TE Vfgh Beschluss 1991/6/11 G254/89

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Veröffentlicht am 11.06.1991
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
VVG §3 Abs1 idF vor der Nov 1986, BGBl 210
VVG §3 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf teilweise Aufhebung des §3 VVG mangels Legitimation; Gerichtsverfahren anhängig; keine Wirksamkeit einer bereits außer Kraft getretenen Fassung des §3 Abs1 VVG für den Antragsteller

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Einschreiter begehrt mit dem auf Art140 B-VG gestützten, beim Verfassungsgerichtshof am 7. September 1989 eingelangten Antrag, in §3 Abs1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz die Worte "oder durch das zuständige Gericht nach den für das gerichtliche Exekutionsverfahren geltenden Vorschriften die Eintreibung veranlaßt. In diesem Falle schreitet die Vollstreckungsbehörde namens des Berechtigten als betreibenden Gläubigers ein" als verfassungswidrig aufzuheben. Der Antragsteller bekämpft sohin offensichtlich Teile des §3 Abs1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VVG) in seiner Fassung vor der VVG-Novelle 1986, BGBl. 210/1986, welcher lautete (die angefochtene Wortfolge ist durch Unterstreichung hervorgehoben):

"Die Verpflichtung zu einer Geldleistung ist in der Weise zu vollstrecken, daß die Vollstreckungsbehörde selbst die Eintreibung unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften über die Einbringung und Sicherung der öffentlichen Abgaben vornimmt oder durch das zuständige Gericht nach den für das gerichtliche Exekutionsverfahren geltenden Vorschriften die Eintreibung veranlaßt. In diesem Falle schreitet die Vollstreckungsbehörde namens des Berechtigten als betreibenden Gläubigers ein."

Seit Inkrafttreten der VVG-Novelle 1986, BGBl. 210/1986, hat §3 Abs1 VVG folgenden Wortlaut:

"Die Verpflichtung zu einer Geldleistung ist in der Weise zu vollstrecken, daß die Vollstreckungsbehörde durch das zuständige Gericht nach den für das gerichtliche Exekutionsverfahren geltenden Vorschriften die Eintreibung veranlaßt. In diesem Falle schreitet die Vollstreckungsbehörde namens des Berechtigten als betreibenden Gläubigers ein. Die Vollstreckungsbehörde kann die Eintreibung unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften über die Einbringung und Sicherung der öffentlichen Abgaben selbst vornehmen, wenn dies im Interesse der Raschheit und der Kostenersparnis gelegen ist."

Weiters begehrt der Einschreiter §3 Abs2 VVG zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

"Bescheide und Rückstandsausweise, die von der erkennenden oder verfügenden Stelle oder von der Vollstreckungsbehörde mit der Bestätigung versehen sind, daß sie einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht unterliegen, sind Exekutionstitel im Sinne des §1 EO. Einwendungen gegen den Anspruch im Sinne des §35 EO. sind bei der Stelle anzubringen, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist."

2. Zur Antragslegitimation führt der Antragsteller aus, die angefochtene Rechtsvorschrift greife "in die Rechtssphäre im Grunde von jedermann ein", weil auf Grund dieser Rechtsvorschrift "eine Verwaltungsbehörde mit der bloßen Deklaration, daß ein vorgelegter Titel, der die äußere Form eines Bescheides aufweist, einem der Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht unterliegt, sowohl die Schutzbestimmungen des VVG als auch jene der EO. ausschalten und unwirksam machen" könne, obwohl tatsächlich ein vollstreckbarer Bescheid nicht vorliege. Da es dem Gericht verwehrt sei, den Bescheid, der die Vollstreckbarkeitsbestätigung trägt, zu prüfen, habe es die Exekution jedenfalls zu bewilligen; ein Rekurs gegen die Exekutionsbewilligung müsse "zwangsläufig ergebnislos bleiben". Bis zu einer Kontrolle der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über Einwendungen gegen den Exekutionstitel müsse die Exekution längst vollstreckt worden sein, weil eine Exekutionsaufschiebung in einem solchen Fall nicht zwingend vorgeschrieben, sondern im Ermessen des Richters gelegen sei. Der von der Behörde vorgelegte Titel werde dem Verpflichteten vom Gericht auch nicht übermittelt, sodaß dieser nicht in der Lage sei, zu beurteilen, welche Einwendungen er erheben könne.

