TE Vwgh Erkenntnis 1993/11/16 92/08/0191

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Veröffentlicht am 16.11.1993
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Index

L92109 Behindertenhilfe Pflegegeld Rehabilitation Wien;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §68 Abs1;
BehindertenG Wr 1986 §26;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 21. August 1992, Zl. MD-VfR-B 13/92, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Pflegegeld nach dem Wiener Behindertengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 27. August 1991 wies der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 12, den Antrag des Beschwerdeführers auf Behindertenhilfe bzw. Pflegegeld vom 18. April 1991 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

Der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. Nach der Bescheidbegründung sei der Antrag des Beschwerdeführers vom 18. April 1991, mit dem er neuerlich Pflegegeld (gemäß den §§ 26 ff des Wiener Behindertengesetzes, LGBl. Nr. 16/1986) beantragt habe, von der erstinstanzlichen Behörde gemäß § 68 Abs. 1 AVG mit der Begründung zurückgewiesen worden, daß der Beschwerdeführer bereits am 27. Juni 1990 einen Antrag auf Gewährung von Pflegegeld gestellt habe, dieser Antrag aber mit rechtskräftigem Bescheid vom 24. Oktober 1990 abgewiesen worden sei. Der zuletzt genannte Bescheid sei deshalb in Rechtskraft erwachsen, weil das vom Beschwerdeführer eingebrachte Rechtsmittel keinen begründeten Berufungsantrag enthalten habe und daher (mit Bescheid der belangten Behörde vom 8. Februar 1991) zurückzuweisen gewesen sei. Der rechtskräftige Bescheid der erstinstanzlichen Behörde vom 24. Oktober 1990 sei davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer nach dem eingeholten amtsärztlichen Gutachten vom 28. August 1990 für lebenswichtige, wiederkehrende Verrichtungen, wie die Zubereitung einfacher Speisen, die einfache Reinigung der Wohnung und das Einkaufengehen, wohl der Hilfe, nicht aber der Wartung bedürfe. Da auch das amtsärztliche Gutachten vom 19. Juli 1991 zum selben Ergebnis gelangt sei, sei der Antrag des Beschwerdeführers vom 18. April 1991 wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen. In der dagegen erhobenen Berufung habe der Beschwerdeführer im wesentlichen ausgeführt, daß er an erhöhtem Atemwegswiderstand sowie an Diabetes und einem Herzleiden laboriere und daher dauernder Wartung und Hilfe bedürfe. Weiters habe er einen Bandscheibenschaden, der manchmal so schlimm sei, daß er bettlägerig sei und in dieser Zeit auch der Wartung bedürfe, weil er dann nicht nur kein einfaches Essen zubereiten und nicht einkaufen, sondern sich auch nicht reinigen oder sonst irgend etwas tun könne. Weiters sei der Bescheid vom 24. Oktober 1990 nicht in Rechtskraft erwachsen, weil der Beschwerdeführer sehr wohl einen begründeten Berufungsantrag gestellt habe. Dazu habe die belangte Behörde folgendes erwogen: Bei einer neuerlichen Untersuchung des Beschwerdeführers durch den Amtssachverständigen am 3. April 1992 seien bei ihm eine rezidivierende Bronchitis bei Asthma bronchiale, Diabetes mellitus sowie ein Lumbalsyndrom auf Basis degenerativer Wirbelsäulenveränderungen festgestellt worden. Dies decke sich mit den Befunden der beiden vorangegangenen Gutachten vom 28. August 1990 sowie vom 19. Juli 1991. In dem auf diesem Befund basierenden Gutachten sei festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer zwar für die einfache Reinigung der Wohnung und zum selbständigen Einkaufengehen dauernd der Hilfe durch eine andere Person bedürfe, jedoch keineswegs zum An- und Auskleiden, zur Körperreinigung, zum Essen und Trinken oder zur Verrichtung der Notdurft der Wartung durch eine andere Person bedürfe sowie auch nicht dauernd bettlägerig sei. Zu diesem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten sei seitens des Beschwerdeführers keine Stellungnahme abgegeben worden. Das Gutachten sei somit der Entscheidung der belangten Behörde zugrundezulegen gewesen. Daraus ergebe sich aber, daß im gegenständlichen