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L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §13a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder, den Vizepräsidenten Dr. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des K in J, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Tir LReg vom 23. Juli 1990, Zl. Ve-550-1695-1, betreffend Behebung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. G in J, vertreten durch Dr. Z, Rechtsanwalt in K; 2. Gemeinde J, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Der Bürgermeister der Gemeinde J erteilte mit Bescheid vom 10. April 1990 dem Beschwerdeführer nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Baubewilligung für die Errichtung eines Privatweges zur verkehrsmäßigen Erschließung der Grundstücke Nr. 271/8 und 271/9, KG. J. Die dagegen von der erstmitbeteiligten Partei erhobene Berufung wies der Gemeindevorstand der Gemeinde J mit Bescheid vom 18. Juni 1990 als unbegründet ab; die Einwände der mitbeteiligten Partei wurden dabei, soweit sie nach Auffassung des Gemeindevorstandes im Privatrecht begründet waren, auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen, im übrigen jedoch als sachlich nicht gerechtfertigt abgewiesen.
2. Gegen den Berufungsbescheid der Gemeinde J erhob die erstmitbeteiligte Partei Vorstellung, in der sie die (im für das verwaltungsgerichtliche Verfahren bedeutsamen Umfang) bereits vor den Gemeindebehörden erhobenen Einwände wiederholte. Die Vorstellung begründete die erstmitbeteiligte Partei damit, daß die Mindestabstände gemäß § 7 der Tiroler Bauordnung (TBO) nicht eingehalten worden seien. Es handle sich um eine Privatstraße, die nach § 25 lit. g TBO bewilligungspflicht sei. Weiters wird in der Vorstellung ausgeführt, daß es sich bei dieser Privatstraße bereits um den vierten Weg in dieser Gegend handle, sodaß das Ortsbild und das Landschaftsbild zerstört würden und auch Bedenken aus der Sicht des Umweltschutzes bestünden. Es sei im Jahr 1976 im übrigen zwischen den in Betracht kommenden Familien und der Gemeinde J vereinbart worden, daß kein neuerlicher Wegebau in diesem Gebiet mehr erfolgen solle. Es sei nicht berücksichtigt worden, daß von Amts wegen ein wasserrechtliches Verfahren einzuleiten gewesen wäre. Zudem sei amtsbekannt, daß die Privatstraße aus Spekulationsgründen benötigt würde.
Dieser Vorstellung hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. Juli 1990 Folge gegeben, den Berufungsbescheid des Gemeindevorstandes der Gemeinde J infolge Verletzung von Rechten des Einschreiters behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand der Gemeinde J verwiesen. Die belangte Behörde begründet ihren Bescheid im wesentlichen damit, daß die Privatstraße als bewilligungspflichtige bauliche Anlage gemäß § 25 lit. e TBO anzusehen sei. Die Bestimmungen des Tiroler Straßengesetzes fänden deshalb auf diese bauliche Anlage keine Anwendung, da es sich um keine öffentliche, sondern lediglich um eine private Zufahrtsstraße handle. Entgegen der Auffassung des Gemeindevorstandes der Gemeinde J sei es unzulässig, daß eine derartige Privatstraße innerhalb der im § 7 TBO vorgesehenen Mindestabstandsflächen errichtet werde. Dem Nachbarn stünde gemäß § 30 Abs. 4 TBO ein subjektives öffentliches Recht darauf zu, daß diese Abstandsbestimmungen eingehalten werden. Es sei freilich der Aufsichtsbehörde nicht möglich, konkret zu überprüfen, ob der Weg innerhalb der Mindestabstandsflächen liege, da weder aus dem Lageplan, der Teil des Bewilligungsbescheides sei, noch auch aus sonst einem Plan genau ersichtlich wäre, wie der Verlauf des Weges sei. Eine Verletzung der Abstandsvorschriften sei jedenfalls nicht auszuschließen. Der Sachverhalt sei in diesem Punkt ergänzungsbedürftig. Die mitbeteiligte Partei habe zwar in der mündlichen Verhandlung die Verletzung von Abstandsbestimmungen mündlich nicht vorgebracht, sondern lediglich schriftlich in ihrer Stellungnahme, die als Beilage zum Akt genommen worden ist, formuliert. Gemäß § 44 Abs. 2 letzter Satz AVG sei es unzulässig, daß Teilnehmer an einer mündlichen Verhandlung ihre Erklärungen schriftlich abgeben. Die mitbeteiligte Partei sei aber nicht durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter vertreten gewesen, sodaß es Aufgabe der Baubehörde gewesen wäre, gemäß § 13 a AVG die mitbeteiligte Partei über die Konsequenzen ihrer nicht mündlich vorgebrachten Einwendung im Sinne des § 44 Abs. 2 letzter Satz AVG aufzuklären. Die Unterlassung dieser Manuduktionspflicht stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, weil dadurch der Nachbar daran gehindert gewesen sei, sein Recht auf Einhaltung der Mindestabstände wahrzunehmen.