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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §299 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Dr. Baumann und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Hutter, über die Beschwerde des K in B, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg vom 21. August 1990, GZ. 1181-2/90, betreffend Bescheidbehebung gemäß § 299 Abs. 2 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Pensionist und bezog im Jahr 1988 neben seiner inländischen Pension von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten eine ausländische Firmenpension von seinem ehemaligen Arbeitgeber, der in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen R-AG.
Für das Jahr 1988 legte der Beschwerdeführer eine Einkommensteuererklärung und gab dazu in einem Beiblatt an, daß seine beiden Pensionsbezüge bis einschließlich 1987 im Wege des amtlichen Jahresausgleiches versteuert worden seien. Weil ab 1. April 1988 das Ruhegeld nicht mehr über die inländische Betriebsstätte der R-AG in B, sondern durch das deutsche Stammwerk ausbezahlt werde, seien seine Bezüge ab 1988 "durch eine Einkommensteuererklärung" zu versteuern.
Im Einkommensteuerbescheid vom 9. Juni 1989 setzte das Finanzamt als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit lediglich S 70.981,-- an. Es handelte sich dabei um die von der R-AG, Betriebsstätte B, bis 31. März 1988 bezahlten (und lohnbesteuerten) Pensionsbezüge. Die inländischen Ruhebezüge der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten blieben zur Gänze außer Ansatz; die vom 1. April 1988 bis 31. Dezember 1988 erhaltene Firmenpension der R-AG in Höhe von S 207.877,-- berücksichtigte das Finanzamt als ausländische Einkünfte zur Ermittlung der Einkommensteuer unter Progressionsvorbehalt.
Mit Bescheid vom 20. Juli 1989 nahm das Finanzamt das Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer für 1988 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf. Im wiederaufgenommenen Verfahren erging ein Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1988, in dem das Finanzamt zusätzlich die Pensionsbezüge der inländischen Pensionsversicherungsanstalt bei der Einkommensermittlung berücksichtigte, die ab 1. April 1988 bezogene Betriebspension der R-AG jedoch weiterhin lediglich zur Ermittlung des Einkommensteuerprogressionssatzes heranzog.
Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde den Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes vom 20. Juli 1989 gemäß § 299 Abs. 2 BAO auf. Der Aufhebungsbescheid ist mit 21. August 1990 datiert, die Zustellung an den Beschwerdeführer erfolgte laut Rückscheinbrief am 31. August 1990. Zur Bescheidaufhebung führte die belangte Behörde aus, daß das Finanzamt die von der R-AG bezogene Pension unrichtigerweise als solche behandelt habe, hinsichtlich derer der Bundesrepublik Deutschland das Besteuerungsrecht zustehe. Nach den Bestimmungen des Art. 9 Abs. 4 und des Art. 10 des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland stehe dem Wohnsitzstaat (und damit Österreich) das Besteuerungsrecht an den in Rede stehenden Pensionsbezügen zu. Dadurch, daß das Finanzamt diese Einkünfte lediglich zum Progressionsvorbehalt herangezogen habe, sei der Einkommensteuerbescheid 1988 mit einer Rechtswidrigkeit belastet. Im öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sei dieser in Ausübung des Aufsichtsrechtes aufzuheben.
In der Beschwerde wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht:
Der Beschwerdeführer habe selbst dem Finanzamt seine Bedenken an der Richtigkeit des ersten Einkommensteuerbescheides vom 9. Juni 1989 telefonisch mitgeteilt. In der Folge sei im Einkommensteuerbescheid vom 20. Juli 1989 die Einkommensteuer für das Jahr 1988 mit S 12.941,-- festgesetzt worden. Der nunmehr nach Bescheidaufhebung ergangene Einkommensteuerbescheid 1988 vom 21. August 1990 weise eine Steuerschuld von S 96.275,-- aus.
Gemäß § 302 Abs. 1 BAO sei die Aufhebung nach § 299 Abs. 2 BAO genauso wie die Aufhebung nach Abs. 1 dieser Bestimmung höchstens bis zum Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft des Bescheides zulässig. Der Einkommensteuerbescheid vom 20. Juli 1989 sei spätestens am "2. Juli 1989" zugestellt worden. Der Beschwerdeführer habe kein Rechtsmittel ergriffen, sodaß die Rechtskraft spätestens am 21. August 1989 eingetreten sei. Der Einkommensteuerbescheid vom 20. Juli 1990 sei erst mit Bescheid vom 21. August 1990 aufgehoben worden. Dieser Aufhebungsbescheid sei dem Beschwerdeführer am 31. August 1990, also mehr als ein Jahr nach Rechtskraft des aufgehobenen Bescheides, zugestellt worden. Die Frist des § 302 Abs. 1 BAO sei somit versäumt. Auch sei der Einkommensteuerbescheid vom 20. Juli 1989 nicht aus den von der FLD angenommenen Gründen rechtswidrig, weil der Sachverhalt nicht unter den Anwendungsbereich des Doppelbesteuerungsabkommens falle. Der Beschwerdeführer habe niemals in der BRD gearbeitet oder dort seinen Wohnsitz gehabt. Die BRD hätte nach innerdeutschem Recht keine Möglichkeit gehabt, die Betriebspension zu besteuern. Die Kollisionsnorm des Art. 9 DBA-BRD stelle zudem auf eine Tätigkeit in einem anderen als dem Wohnsitzstaat ab. Der Bescheid vom 20. Juli 1989 stehe mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen nicht im Widerspruch. Aus diesem Grund komme eine Aufhebung nach § 299 Abs. 4 BAO nicht in Betracht, abgesehen davon sei der angefochtene Bescheid auch gar nicht auf diese Gesetzesstelle gestützt worden. Der Beschwerdeführer habe im Vertrauen auf die Richtigkeit des aufgehobenen Bescheides die aus dem Jahre 1988 zugekommenen Mittel gutgläubig verbraucht und nach Zustellung des Bescheides vom 29. August 1989 zur Begleichung der Steuerschuld einen Kredit in Anspruch nehmen müssen. Es erscheine unbillig, im gegebenen Fall den Grundsatz der Rechtmäßigkeit vor den Grundsatz des Vertrauens auf die Rechtssicherheit zu stellen.