TE Vfgh Erkenntnis 1991/6/13 B446/90

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Veröffentlicht am 13.06.1991
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Aufhebung des §21 Abs2 und §22 Abs4 Stmk GdWO 1960 mit E v 13.06.91, G213/90.

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Steiermark ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 18.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Die vier Beschwerdeführer - ein Ehepaar und seine beiden Kinder - waren in das Wählerverzeichnis für die Gemeinderatswahl 1990 der Gemeinde Bad Gleichenberg/Bundesland Steiermark eingetragen (laufende Nummern 484, 486, 487 und 489; ONr. 1 des Wahlaktes der Gemeindewahlbehörde) und sowohl in Bad Gleichenberg als auch in Trautmannsdorf/Bundesland Steiermark polizeilich gemeldet (ONr. 2 des genannten Wahlaktes). Im Wohnsitzerhebungsblatt, das sich auf die Wählerevidenz nach dem Wählerevidenzgesetz 1973 bezieht, gaben sie am 5. Feber 1990 an, bisher in Bad Gleichenberg gewählt zu haben und weiterhin dort wählen zu wollen (ONr. 18, 21, 25 und 29 des genannten Wahlaktes).

Am 13. Feber 1990 begehrte Ing. W F mit Einsprüchen iSd §31 der Steiermärkischen Gemeindewahlordnung 1960, LGBl. 6 idF LGBl. 10/1985 (GWO), die Streichung der Beschwerdeführer aus dem Wählerverzeichnis. Diese Einsprüche langten am 14. Feber bei der Gemeindewahlbehörde ein (ONr. 13, 14, 16, 19, 20, 23, 24, 27 und 28 des genannten Wahlaktes). Die Beschwerdeführer sprachen sich in Schriftsätzen vom 16. Feber 1990 gegen die Streichung aus (ONr. 17, 21, 25 und 29 des genannten Wahlaktes).

Die Gemeindewahlbehörde gab am 17. Feber 1990 den Einsprüchen statt (ONr. 9 des genannten Wahlaktes) und teilte diese Entscheidung den Beschwerdeführern mit Schreiben vom 19. Feber 1990 mit (Beilage zu ONr. 1).

1.2.1. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer am selben Tag Berufung an die Bezirkswahlbehörde (ONr. 5 des genannten Wahlaktes und Beilage ONr. 1 des Aktes des Verfassungsgerichtshofs). Ing. F nahm dazu am 27. Feber 1990 Stellung (ONr. 2 des Wahlaktes der Bezirkswahlbehörde).

1.2.2. Die Bezirkswahlbehörde Feldbach wies diese Berufung mit Bescheid vom 2. März 1990, Z7.1 G2/28-1989, als unbegründet ab.

Begründend wurde ua. ausgeführt:

"... Um einen Mißbrauch der derzeit sicher nicht befriedigenden Rechtslage des Meldegesetzes auszuschließen, ist die Bestimmung des §66 der JN nicht extensiv auszulegen: §66 der JN bestimmt den Gerichtsstand einer Person nach ihrem Wohnsitz. Nach den Erhebungen liegt der Wohnsitz tatsächlich in Trautmannsdorf, auch dann, wenn fallweise eine andere Wohnung benützt wird.

Da es auch dem logischen Denkvermögen nicht widerspricht, daß eine Familie mit drei Kindern in beengten Wohnverhältnissen nicht unter Opfern ein Eigenheim errichtet, um dann in der alten Wohnung zu verbleiben, konnte den Erhebungen glaubwürdig Rechnung getragen werden."

1.3. Gegen diesen Berufungsbescheid richten sich die vorliegenden, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten (und gemeinsam ausgeführten) Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in denen insbesondere die Verletzung des durch Art117 Abs2 B-VG gewährleisteten Rechts auf Teilnahme an den Wahlen in den Gemeinderat behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes begehrt wird.

Die Bezirkswahlbehörde Feldbach als belangte Behörde legte die Administrativakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden eintrat.

2.1.1. Aus Anlaß dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen mit Beschluß vom 28. September 1990, B446/90-7, ein Verfahren zur Prüfung der Verfasssungsmäßigkeit des §21 Abs2 und des §22 Abs4 Satz 1 GWO ein.

2.1.2. Mit Erkenntnis vom 13. Juni 1991, G213/90-4, wurden §21 Abs2 und §22 Abs4 Satz 1 GWO als verfassungswidrig aufgehoben und verfügt, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit zu treten haben.

2.2.1. Gemäß Art140 Abs7 Satz 2 B-VG war der als verfassungswidrig aufgehobene §21 Abs2 iVm §22 Abs4 Satz 1 GWO, auf den sich der hier angefochtene, die Berufung gegen die Streichungen aus dem Wählerverzeichnis abweisende Bescheid der Bezirkswahlbehörde Feldbach in der Hauptsache gestützt hatte, im vorliegenden Verfahren nicht (mehr) anzuwenden.

2.2.2. Es ist aber nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß die Anwendung dieser Vorschrift im Administrativverfahren für die Rechtsposition der Beschwerdeführer nachteilig war (s. auch: VfSlg. 10.303/1984, 10.622/1985, 10.790/1986).

Demgemäß hatte der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, daß die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt wurden.

Der Bescheid ist somit aufzuheben.

2.3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 3.000 S auf Umsatzsteuer.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B446.1990

Dokumentnummer

JFT_10089387_90B00446_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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