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete - ebenso wie die erstmitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift, in der jeweils die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 46 der Tiroler Gemeindeordnung 1966, LGBl. Nr. 4/1966, in der Fassung LGBl. Nr. 8/1973 hat der Gemeindevorstand über Berufungen gegen Bescheide des Bürgermeisters zu entscheiden. Gemäß § 38 Abs. 1 leg.cit. ist der Gemeindevorstand beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder, darunter der Bürgermeister oder einer der Bürgermeister-Stellvertreter, anwesend sind. Gemäß § 38 Abs. 3 leg. cit. richtet sich die Befangenheit von Gemeindevorstandsmitgliedern nach den Vorschriften über die Befangenheit von Gemeinderatsmitgliedern; ist die Mehrheit der Gemeindevorstandsmitglieder in einer Angelegenheit befangen, so geht die Beschlußfassung auf den Gemeinderat über. Die Novelle LGBl. Nr. 98/1991, mit der § 38 Abs. 1 und 2 geändert wurde, ist erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (das ist der Tag der Zustellung des Bescheides des Gemeindevorstandes, und zwar der 21. Juni 1990) in Kraft getreten; sie war daher noch nicht zu berücksichtigen.
1.2. Zum Zeitpunkt der Beschlußfassung des Gemeindevorstandes der Gemeinde J am 31. Mai 1990 war Bürgermeister der Gemeinde R N und Vizebürgermeister (der Beschwerdeführer) K. Als Antragsteller erklärte sich der Vizebürgermeister als befangen; weiters wirkte bei der Gemeindevorstandssitzung auch der Bürgermeister, der mit dem Bauwerber verwandt ist, als Bescheiderlasser I. Instanz (und daher als befangen) nicht mit. Dieser Sachverhalt ergibt sich auch eindeutig aus der Einleitung des Bescheides des Gemeindevorstandes vom 18. Juni 1990. Damit war aber gemäß § 38 Abs. 1 der Tiroler Gemeindeordnung 1966 in der Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 98/1991 zumindest die Beschlußfähigkeit des Gemeindevorstandes nicht gegeben, weil nach dieser Bestimmung jedenfalls entweder der Bürgermeister oder einer der Bürgermeister-Stellvertreter anwesend sein muß. Vor diesem Hintergrund wäre von der belangten Behörde der Bescheid des Gemeindevorstandes wegen unrichtiger Zusammensetzung dieser Kollegialbehörde zu beheben gewesen. Dies hätte die Tiroler Landesregierung von Amts wegen wahrnehmen müssen. Es haftet daher bereits insoweit ihrem Bescheid Rechtswidrigkeit des Inhaltes an.
2.1. Entgegen dem Beschwerdevorbringen kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, daß es sich bei der Errichtung einer Privatstraße um die Errichtung und die Änderung sonstiger baulicher Anlagen gemäß § 25 lit. e Tiroler Bauordnung in der für den Beschwerdefall maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 33/1989 handelt. Eine solche bewilligungspflichtige sonstige bauliche Anlage im Sinne dieses Gesetzes ist nämlich dann anzunehmen, wenn es sich um eine mit dem Erdboden verbundene Anlage handelt, zu deren fachgerechter Herstellung bautechnische Kenntnisse erforderlich sind (§ 3 Abs. 1 leg.cit.), durch die eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen oder die Sicherheit von Sachen entstehen kann (§ 25 lit. e leg.cit.). Unwidersprochen verweist die belangte Behörde darauf, daß es sich nach der technischen Beschreibung um die Errichtung eines Weges mit einer 50 cm starken Schottertragschicht handelt und einer Tragfähigkeit für eine Verkehrsbelastung von 25 t. Für die fachgerechte Herstellung eines Weges in dieser Form sind ohne Zweifel zur fachgerechten Herstellung bautechnische Kenntnisse im Sinne der Tiroler Bauordnung erforderlich. Durch die nicht sachgerechte Erstellung des Weges kann es - so zu Recht die belangte Behörde - zweifellos zu einer Gefährdung von Personen und Sachen kommen.
