TE Vwgh Erkenntnis 1993/11/24 93/02/0150

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Veröffentlicht am 24.11.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

VStG §51e Abs1;
VStG §51e;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 21. Mai 1993, Zl. UVS-03/19/1388/93, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Erstbehörde vom 8. April 1993 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es am 7. Jänner 1993 um 08.45 Uhr an einem bestimmten Ort in Wien unterlassen, als Hauseigentümer für die Säuberung des Gehsteiges von Schnee und (für) Bestreuung zu sorgen. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 4 lit. h in Verbindung mit § 93 Abs. 1 StVO begangen. Es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Hiegegen brachte der Beschwerdeführer eine Berufung ein, die folgenden Wortlaut hatte:

"Ich bestreite den mir zu Last gelegten Sachverhalt, am 7.1.1993 den Gehsteig in der Zeit von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr von Schnee und Eis nicht gesäubert zu haben. Der Meldungsleger kann sich daher nur getäuscht haben. Ich habe den Gehsteig um 05.30 Uhr und noch einmal zur Sicherheit um 06.00 Uhr (zu ergänzen wohl: gesäubert). Dann bin ich zu meinem Nachbarn Herrn M gegangen und habe ihn ersucht, bei meinem Gehsteig während meiner Abwesenheit Ausschau zu halten. Herr M sagte mir, er habe den Gehsteig, seinen und meinen, noch einmal um 07.00 Uhr gestreut. Ich habe noch zwei Zeugen. Herr Nachbar L und Frau Nachbar Z, die mich um 06.00 Uhr beim Streuen gesehen haben. Für meinen Nachbarn M, der meinen Gehsteig um 07.00 Uhr gestreut hat, habe ich ebenfalls Zeugen. Ich bin mir keiner Schuld bewußt und kann daher diese Anzeige nicht verstehen. Ich werde diese Anzeige auf keinen Fall zur (Be)kenntnis nehmen, weil ich mit meinen Nachbarn bezüglich Gehsteigreinigung ein Abkommen mit gegenseitiger Reinigung habe und mir keiner Schuld bewußt bin."

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Sie führte u.a. aus, eine Zeugeneinvernahme sowie die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung erschiene gemäß § 51e Abs. 2 VStG als entbehrlich, weil die Behauptung des Beschwerdeführers, er selbst, sodann im Anschluß sein Nachbar, hätten die gegenständliche Gehsteigfläche um spätestens 07.00 Uhr gestreut, seitens der Berufungsbehörde der Entscheidung zugrundegelegt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 51e Abs. 1 VStG ist eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen, wenn die Berufung nicht zurückzuweisen ist oder nicht bereits aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Zu dieser Verhandlung sind die Parteien und die anderen zu hörenden Personen, insbesondere Zeugen und Sachverständige, zu laden. Gemäß § 51e Abs. 2 VStG ist, wenn in der Berufung ausdrücklich nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet, eine Verhandlung nur dann anzuberaumen, wenn dies in der Berufung ausdrücklich verlangt wurde. Gemäß § 51e Abs. 3 VStG kann von der Verhandlung abgesehen werden, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der Verhandlung erfolgen.

Einer öffentlichen mündlichen Verhandlung bedarf es somit immer dann, wenn das Gesetz nicht ausnahmsweise anderes vorsieht (vgl. auch Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, § 51e VStG, Anmerkungen 2 und 3). Der Beschwerdeführer hat auf eine Verhandlung nicht verzichtet (Abs. 3). Es kommt im Beschwerdefall auch keiner der beiden Ausnahmefälle des Abs. 1 in Betracht. Was Abs. 2 anlangt, so hat der Beschwerdeführer eine Verhandlung nicht verlangt; seine Berufung richtete sich nicht (nur) gegen die Höhe der Strafe. Die belangte Behörde durfte vor Erlassung des angefochtenen Bescheides daher nur dann von der Anberaumung einer Verhandlung absehen, wenn in der Berufung "ausdrücklich nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung" behauptet wurde (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 1993, Zl. 93/02/0108).

Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Beschwerdeführer hat keineswegs ausdrücklich nur eine Rechtsrüge erhoben, sondern im Gegenteil die Tatsachenfeststellungen der Erstbehörde bestritten, wobei er die Wahrnehmungen des Meldungslegers anzweifelte und Zeugen nannte. Er hat überdies ein mit seinen - namentlich genannten - Nachbarn geschlossenes Abkommen über gegenseitige Gehsteigreinigung behauptet.

Wohl hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung zum rechtswidrigen Unterbleiben der Anberaumung einer Verhandlung die Ansicht vertreten, daß dies nicht in jedem Fall die Aufhebung des Berufungsbescheides nach sich ziehen muß; maßgeblich ist die - in der Beschwerde darzustellende - Relevanz im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG (vgl. neuerlich das eben zitierte Erkenntnis vom 13. Oktober 1993). Ein solches Vorbringen hat der Beschwerdeführer allerdings vor dem Verwaltungsgerichtshof erstattet. Er hat nämlich vorgebracht, die belangte Behörde habe übersehen, daß er sich zum Nachweis seiner Schuldlosigkeit auch auf ein Gehesteigreinigungsabkommen mit seinen Nachbarn berufen habe; die belange Behörde habe nicht untersucht, ob er aufgrund einer solchen Vereinbarung damit habe rechnen können, daß einer seiner namentlich genannten Nachbarn in der Zeit von 07.00 Uhr bis 08.45 Uhr vereinbarungsgemäß der an sie im Falle seiner berufsbedingten Abwesenheit von seinem Haus übertragenen Säuberungs- und Streuverpflichtung hinsichtlich seiner Gehsteigflächen entsprechen werde; hiezu wären die in der Berufung genannten Zeugen zu einer mündlichen Verhandlung zu laden gewesen.

Gemäß § 93 Abs. 5 zweiter Satz StVO tritt, wenn durch ein Rechtsgeschäft eine Verpflichtung nach Abs. 1 bis 3 übertragen wird, der durch das Rechtsgeschäft Verpflichtete an die Stelle des Eigentümers. Dem sowohl im Verwaltungsverfahren als auch vor dem Verwaltungsgerichtshof erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers ist die Behauptung eines solchen Rechtsgeschäftes mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen. Der in der Gegenschrift vertretenen Argumentation der belangten Behörde, mit der Behauptung einer Vereinbarung, der Nachbar habe beim gegenständlichen Gehsteig während der Abwesenheit des Beschwerdeführers (lediglich) "Ausschau zu halten", sei ein rechtsgeschäftlicher Übergang der Verantwortlichkeit nicht geltend gemacht worden, kann der Verwaltungsgerichtshof nicht beipflichten. Aus dem Zusammenhang der Ausführungen des Beschwerdeführers ergibt sich nämlich klar, daß sich das angeblich vereinbarte Verhalten des Nachbarn nicht in einer bloßen "Ausschau" erschöpfen, sondern auch in einer allenfalls erforderlichen Gehsteigreinigung bestehen sollte.

Der in der Unterlassung der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung liegende Verfahrensmangel kann nach alldem nicht als unwesentlich qualifiziert werden, weil es nicht ausgeschlossen ist, daß die belangte Behörde, hätte sie eine Verhandlung anberaumt, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993020150.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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