Darüber hinaus wurde nach den Ausführungen des Antragstellers in seine Rechtssphäre aber "auch konkret eingegriffen", weil die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung auf Grund eines "nicht mehr anwendbaren Titels" - der dem Gericht vorgelegte, mit einer Vollstreckbarkeitsbestätigung versehene Bescheid sei mangels Erkennbarkeit, wer die Erledigung genehmigt habe, absolut nichtig - die Exekution gegen ihn beim Bezirksgericht Salzburg veranlaßt habe. Der Titel sei ihm vom Gericht nie zugestellt worden.

II. Der Antrag ist nicht zulässig:

1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG idF BGBl. 302/1975 erkennt der Verfassungsgerichtshof "über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist ...".

Wie der Verfassungsgerichtshof - beginnend mit VfSlg. 8009/1977

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in ständiger Judikatur ausspricht, setzt die Antragslegitimation nicht nur voraus, daß die antragstellende Partei behauptet, unmittelbar durch die als verfassungswidrig angefochtene Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sondern sie erfordert auch, daß dieses Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam wurde. Grundlegende und unabdingbare Voraussetzung der Antragslegitimation bildet dabei der Umstand, daß das angefochtene Gesetz die Rechtssphäre der betreffenden Person berührt und - im Fall der Verfassungswidrigkeit

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verletzt. Jedoch nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsberechtigung zu; es ist vielmehr auch notwendig, daß unmittelbar durch das Gesetz selbst - tatsächlich - in die Rechtssphäre des Antragstellers eingegriffen wird. Ein "unmittelbarer" Eingriff ist aber u.a. dann nicht gegeben, wenn dem Antragsteller ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr der - ihm durch die angebliche Rechtswidrigkeit der angefochtenen generellen Norm zugefügten - Rechtsverletzung zur Verfügung steht (z.B. VfSlg. 10251/1984, 11480/1987).

Adressaten der vom Antragsteller bekämpften, die Eintreibung von Geldleistungen durch Gerichte regelnden Vorschriften des VVG sind primär die Verwaltungs(vollstreckungs)behörden und Gerichte. Die vom Antragsteller dargelegte Wirkung der Vorschriften für den Verpflichteten tritt nicht ohne gerichtliche Entscheidung, nämlich die Erteilung der Exekutionsbewilligung durch das zuständige Bezirksgericht gemäß §5 EO., ein.

Aus vom Antragsteller vorgelegten Beschlüssen des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht ergibt sich, daß der Antragsteller als Verpflichteter die vom Bezirksgericht Salzburg erteilte Exekutionsbewilligung mit Rekurs bekämpft hat. Im Zuge dieses gerichtlichen Verfahrens bestand für den Antragsteller die Gelegenheit, seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtenen Gesetzesstellen vorzutragen und bei dem in dieser Rechtssache zur Entscheidung in zweiter Instanz zuständigen Gericht die Stellung eines Antrages auf Gesetzesprüfung nach Art140 B-VG anzuregen. Von dieser Möglichkeit hat der Antragsteller auch hinsichtlich eines Teiles der gegen die angefochtenen Bestimmungen beim Verfassungsgerichtshof vorgebrachten Bedenken Gebrauch gemacht. Daß das Landesgericht Salzburg als Rekursgericht sich nicht veranlaßt sah, beim Verfassungsgerichtshof einen Gesetzesprüfungsantrag zu stellen, weil es die verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers gegen §3 VVG nicht teilt, ist nach ständiger Judikatur des VfGH im gegebenen Zusammenhang ohne entscheidende Bedeutung (z.B. VfSlg. 8552/1979, 9926/1984; VfGH 12.6.1989, G224/88), da man andernfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes gelangte, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären ("lückenschließenden") Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (z.B. VfSlg. 11344/1987, 11480/1987).

2. Hinzu kommt, daß §3 Abs1 VVG durch ArtI Z2 der VVG-Novelle 1986, BGBl. 210/1986, neu gefaßt wurde, sodaß die vom Antragsteller bekämpfte Wortfolge seit 1. Mai 1986 (vgl. ArtII Abs1 leg. cit.) dem Rechtsbestand nicht mehr angehört. Es erscheint nach Lage des Falles ausgeschlossen, daß die angefochtene Wortfolge in §3 Abs1 VVG idF vor der VVG-Novelle 1986 für den Antragsteller noch wirksam ist. Auch aus diesem Grund fehlt dem Antragsteller die erforderliche Legitimation zur Anfechtung iSd Art140 Abs1 letzter Satz B-VG (z.B. VfGH 28.6.1990, V109/89; 3.10.1989, G227/88), zumindest soweit sie sich gegen §3 Abs1 VVG idF vor der VVG-Novelle 1986 richtet.

3. Der Antrag war daher gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Verwaltungsvollstreckung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:G254.1989

Dokumentnummer

JFT_10089389_89G00254_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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