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DE-10 Verfassungsrecht Deutschland;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Bernegger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Mayer, über die Beschwerde des I in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. März 1993, Zl. 4.334.407/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. März 1993 wurde ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer - einem Staatsangehörigen "der früheren SFRJ", der am 3. November 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 5. November 1991 den Asylantrag gestellt hat - kein Asyl gewähre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer nicht nur deshalb kein Asyl gemäß § 3 Asylgesetz 1991 - welches sie auf Grund dessen § 25 Abs. 2 bereits anzuwenden hatte - gewährt, weil sie seine Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 leg. cit. verneint hat, sondern auch deshalb, weil sie der Ansicht war, daß der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei. Nach dieser Gesetzesstelle wird einem Flüchtling kein Asyl gewährt, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Selbst wenn daher der Beschwerdeführer - wie er ebenfalls geltend macht - als Flüchtling anzusehen wäre, wäre für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen, wenn dieser Ausschließungsgrund vorliegt.
Die belangte Behörde nahm auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung am 2. März 1992, wonach er über Ungarn nach Österreich eingereist sei, an, daß er bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen sei. Verfolgungssicherheit sei insbesondere dann anzunehmen, wenn der Asylwerber vor seiner Einreise nach Österreich in einem Drittland keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und nicht habe befürchten müssen, ohne Prüfung der Fluchtgründe in sein Heimatland "bzw. in einen Verfolgerstaat" abgeschoben zu werden. Zur Erfüllung dieses Tatbestandes sei ein bewußtes Zusammenwirken zwischen der Person des Asylwerbers und den Behörden des Drittstaates nicht notwendig. Es hätten lediglich die rechtlichen Voraussetzungen für den geforderten Schutz bestehen und tatsächlich die Möglichkeit bestanden haben müssen, "ihn durch oder bei Kontaktaufnahme mit der Behörde zu aktualisieren".
Der Beschwerdeführer vermag dieser Argumentation weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht etwas Entscheidendes entgegenzusetzen. Die Rechtsausführungen der belangten Behörde stehen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Begriff der "Verfolgungssicherheit" gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256, und vom 9. September 1993, Zl. 93/01/0340). Der Hinweis des Beschwerdeführers auf § 14 Abs. 1 Z. 4 leg. cit., wonach im Zuge der Erstvernehmung eines Asylwerbers der Reiseweg und allfällige Aufenthalte sowie die allfällige Beantragung oder Gewährung von Asyl in anderen Staaten zu ermitteln ist, vermag daran nichts zu ändern. Auch wenn die zuletzt genannte Bestimmung ihre sachliche Rechtfertigung unter anderem darin findet, daß von den Asylbehörden auch zu beurteilen ist, ob der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. einer Asylgewährung entgegensteht, stellt sie - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - keine Interpretationshilfe bei Auslegung dieser Bestimmung dar. Ob die belangte Behörde den (im Zeitpunkt der Vernehmung des Beschwerdeführers am 2. März 1992 im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens noch gar nicht in Geltung stehenden) § 14 Asylgesetz 1991 zu beachten hatte (was zur Voraussetzung hätte, daß diesbezüglich von einer offenkundigen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 20 Abs. 2 leg. cit. gesprochen werden müßte), kann unerörtert bleiben, wäre doch in der (vom Beschwerdeführer gerügten) Unterlassung weiterer Erhebungen zur Frage seiner Verfolgungssicherheit jedenfalls kein wesentlicher Verfahrensmangel zu erblicken. Der Beschwerdeführer geht - unter Bezugnahme auf die zu den §§ 5 Abs. 3 und 7 Abs. 2 Asylgesetz (1968), betreffend die vorläufige Aufenthaltsberechtigung bzw. die Aufenthaltsberechtigung, entwickelte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, die aber nach der vorhin zitierten Rechtsprechung in diesem Zusammenhang nicht übertragbar ist - zu Unrecht davon aus, daß die Annahme der Verfolgungssicherheit nach § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 "zumindest" voraussetzen würde, daß der Aufenthalt des Asylwerbers den Behörden des betreffenden Staates bekannt war und von diesen geduldet wurde. Richtig ist, daß es in den Gesetzesmaterialien (RV 270 BlgNR 18. GP) zu dieser Bestimmung einleitend heißt, daß das Schutzbedürfnis als Voraussetzung der Asylgewährung in dem Fall entfällt, wenn der Flüchtling in einem anderen Nichtverfolgungsstaat (Drittstaat) Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Daraus ergibt sich aber noch nicht - wie der Beschwerdeführer meint -, daß der Gesetzgeber trotz des unterschiedlichen Regelungsgegenstandes inhaltlich "sowohl an die alte Judikatur wie auch an die alte Wendung anknüpft".
