte, nicht früher möglich war und sie nicht später als am 31. Dezember 1949 erfolgt ist.

Gemäß § 502 Abs. 6 ASVG in der Fassung der 48. ASVG-Novelle BGBl. Nr. 642/1989 gelten Abs. 1 und 4 auch für Personen, die vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Ausbürgerung oder Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluß hatte, keine Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß den §§ 228 und 229 zurückgelegt haben, sofern der (die) Betreffende am 12. März 1938 seinen (ihren) Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und, in den Fällen des Abs. 4, in der Zeit vom 12. März 1938 bis 9. Mai 1945 das 15. Lebensjahr vollendet hat.

Nach Ansicht der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer lediglich für die Zeit seiner Arbeitslosigkeit im Inland und für die Zeit seiner Anhaltung in verschiedenen Konzentrationslagern begünstigt anrechenbare Pflichtbeitragszeiten gemäß § 502 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 6 ASVG aufzuweisen, die jedoch keine Vorversicherungszeiten der in § 502 Abs. 4 ASVG genannten Art seien. Solche Vorversicherungszeiten seien jedoch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0101) Voraussetzung für eine Begünstigung einer sogenannten "Spätemigration" nach § 502 Abs. 5 ASVG.

Der Beschwerdeführer vertritt demgegenüber die Auffassung, daß die in § 502 Abs. 6 ASVG in der Fassung der 48. Novelle normierte Erweiterung der Begünstigung nicht nur in den Fällen einer in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 erfolgten Emigration, sondern auch bei einer nach dem 9. Mai 1945 erfolgten Spätemigration im Sinne des Abs. 5 dieser Bestimmung zur Anwendung kommen müßte. Es bestehe kein Grund, Spätemigranten bezüglich Vorversicherungszeiten schlechter zu stellen als "normale" Emigranten.

Dieser Auffassung kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Im Beschwerdefall ist davon auszugehen, daß der am 26. November 1925 geborene Beschwerdeführer nach § 502 Abs. 6 ASVG idF der 44. Novelle in Verbindung mit § 502 Abs. 4 und 5 leg. cit. schon deshalb keinen Anspruch auf Feststellung einer Begünstigung für die Zeit seiner Auswanderung hatte, weil er am 12. März 1938 nicht älter als 14 Jahre war. Ein solcher Anspruch ist jedoch aus § 502 Abs. 6 idF der 48. Novelle zum ASVG ableitbar. Der in dieser Bestimmung enthaltene ausdrückliche Verweis auf Abs. 4 ist nämlich einerseits wegen des auch in § 502 Abs. 5 leg. cit. enthaltenen Verweises auf Abs. 4 und andererseits im Hinblick auf die in den Erläuternden Bemerkungen zu dieser Novelle zum Ausdruck kommende Absicht des Gesetzgebers auch als Verweis auf Abs. 5 des § 502 ASVG zu lesen. § 502 Abs. 4 ASVG nennt zwei Voraussetzungen für die Anrechnung der Zeit der Auswanderung als Versicherungszeit, nämlich den Erwerb von Vorversicherungszeiten einerseits und die Lagerung des Zeitpunktes der Auswanderung innerhalb des Zeitraumes des § 500 ASVG, d.h. bis spätestens 9. Mai 1945. Von diesen Tatbestandsmerkmalen des § 502 Abs. 4 ASVG dispensieren Abs. 5 und 6 unter jeweils unterschiedlichen Voraussetzungen:

Abs. 5 dispensiert vom Erfordernis der Auswanderung bis 9. Mai 1945, sofern die AUSWANDERUNG aus Gründen, auf die der Betreffende keinen Einfluß hatte, nicht früher möglich war und sie nicht später als am 31. Dezember 1945 erfolgt ist. Abs. 6 dispensiert vom Erfordernis der Vorversicherungszeit, sofern der Betreffende am 12. März 1938 seinen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und in der Zeit vom 12. März 1938 bis 9. Mai 1945 das 15. Lebensjahr vollendet hat (in der Fassung vor der 51. Novelle zum ASVG) und aus Gründen, auf die der Betreffende keinen Einfluß hatte, keine VORVERSICHERUNGSZEITEN der genannten Art erworben sind. Daraus ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes die Schlußfolgerung zu ziehen, daß in einer Begünstigungssache nicht nur ENTWEDER Abs. 5 ODER Abs. 6 angewendet werden können, sondern daß - wenn die Voraussetzungen für die Anwendung der beiden Bestimmungen jeweils vorliegen - auch beide nebeneinander angewendet werden können. Die Auffassung der belangten Behörde, es würde ein von der Verfolgung Betroffener, der die Voraussetzungen des Abs. 6 erfüllt, ungeachtet des Umstandes, daß er auch die Voraussetzungen des Abs. 5 erfüllt, nicht in den Genuß der Anrechnung der Auswanderungszeiten kommen können, ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch aus folgenden, in der Entstehungsgeschichte der beiden Bestimmungen gelegenen Gründen nicht zu folgen: § 502 Abs. 5 ASVG wurde zuletzt durch die 41. Novelle zum ASVG geändert. In den auf diese Bestimmung bezughabenden Erläuterungen (vgl. 774 Blg NR. XVI. GP., S 50) heißt es u.a. daß die in der 32. Novelle zum ASVG getroffene Regelung nicht ausreiche um eine Begünstigung in jenen Fällen durchzuführen, in denen die Auswanderer an ihrem Fluchtort neuerlich interniert wurden und erst nach ihrer Rückkehr nach Österreich Gelegenheit zur endgültigen Auswanderung gefunden haben. § 502 Abs. 5 ASVG solle daher (neuerlich) dahin geändert werden, daß auch sogenannte "Spätemigranten" in jedem Fall in den Genuß der Begünstigungsbestimmungen gemäß §§ 500 ff ASVG kommen sollen.

Die mit 1. Jänner 1990 in Kraft getretene 48. Novelle zum ASVG brachte im wesentlichen eine Erweiterung des für die Fälle der Auswanderung zur Beitragsnachentrichtung berechtigten Personenkreises, die bereits mit der 44. Novelle eingeleitet worden war: Nach dieser (am 1. Jänner 1988 in Kraft getretene) Novelle war u.a. eine Beitragsnachentrichtung für Zeiten der Auswanderung auch dann möglich, wenn der Emigration aus Gründen, auf die der einzelne keinen Einfluß hatte, keine Beitrags- oder Ersatzzeiten vorangegangen sind. Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieser Verbesserung war lediglich der Wohnsitz des Betroffenen in Österreich am 12. März 1938 und darüber hinaus das Erfordernis, daß er an diesem Tag älter als 14 Jahre war.

Da diese Regelung von verschiedenen Seiten als zu eng empfunden wurde, erfolgte mit der 48. Novelle zum ASVG eine weitere Verbesserung dergestalt, daß - abgesehen von der weiterhin bestehenbleibenden Bedingung des Wohnsitzes am 12. März 1938 in Österreich - eine Beitragsnachentrichtung ab dem 15. Lebensjahr des Emigranten zulässig ist, wenn er zwischen dem 12. März 1938 und dem 9. Mai 1945 das 15. Lebensjahr vollendet hat. Für die Erweiterung der Begünstigung waren dabei in erster Linie nicht streng sozialversicherungsrechtliche Überlegungen, sondern solche humanitärer Art maßgeblich (vgl. AB 1142 BlgNR 17. GP, S. 3 ff). Es läßt sich kein Anhaltspunkt dafür finden, daß der Gesetzgeber der 48. Novelle von jenen Überlegungen, die er betreffend die "Spätemigranten" zuletzt zur 41. Novelle zum ASVG angestellt hat, abrücken wollte.

Im Hinblick auf die Absicht des Gesetzgebers und die dargelegten Umstände, sind auch sogenannte "Spätemigranten" unter den Voraussetzungen des Abs. 6 zu begünstigen. Dafür spricht auch, daß nicht erkennbar ist, daß der Gesetzgeber den bei der Schaffung des Abs. 5 in der 41. Novelle zum ASVG zum Ausdruck kommenden Grundgedanken aufgeben wollte.

Aufgrund dieser Erwägungen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser im Umfang seines ablehnenden Ausspruches für die Zeit vom 1. Mai 1945 bis 31. März 1959 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1990080178.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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