Fall keine Änderung des Sachverhaltes im Vergleich zu jenem, der der Entscheidung vom 24. Oktober 1990 zugrunde gelegt worden sei, vorliege, zumal auch vom Beschwerdeführer selbst keine dauernde, sondern lediglich eine zeitweise Bettlägerigkeit angegeben worden sei. Entgegen seiner Auffassung sei der Bescheid der erstinstanzlichen Behörde vom 24. Oktober 1990 in Rechtskraft erwachsen, weil seine Berufung mit Bescheid der belangten Behörde vom 8. Februar 1991 als unzulässig zurückgewiesen und dieser Berufungsbescheid vom Beschwerdeführer nicht weiter bekämpft worden sei. Da sich somit weder der der rechtskräftigen Entscheidung vom 24. Oktober 1990 zugrunde liegende Sachverhalt noch die Gesetzeslage geändert habe, sei der Antrag des Beschwerdeführers vom 18. April 1991 zu Recht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, nach der sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Gewährung von Pflegegeld gemäß § 26 des Wiener Behindertengesetzes 1986 verletzt erachtet. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes macht er unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, daß die belangte Behörde auf sein Vorbringen, daß er infolge eines Bandscheibenschadens zeitweise bettlägerig sei, nicht näher eingegangen sei. Die belangte Behörde habe sein diesbezügliches Vorbringen nur zitiert, aber keine ärztliche Untersuchung veranlaßt, die aber notwendig gewesen wäre, um das genannte Leiden, das nur zeitweise akut werde, festzustellen. Hätte sie dies getan, so wäre sie zum Schluß gekommen, daß eine zeitweise Bettlägerigkeit vorliege, aufgrund derer Pflegegeld nach § 26 Abs. 2 des Wiener Behindertengesetzes 1986 zu gewähren gewesen wäre. Inhaltlich rechtswidrig sei der angefochtene Bescheid deshalb, weil die belangte Behörde feststelle, es liege im gegenständlichen Fall keine Änderung des Sachverhalts im Vergleich zu jenem, der der Entscheidung vom 24. Oktober 1990 zugrunde gelegen sei, eingetreten, weil vom Beschwerdeführer selbst keine dauernde, sondern lediglich eine zeitweise Bettlägerigkeit angegeben worden sei. Eine dauernde Bettlägerigkeit sei jedoch nur für die Gewährung von Pflegegeld der Stufe II nach § 26 Abs. 3 des Wiener Behindertengesetzes 1986 erforderlich. Für die Gewährung von Pflegeld der Stufe I nach § 26 Abs. 2 des Wiener Behindertengesetzes 1986 genüge demnach aber nach einer Auslegung aus dem Zusammenhang der beiden Bestimmungen schon eine zeitweise Bettlägerigkeit. Auch bedürfe der Beschwerdeführer ständig sowohl der Wartung als auch der Hilfe, weil ja nicht vorhersehbar sei, zu welchen Zeiten die Bettlägerigkeit eintrete. Aus dem Sinnzusammenhang der Abs. 2 und 3 der genannten Bestimmung ergebe sich auch, daß "ständig" in Abs. 2 eine gegenüber dem Termini "dauernd" und "ununterbrochen" in Abs. 3 eingeschränkte Bedeutung haben müsse. Es sei daher unrichtig, daß keine rechtserhebliche Änderung des Sachverhaltes im Vergleich zur rechtskräftigen früheren Entscheidung vorliege und somit der Antrag nach § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen sei. Die belangte Behörde hätte daher den zurückweisenden Bescheid der erstinstanzlichen Behörde aufheben und die Sache zur Fällung einer meritorischen Entscheidung an sie zurückverweisen müssen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 bis 71 leg. cit. die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet und auch in den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften keine Sonderregelung vorgesehen ist (§ 68 Abs. 6 leg. cit.) - mit einem verfahrensrechtlichen Bescheid (vgl. das Erkenntnis vom 5. September 1980, Zl. 620/78, mit der dort zitierten Judikatur) - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Dem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung stehen Ansuchen gleich, die eine erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, da § 68 Abs. 1 leg. cit. in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern soll (vgl. die Erkenntnisse vom 3. Juli 1970, Zl. 589/70, und das bereits zitierte Erkenntnis vom 5. September 1980, Zl. 620/78).

Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird demgemäß durch die "entschiedene Sache", das heißt durch die Identität der Verwaltungssache, über die mit einem bereits formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt. Identität der Sache liegt, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 15. Dezember 1992, Zl. 91/08/0166, unter Hinweis auf Vorjudikatur dargelegt hat, vor, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des ursprünglichen Begehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Begehren im wesentlichen (von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, abgesehen) mit dem früheren deckt. Der Begriff "Identität der Sache" muß daher in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden. Dies bedeutet, daß den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muß.

Der der materiellen Rechtskraft fähige Abspruch eines Bescheides besteht allerdings nicht nur aus dem Spruch des Bescheides allein, sondern aus dem Spruch in Verbindung mit der Begründung, insoweit sich aus ihr der von der Behörde angenommene maßgebende Sachverhalt, das heißt der als Anknüpfungspunkt für die rechtliche Beurteilung dienende Sachverhalt ergibt. Bei einer behaupteten Änderung des Sachverhaltes kommt es also darauf an, ob diese Änderung jene Umstände betrifft, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben. Gegenstand der Prüfung der Behörde ist daher die Behauptung des Vorliegens neu entstandener Tatsachen gegenüber jenen, die für die frühere Entscheidung bestimmend waren. Dabei ist die Behörde - ebenso wie der Verwaltungsgerichtshof - an die in der tragenden Begründung des (rechtskräftig gewordenen) Bescheides klar zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht gebunden.

Unter Bedachtnahme auf diese Grundsätze ist das oben wiedergegebene Beschwerdevorbringen nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Denn entgegen diesem Vorbringen hat der Beschwerdeführer in dem dem angefochtenen Bescheid vorangegangenen Verwaltungsverfahren hinsichtlich seines Bandscheibenleidens keine Änderung seines Gesundheitszustandes dargetan. Er hat vielmehr schon im Vorverfahren (in seiner mit 1. Oktober 1990 datierten Stellungnahme zum damals eingeholten Gutachten vom 28. August 1990) vorgebracht, daß das im Gutachten festgestellte Lumbalsyndrom, d.h. der festgestellte Bandscheibenvorfall, öfters so stark auftrete, daß er dann bettlägerig sei und keinen "Vorkehrungen nachgehen" könne. Daß sich dieses Bandscheibenleiden, von dem die erstinstanzliche Behörde im rechtskräftigen Bescheid vom 28. Oktober 1990 durch Hinweis auf das genannte Gutachten ohnedies ausgegangen ist, verschlechtert habe, hat der Beschwerdeführer in dem dem angefochtenen Bescheid vorangegangene Verwaltungsverfahren nicht behauptet. Er hat in der Berufung vielmehr nur ausgeführt, der Bandscheibenschaden sei manchmal so schlimm, daß er bettlägerig sei und dann tagelang nicht aus dem Bett könne; in dieser Zeit könne er nichts tun und bedürfe daher der Wartung. Eine diesbezügliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ist auch nicht aktenkundig; im Gegenteil: Nach dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten vom 3. April 1992 mit der Ergänzung vom 10. Juni 1992 bedarf der Beschwerdeführer nur mehr der Hilfe zur einfachen Reinigung der Wohnung und zum selbständigen Einkaufengehen, nicht hingegen auch einer Hilfe zur Zubereitung einfacher Speisen. Zu diesem Beweisergebnis hat der Beschwerdeführer trotz gebotener Gelegenheit (nach der Aktenlage wurden von ihm das betreffende Verständigungsschreiben nicht angenommen) nicht Stellung bezogen. Die belangte Behörde ist daher mit Recht davon ausgegangen, daß weder in der Rechtslage noch in dem für die Beurteilung des ursprünglichen Begehrens maßgebenden tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist. Demgemäß ist aber - unter Bedachtnahme auf die obigen Grundsätze - die Zurückweisung des neuen Antrages des Beschwerdeführers vom 18. April 1991 wegen "entschiedener Sache" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG, unabhängig davon, ob die rechtliche Beurteilung des unveränderten Sachverhaltes im rechtskräftigen Bescheid der erstinstanzlichen Behörde vom 28. Oktober 1990 dem § 26 Abs. 2 des Wiener Behindertengesetzes 1986 entspricht (vgl. dazu das Erkenntnis vom 20. Februar 1990, Zl. 88/11/0248), nicht rechtswidrig.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992080191.X00

Im RIS seit

01.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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