Der Beschwerdeführer beruft sich weiters darauf, daß nach den erwähnten Gesetzesmaterialien diese Bestimmung dem Beispiel des § 2 des deutschen Asylverfahrensgesetzes folgt und davon ausgeht, daß der Anspruch auf Asyl ebenso wie der Flüchtlingsbegriff ein Sicherheitsbedürfnis voraussetzt, sowie daß zwischen Flucht und Asylantrag ein Zusammenhang bestehen muß, der nicht mehr gegeben ist, wenn der "Verfolgte" bereits sicher war. Die genannte (bundesdeutsche) Bestimmung lautet in der maßgeblichen Neufassung auf Grund der Bekanntmachung vom 9. April 1991, BGBl. I S. 870, wie folgt:
"§ 2 Anderweitige Sicherheit vor Verfolgung
(1) Ein Ausländer, der bereits in einem anderen Staat vor politischer Verfolgung sicher war, wird nicht als Asylberechtigter anerkannt.
(2) Hat sich ein Ausländer in einem Staat, in dem ihm keine politische Verfolgung droht, vor der Einreise in den Geltungsbereich dieses Gesetzes länger als drei Monate aufgehalten, so wird vermutet, daß er dort vor politischer Verfolgung sicher war. Das gilt nicht, wenn der Ausländer glaubhaft macht, daß eine Abschiebung in einen anderen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen war."
Daraus ergibt sich - entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers -, daß die gegenständlichen, sich auf die Verfolgungssicherheit eines Asylwerbers beziehenden Regelungen beider Staaten nicht "gleichlautend" sind, wobei der österreichische Gesetzgeber zwar den in der Bundesrepublik Deutschland gebräuchlichen Begriff der "Verfolgungssicherheit" übernommen hat, jedoch eine nähere gesetzliche Ausformung, insbesondere wie dies im § 2 Abs. 2 des deutschen Asylverfahrensgesetzes geschehen ist, unterblieben ist. Schon aus diesem Grunde kann die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die der Beschwerdeführer zu seinen Gunsten ins Treffen führt, nicht herangezogen werden, soweit sie auf der Grundlage, daß "bereits die 3-monatige Frist zur Beurteilung des stationären Charakters eingebaut wurde", beruht. Im übrigen hat die Auslegung asylrechtlicher Bestimmungen in Österreich - anders als in der Bundesrepublik Deutschland zufolge des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz in der Fassung vor der Änderung BGBl. I S. 1002, der uneingeschränkt Schutz und Zuflucht jedem politisch Verfolgten, der als Flüchtender, also im Zustand der Flucht, dort einreist, gewährleistete (siehe die vom Beschwerdeführer zitierte Entscheidung BVwGE 84, 116) - nicht nach derartigen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu erfolgen.