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. In der Gegenschrift hat die belangte Behörde eingeräumt, daß der angefochtene Bescheid offenbar nicht innerhalb der Jahresfrist des § 302 Abs. 1 BAO zugestellt worden sei (der aufgehobene Bescheid dürfte spätestens am 24. Juli 1989 - beim Datum "2. Juli 1989" laut Beschwerde handle es sich offenkundig um einen Schreibfehler -, der angefochtene Bescheid am 31. August 1990 zugestellt worden sein). Da der Einkommensteuerbescheid vom 20. Juli 1989 wegen Widerspruches mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen aufgehoben worden sei, komme die Jahresfrist des § 302 Abs. 1 BAO allerdings nicht zum Tragen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die ersten vier Absätze des § 299 BAO haben folgenden
Wortlaut:
"(1) In Ausübung des Aufsichtsrechtes kann ein Bescheid von der Oberbehörde aufgehoben werden,
a) wenn er von einer unzuständigen Behörde, von einem hiezu nicht berufenen Organ oder einem nicht richtig zusammengesetzten Kollegialorgan einer Behörde erlassen wurde, oder
b) wenn der dem Bescheid zugrunde liegende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde, oder
c) wenn Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können.
(2) Ferner kann ein Bescheid von der Oberbehörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
(3) Die Entscheidung eines Berufungssenates darf wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes (Abs. 2) nur aufgehoben werden, wenn diese Entscheidung mit Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof angefochten ist.
(4) Ohne Rücksicht auf die einschränkenden Bestimmungen des Abs. 3 kann ein Bescheid von der Oberbehörde aufgehoben werden, wenn er mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen im Widerspruch steht."
Nach dem ersten Satz des § 302 BAO sind, abgesehen von den Fällen des § 209a Abs. 2 BAO, Maßnahmen u.a. gemäß § 299 Abs. 4 BAO bis zum Ablauf der Verjährungsfrist (§ 207 Abs. 2 BAO) und Maßnahmen gemäß § 299 Abs. 1 und 2 nur bis zum Ablauf eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides zulässig.
Der angefochtene Bescheid stützt sich im Spruch auf § 299 Abs. 2 BAO. Aus der Begründung ergibt sich, daß die Aufhebung wegen Widerspruches mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen erfolgt sei. Für diesen im § 299 Abs. 4 BAO erwähnten Sondertatbestand der Rechtswidrigkeit eines Bescheides käme die im Beschwerdefall unbestritten abgelaufene Jahresfrist des § 302 BAO nicht zur Anwendung.
Die gegenständliche Bescheidbehebung kann allerdings nicht auf § 299 Abs. 4 BAO gestützt werden:
Staatsverträge zur Vermeidung der Doppelbesteuerung grenzen die Besteuerungsrechte der vertragschließenden Staaten gegeneinander ab und bestimmen, in welchem Fall der eine und in welchem Fall der andere Staat Einkünfte, bei denen sich steuerliche Anknüpfungspunkte zu beiden Staaten ergeben, besteuern kann (vgl. Philipp-Loukota-Jirousek, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Wien 1976 idF der 13. Lieferung Juli 1993, Anm. 14 zu Z O). Die Zuteilungsregeln beschränken die nationalen Besteuerungsmöglichkeiten und sehen damit gegenseitige internationale Verpflichtungen vor. Verletzt ein Steuerbescheid diese Verpflichtungen, steht er mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen im Widerspruch. Durch die Bestimmung des § 299 Abs. 4 BAO - und die sich daran anknüpfende verlängerte Behebungsfrist nach § 302 BAO - sollte sichergestellt werden, daß die sich aus abgabenrechtlichen zwischenstaatlichen Vereinbarungen ergebenden Verpflichtungen eingehalten werden können (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung-Handbuch, Wien 1980, S. 716, Bechinie-Fritsch, Bundesabgabenordnung, Wien 1961, S. 168 sowie die EB zu § 299 BAO, 228 Blg. Sten.Prot. NR IX. GP).
Mit der Nichtbesteuerung der ausländischen Firmenpension hat das Finanzamt zwar innerstaatliches Recht, nicht aber internationale Vereinbarungen verletzt. Art. 9 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung u. a. auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen (DBA-BRD), BGBl. Nr. 221/1955, beläßt das Besteuerungsrecht an Ruhebezügen dem Wohnsitzstaat. Daraus ergibt sich aber noch keine internationale Verpflichtung, von diesem Besteuerungsrecht tatsächlich Gebrauch zu machen. Unterbleibt eine Besteuerung, liegt kein Widerspruch mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen und kein Anwendungsfall des § 299 Abs. 4 BAO vor.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1990140222.X00Im RIS seit
13.06.2001