2.2. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde weiters vor, § 7 TBO über die Abstandsvorschriften nicht rechtmäßig angewendet zu haben. Es handle sich bei dieser Straße nicht um eine "oberirdische bauliche Anlage" gemäß § 7 Abs. 6 lit. a TBO, sondern um eine unterirdische bauliche Anlage im Sinne der lit. c. Dies entspreche auch dem Fachbegriff "Tiefbau". Die Privatstraße könne daher innerhalb der Mindestabstände von 3 bzw. 4 m gemäß § 7 Abs. 1 TBO errichtet werden.
Gemäß § 7 Abs. 1 TBO, der gemäß § 7 Abs. 4 leg.cit. auf die Mindestabstände für andere bauliche Anlagen sinngemäß anzuwenden ist, beträgt der Mindestabstand jedenfalls 3 bzw. 4 m, je nachdem, um welche Flächenwidmung es sich handelt. Diese Mindestabstände gelten jedenfalls, und zwar gleichgültig, wie hoch eine bauliche Anlage ist. Dies ist deshalb zu erwähnen, weil für bauliche Anlagen, die - anders als eine Straße - auch eine entsprechende Höhe erreichen, differenzierte größere Mindestabstände - und zwar gestaffelt nach der Größe der baulichen Anlage - festgelegt sind. Da die Privatstraße mangels Widmung für den öffentlichen Verkehr auch keine Verkehrsfläche im Sinne des § 3 Abs. 11 TBO und der Höhe nach rechtlich nicht bedeutsam ist, gelten für sie die Mindestabstände, die ohne Bezugnahme auf Größenverhältnisse festgelegt sind. Insoweit befindet sich der Beschwerdeführer in einem Irrtum, wenn er davon ausgeht, daß für die Privatstraße keine Mindestabstände gelten, weil für die geplante Straße eine Höhe von 0,00 m gegeben sei und § 7 Abs. 4 TBO davon ausgehe, daß der Berechnung des Abstandes anstelle der Wandhöhe der Gebäude die Höhe der baulichen Anlage zugrunde zu legen ist. Wie schon erwähnt, gelten in solchen Fällen mangels anderer Berechnungsmöglichkeit lediglich die Mindestabstände gemäß § 7 Abs. 1 TBO. Daß es sich bei der gegenständlichen Straße um keine unterirdische Anlage im Sinne des § 7 Abs. 6 lit. c TBO handelt, die in den Mindestabständen gemäß § 7 Abs. 1 leg.cit. errichtet werden dürfte, ergibt sich schon daraus, daß sie oberirdisch benützt wird.
3. Im Zusammenhang mit der Ansicht der belangten Behörde, daß der Bescheid der Gemeinde J auch deshalb an einem Verfahrensmangel leide, weil in erster Instanz § 13 a AVG verletzt worden sei, ist vorerst aber von Belang, ob eine solche Belehrungspflicht nach § 13 a AVG überhaupt bestand:
dies ist deshalb anzunehmen, weil in der Kundmachung über die Anberaumung der mündlichen Verhandlung am 28. Februar 1990 auf die nach § 44 Abs. 2 letzter Satz AVG gegebene für Teilnehmer geltende Unzulässigkeit, Einwendungen während der Verhandlung nur schriftlich vorzubringen, nicht hingewiesen worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. April 1985, Zl. 84/04/0104). Freilich ist nunmehr darauf hinzuweisen, daß sowohl der Bürgermeister in seinem Bescheid vom 10. April 1990 als auch der Gemeindevorstand tatsächlich auf die diesbezügliche Einwendung der erstmitbeteiligten Partei eingegangen ist. Es ist daher entgegen der Auffassung der belangten Behörde davon auszugehen, daß selbst dann, wenn der Verhandlungsleiter einer Manuduktionspflicht gemäß § 13 a AVG nachgekommen wäre und die erstmitbeteiligte Partei im Verfahren erster Instanz im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hätte, daß Einwendungen wirksam lediglich mündlich erhoben werden können, die Gemeindebehörden zu keinem anderen Bescheid hätten kommen können. Insoweit haftet dem Bescheid der belangten Behörde Rechtswidrigkeit seines Inhaltes an.
4. Aus den unter 1. und 3. dargelegten Gründen war der Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1990060116.X00Im RIS seit
20.11.2000