Der Verwaltungsgerichtshof ist wohl der Auffassung, daß ein (in Österreich einfachgesetzlicher) Anspruch auf Asylgewährung besteht, wenn ein entsprechendes Sicherheitsbedürfnis gegeben ist, was aber dann nicht mehr zutrifft, wenn der Asylwerber nach Verlassen seines Heimatlandes, in dem er verfolgt zu werden behauptet, sich in einem anderen Staat - selbst nur im Zuge der Durchreise - befunden hat und diese Sicherheit bereits dort hätte in Anspruch nehmen können. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen, weshalb bloß subjektive Gründe, die die betreffende Person veranlaßt haben, in diesem Staat nicht länger zu bleiben und nicht dort einen Asylantrag zu stellen, ohne Bedeutung sind. Dem Beschluß Nr. 15 (XXX) des Exekutiv-Komitees für das Programm des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1979, wonach die Vorstellungen des Asylsuchenden hinsichtlich des Landes, in welchem er um Asyl nachsuchen möchte, soweit wie möglich berücksichtigt werden sollten (Punkt h iii), kam (mangels gesetzlicher Verwirklichung) lediglich empfehlender Charakter zu. Es kommt daher auch nicht auf den Ort der tatsächlichen "Fluchtbeendigung", sondern darauf an, daß der Flüchtende unter Bedachtnahme auf das (auf die Vermeidung weiterer Verfolgung ausgerichtete) Sicherheitsbedürfnis seinen "Fluchtweg" schon vor der Einreise nach Österreich hätte abbrechen können, was auch dann der Fall ist, wenn die "Verweildauer" im Drittland nur kurz bemessen war und dort kein "stationärer Aufenthalt" genommen wurde.
Es ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht einsichtig, wieso der notwendige Zusammenhang zwischen Flucht und Asylantrag weiterhin gewahrt sein sollte, wenn der Betreffende sich zwischenzeitig in einem Drittland befunden hat, in dem er keinerlei asylrechtlich relevante Verfolgung durch diesen Staat oder bei Stellung eines Asylantrages die Abschiebung in einen anderen Staat, wo er eine solche Verfolgung zu erwarten hätte, zu befürchten hatte. Eine gegenteilige, einschränkende Absicht des Gesetzgebers hat im Asylgesetz 1991 keinen Niederschlag gefunden. Dies gilt ebenso hinsichtlich des weiteren Passus in den Gesetzesmaterialien, Zweck dieses Ausschließungsgrundes sei es, unerwünschtes Zweitasyl zu verhindern, und es sollten keine nomadisierenden Flüchtlingsströme geschaffen werden, die von einem Land zum anderen reisen und dort jeweils Asyl suchen. Es genügt vielmehr - wie in den Materialien hiezu abschließend betont wurde -, daß der Asylwerber im (wenn auch als "früheren Aufnahmestaat" bezeichneten) Drittstaat keiner Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt war und auch wirksamen Schutz vor Abschiebung in den Verfolgerstaat hatte.
Ungarn hat die Beitrittsurkunde zur Genfer Flüchtlingskonvention am 14. März 1989 (mit der für den Beschwerdeführer zutreffenden Alternative a des Abschnittes B des Art. 1) hinterlegt (siehe BGBl. Nr. 260/1992), was auf Grund deren Art. 43 zur Folge hatte, daß sie am 90. Tage danach in Kraft getreten ist. Der Beschwerdeführer hat konkret keine Umstände aufgezeigt, die der Annahme, er sei - auf dem Boden der dargestellten Rechtslage - bereits in diesem Land vor Verfolgung sicher gewesen, entgegenstehen würden. Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, daß selbst für den Fall, daß für ihn Verfolgungssicherheit in Ungarn bestanden habe, "nicht geprüft und beurteilt" worden sei, "ob die Verfolgungssicherheit auch noch im Entscheidungszeitpunkt als gegeben erachtet werden kann", so übersieht er - abgesehen davon, daß er auch diesbezüglich kein konkretes Vorbringen erstattet -, daß es einen Ausschließungsgrund nach dem klaren Wortlaut des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 bildet, wenn der Flüchtling bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher "war", womit dem damit angesprochenen Sicherheitsbedürfnis des Betreffenden bereits Rechnung getragen wurde, und eine Entscheidung über den (erst) in Österreich gestellten Asylantrag nicht davon abhängig ist, ob der Asylwerber auch noch zu diesem Zeitpunkt in dem betreffenden Drittland vor Verfolgung sicher wäre, welcher Frage lediglich im Zusammenhang mit der bei Anwendung fremdenpolizeilicher Vorschriften zu beurteilenden Möglichkeit der Abschiebung aus Österreich rechtliche Relevanz zukommen könnte.
Da sich somit die Beschwerde schon auf Grund dieser Erwägungen als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Auslegung Diverses VwRallg3/5 Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993010357.X00Im RIS seit
11.07.2001