TE Vwgh Erkenntnis 1993/11/18 93/09/0362

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Veröffentlicht am 18.11.1993
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Index

60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

AuslBG §4 Abs6 Z2 litc idF 1990/450;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn, Dr. Germ, Dr. Höß und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde der T Gesellschaft m.b.H. in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Niederösterreich vom 23. Juni 1993, Zl. IIIc 6702 B/1008488, betreffend Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte am 29. März 1993 beim Arbeitsamt Mistelbach den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) für den tschechischen Staatsangehörigen S.J. als Kraftfahrer mit einer monatlichen Bruttoentlohnung von S 12.280,--.

Diesen Antrag wies das Arbeitsamt mit Bescheid vom 8. April 1993 gemäß § 4 Abs. 6 AuslBG mit der Begründung ab, daß der Vermittlungsausschuß die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung nicht befürwortet habe; darüber hinaus habe das "Ermittlungsverfahren" ergeben, daß keine der im § 4 Abs. 6 Z. 2 bis 4 AuslBG vorgesehenen Voraussetzungen vorliege.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin geltend, sie habe Mitte März 1993 zwei ihrer (ausländischen) Arbeitnehmer wegen innerbetrieblichen Fehlverhaltens fristlos kündigen müssen und als Ersatz S.J. beantragt. Sie beantrage nochmals, diesen "Austausch" zu genehmigen, zumal sie keine zusätzlichen ausländischen Arbeitskräfte beantragt habe und ihr Ausländerkontingent zur Zeit am niedrigsten Stand seit Jahren liege.

Im Zuge des Berufungsverfahrens hielt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin die Rechtslage, die Tatsache der Überschreitung der Landeshöchstzahl für 1993 und einen Überblick über die allgemeine Lage am Arbeitsmarkt vor. Zum Vorbringen, die Beschwerdeführerin habe zwei Mitarbeiter fristlos kündigen müssen, führte die belangte Behörde in diesem Vorhalt aus, es sei im Ermessen der Beschwerdeführerin gelegen, den in Rede stehenden Arbeitsplatz weiterhin besetzt zu lassen.

Zu diesem Vorhalt nahm die Beschwerdeführerin in einem Schreiben vom 14. Juni 1993 ausführlich Stellung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23. Juni 1993 gab die belangte Behörde ohne weitere Verfahrensschritte der Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 4 Abs. 1 und Abs. 6 AuslBG idF gemäß der Novelle BGBl. Nr. 684/1991 keine Folge. Im Rahmen der Darstellung der einschlägigen Rechtsvorschriften traf die belangte Behörde auch die Feststellung, daß die mit Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales BGBl. Nr. 738/92 für Niederösterreich im Kalenderjahr 1993 festgesetzte Landeshöchstzahl überschritten sei. Es müßten daher für die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1, 3 und 6 AuslBG vorliegen. Zu § 4 Abs. 1 AuslBG leitete die belangte Behörde aus einer Darstellung der Wirtschaftslage ab, nur durch die Beschränkung der Zuwanderung aus dem Ausland könne ein wesentlich stärkerer Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert werden. Entgegen einzelunternehmerischen Interessen besitze oberste Priorität, daß der Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft aus dem verfügbaren Arbeitskräftepotential abgedeckt werde. Auch müsse der unerwünschte und gesamtwirtschaftlich äußerst bedenkliche Substitutionseffekt (neue Ausländer auf Arbeitsplätzen von Inländern oder längere Zeit in Österreich beschäftigt gewesenen Ausländern) unbedingt unterbunden werden. Zu den Berufungseinwendungen in Richtung des § 4 Abs. 6 Z. 2 lit. c AuslBG müsse festgestellt werden, daß es im Ermessen der Beschwerdeführerin gelegen gewesen sei, den in Rede stehenden Arbeitsplatz weiterhin besetzt zu lassen. Aktenkundig sei, daß dieser Arbeitsplatz frei geworden sei, weil die Beschwerdeführerin als Dienstgeber die Kündigung ausgesprochen habe, wozu ihr das Recht keinesfalls abgesprochen werden könne.

§ 4 Abs. 6 Z. 2 lit. c AuslBG könne aber nicht in diesem Sinne ausgelegt werden, denn sonst würde damit die sowohl im gesamtwirtschaftlichen als auch im öffentlichen Interesse absolut nicht vertretbare Substitution langjährig beschäftigter Ausländer gegen neueingereiste Ausländer ausgelöst werden. Auch sei der Überhang ausländischer gegenüber inländischen Arbeitkräften im Betrieb der Beschwerdeführerin im gesamtwirtschaftlichen Sinn unbedingt abzulehnen; eine solche Personalsituation (7 Ausländer, 2 Inländer) sei gesamtwirtschaftlich äußerst bedenklich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Erteilung der beantragten Beschäftigungsbewilligung verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid auf § 4 Abs. 1 und auf § 4 Abs. 6 AuslBG gestützt. Schon die Berechtigung auch nur eines dieser Versagungsgründe würde die Abweisung der Beschwerde rechtfertigen. Es ist jedoch der Beschwerdeführerin darin Recht zu geben, daß die Begründung des angefochtenen Bescheides infolge unzureichender Sachverhaltsermittlungen der vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmenden Rechtmäßigkeitskontrolle nicht standzuhalten vermag.

Zu § 4 Abs. 1 AuslBG:

Nach dieser Gesetzesstelle ist die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung an zwei Voraussetzungen geknüpft, nämlich

1. daran, daß die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zuläßt und

2. wichtige öffentliche oder gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen.

Bei Fehlen auch nur eines dieser beiden Tatbestandselemente ist den Arbeitsämtern die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung verwehrt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. April 1993, Zl. 93/09/0039) darf bei der Auslegung des § 4 Abs. 1 AuslBG nicht außer acht gelassen werden, daß die vom Gesetzgeber angesprochenen wichtigen öffentlichen und gesamtwirtschaftlichen Interessen erst dann zum Tragen kommen, wenn feststeht, für welche Beschäftigung konkret die Bewilligung beantragt wurde und ob die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes diese konkrete Beschäftigung zuläßt. Das wird aber immer dann der Fall sein, wenn nicht feststeht, daß für die Beschäftigung wenigstens ein bestimmter Inländer oder im gegebenen Zusammenhang ein einem Inländer gleichgestellter oder begünstigt zu behandelnder Ausländer zur Verfügung steht, der bereit und fähig ist, diese Beschäftigung zu den gestellten (gesetzlich zulässigen) Bedingungen auszuüben.

Diese Beweisführung erübrigt sich dann, wenn seitens des Arbeitgebers die Stellung jeder Ersatzkraft von vornherein abgelehnt wird (vgl. in diesem Sinne die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. April 1987, Zl. 87/09/0012, vom 25. November 1987, Zl. 87/09/0164, u.v.a.).

Im Beschwerdefall wurde von der Beschwerdeführerin die Stellung von Ersatzkräften nicht abgelehnt; es ist aber den Akten auch nicht zu entnehmen, daß ihr vom Arbeitsamt Ersatzkräfte angeboten worden waren und aus welchen Gründen es zu keiner Beschäftigung solcher Ersatzkräfte durch die Beschwerdeführerin gekommen ist. Die belangte Behörde hat zu diesen nach der Judikatur relevanten Fragen kein Ermittlungsverfahren durchgeführt, sie hat sich vielmehr ohne Auseinandersetzung mit diesen Voraussetzungen im gegebenen Einzelfall mit ganz allgemeinen Ausführungen begnügt, wie sie allenfalls zur Erläuterung der anzuwendenden generellen Gesetzesbestimmungen, nicht aber zur Behandlung eines individuellen Bewilligungsantrages geeignet erscheinen. Es ist daher die rechtserhebliche Frage ungeklärt geblieben, ob es überhaupt taugliche Ersatzkräfte zur Deckung des Arbeitskräftebedarfes der Beschwerdeführerin gibt und ob deren Einstellung allenfalls aus von der Beschwerdeführerin zu vertretenden Gründen unterblieben ist.

Zur angeblich "gesamtwirtschaftlich bedenklichen Personalsituation" im Betrieb der Beschwerdeführerin (7 Ausländer, 2 Inländer) erübrigen sich weitere Erwägungen schon deshalb, weil die belangte Behörde sich auch in dieser Frage auf keine ordnungsgemäß erzielten Ermittlungsergebnisse stützen konnte, und sie die anders lautenden Behauptungen der Beschwerdeführerin nicht in einem mängelfreien Verfahren widerlegt hat.

Zu § 4 Abs. 6 AuslBG:

§ 4 Abs. 6 AuslBG (Z. 1 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 684/1991, die übrigen Bestimmungen in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 450/1990) lautet:

"Über bestehende Kontingente (§ 12) hinaus sowie nach Überschreitung der Landeshöchstzahlen (§§ 13 und 13a) dürfen Beschäftigungsbewilligungen nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen der Abs. 1 und 3 vorliegen und

1.

bei Kontingentüberziehung und bei Überschreitung der Landeshöchstzahl der Vermittlungsausschuß gemäß § 44a des Arbeitsmarktförderungsgesetzes, BGBl. Nr. 31/1969, in der jeweils geltenden Fassung, einhellig die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung befürwortet, oder

2.

die Beschäftigung des Ausländers aus besonders wichtigen Gründen, insbesondere

a)

als Schlüsselkraft zur Erhaltung von Arbeitsplätzen inländischer Arbeitnehmer, oder

b)

in Betrieben, die in strukturell gefährdeten Gebieten neu gegründet wurden, oder

c)

als dringender Ersatz für die Besetzung eines durch Ausscheiden eines Ausländers frei gewordenen Arbeitsplatzes, oder

d)

im Bereich der Gesundheits- oder Wohlfahrtspflege erfolgen soll, oder

3.

öffentliche oder gesamtwirtschaftliche Interessen die Beschäftigung des Ausländers erfordern, oder

4.

die Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 gegeben sind."

Die belangte Behörde hat ihrem Bescheid zugrunde gelegt, daß die Landeshöchstzahl für 1993 überschritten ist und somit die Voraussetzungen für die Anwendung des erschwerten Verfahrens nach § 4 Abs. 6 AuslBG vorliegen. Die Beschwerdeführerin hat dagegen nichts vorgebracht und hat auch nicht bestritten, daß der Vermittlungsausschuß ihren Antrag nicht einhellig befürwortet hat. Die Beschwerdeführerin hat aber bereits in ihrer Berufung und erneut - unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 4 Abs. 6 Z. 2 lit. c AuslBG - in ihrer Beschwerde darauf hingewiesen, daß sie den beantragten Ausländer als dringenden Ersatz für die Besetzung eines durch Ausscheiden eines Ausländers frei gewordenen Arbeitsplatzes benötigt. Die belangte Behörde hat dazu nichts ermittelt, weil sie die Auffassung vertrat, ein durch "fristlose Kündigung" eines Ausländers frei gewordener Arbeitsplatz könne nicht die Anwendbarkeit des § 4 Abs. 6 Z. 2 lit. c AuslBG begründen. Diese Auffassung findet jedoch im Gesetzeswortlaut keine Deckung und wäre auch mit dem Recht eines Dienstgebers, sich von einem ungeeigneten, unwilligen oder sonst Kündigungs- oder Entlassungsgründe setzenden Arbeitnehmer zu trennen, schwer zu vereinbaren. Mit der von der belangten Behörde angedeuteten Überlegung, auf diesem Wege könnte Mißbrauch mit Beschäftigungsbewilligungen nach dem AuslBG (mit einem zu mißbilligenden "Substitutionseffekt") getrieben werden, ist die von der belangten Behörde gewählte Auslegung in ihrer Allgemeinheit nicht zu begründen; auf den hier individuell zu lösenden Beschwerdefall bezogen fehlt es jedenfalls an jedem für eine diesbezügliche Annahme erforderlichen tatsächlichen Substrat. Im übrigen konnte eine aus diesem Grund erfolgende Versagung nur auf § 4 Abs. 1, zweiter Tatbestand, des AuslBG gestützt werden (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Oktober 1990, Zl. 88/09/0142), was aber wieder voraussetzt, daß die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die beantragte Beschäftigung nicht zuläßt.

Das in § 4 Abs. 6 Z. 2 lit. c AuslBG verwendete Wort "Ersatz" bezeichnet ganz allgemein die Person, die anstelle einer nicht mehr vorhandenen oder nicht mehr geeigneten Person eingesetzt werden soll (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juni 1993, Zl. 93/09/0027, und die dort angeführte Vorjudikatur). Das bereits im Verwaltungsverfahren von der Beschwerdeführerin dazu erstattete Vorbringen läßt keinen Zweifel daran offen, daß S.J. in diesem Sinne als Ersatz für einen ausgeschiedenen Ausländer beschäftigt werden sollte.

Da die belangte Behörde somit in der Frage der Ablehnung des Antrags der Beschwerdeführerin nach § 4 Abs. 6 AuslBG von einer unrichtigen Rechtsauffassung ausgehend weitere Ermittlungen unterlassen hat, und der angefochtene Bescheid mangels einer entsprechenden Tatsachengrundlage auch nicht auf § 4 Abs. 1 AuslBG gestützt werden konnte, erweist er sich als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993090362.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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