TE Vfgh Erkenntnis 2007/2/27 B830/06

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Veröffentlicht am 27.02.2007
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
GewO 1994 §74, §83

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht bei Vorschreibung verschiedenerVorkehrungen zum Schutz vor Verunreinigung des Grundwassers durcheine Putzerei mangels ausreichender Begründung des angefochtenenBescheides.

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft war Betreiberin einer chemischen Putzerei. Im Zuge der Auflassung ihrer Betriebsanlage wurden ihr mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 27. Oktober 1998 gemäß §83 GewO 1994 verschiedene Vorkehrungen zum Schutz der im §74 Abs2 GewO 1994 umschriebenen Interessen aufgetragen.

1.1. Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Berufung an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit.

1.2. Mit Bescheid des Bundesministers vom 13. März 2006 wurde der erstinstanzliche Bescheid dahingehend abgeändert, dass das von der beschwerdeführenden Gesellschaft vorgelegte Einreichprojekt zur Sanierung der wassergesättigten Bodenzone für verbindlich erklärt und die darin vorgesehenen Maßnahmen als Vorkehrungen gemäß §83 GewO 1994 aufgetragen wurden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die (kostenpflichtige) Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

Den Ausführungen der beschwerdeführenden Gesellschaft zufolge dienen Vorkehrungen nach §83 GewO 1994 ausschließlich dem Zweck, durch die Auflassung einer Betriebsanlage bedingte Gefahren soweit einzuschränken, dass der Schutz der in §74 Abs2 GewO 1994 umschriebenen Interessen gewährleistet ist. Aus den im bekämpften Bescheid zitierten Stellungnahmen der Sachverständigen gehe jedoch eindeutig hervor, dass die gegenständliche Wasserverschmutzung in keinem Zusammenhang mit der Auflassung der Betriebsanlage stehe. Die Verunreinigung des Grundwassers sei vielmehr bereits beim früheren Betrieb der Anlage entstanden. Die belangte Behörde habe daher bei Erlassung der bekämpften Vorkehrungen in völliger Verkennung der Rechtslage ihre Kompetenz gemäß §83 GewO 1994 überschritten. Für die dargestellte Vorgangsweise der belangten Behörde fehle jede sachliche Rechtfertigung, sodass das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt sei (Verstoß gegen das Willkürverbot).

Außerdem habe sich die belangte Behörde in der Bescheidbegründung in keiner Weise inhaltlich mit den Ausführungen der Amtssachverständigen bzw. mit den Argumenten der beschwerdeführenden Gesellschaft auseinandergesetzt, sondern lediglich auf die zitierten Gutachten verwiesen, die inhaltlich nicht weiter gewürdigt worden seien. Die eigentliche Begründung im letzten Absatz (vor der Rechtsmittelbelehrung) stelle nicht einmal eine Scheinbegründung dar. Von einer Darstellung der bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen könne jedenfalls keine Rede sein. Der bekämpfte Bescheid sei daher in Wahrheit überhaupt nicht begründet. Auch das Ignorieren des Parteienvorbringens der beschwerdeführenden Gesellschaft stelle einen krassen Verstoß gegen das Willkürverbot dar. Abgesehen davon sei der bekämpfte Bescheid inhaltlich derart unbestimmt, dass ihm schon aus diesem Grunde eine krasse Verkennung der Rechtslage (insbesondere der Verfahrensvorschriften) und damit Willkür anzulasten sei.

Die behauptete Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter begründet die beschwerdeführende Gesellschaft im Wesentlichen damit, dass im Verwaltungsverfahren das Parteiengehör nicht gewahrt worden sei. Außerdem habe die Gewerbebehörde ihre Kompetenzen insofern überschritten, als sie in einem betriebsanlagenrechtlichen Auflassungsverfahren ausschließlich wasserpolizeiliche Vorkehrungen angeordnet und ein im Wasserrechtsverfahren vorgelegtes Einreichprojekt für verbindlich erklärt habe.

3. Unter gleichzeitiger Vorlage der Verwaltungsakten erstattete der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit eine Gegenschrift, in der das Beschwerdevorbringen bestritten und insbesondere darauf hingewiesen wurde, dass sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen der beschwerdeführenden Gesellschaft sehr wohl eingehend auseinandergesetzt habe. Im Übrigen wird auf die umfassenden Gutachten verwiesen, auf die sich der bekämpfte Bescheid stütze. Abschließend wurde beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

4. Die beschwerdeführende Gesellschaft replizierte.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft behauptet, die belangte Behörde habe bei Erlassung des bekämpften Bescheides Willkür geübt und sie dadurch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Das willkürliche Verhalten der belangten Behörde ergibt sich nach Auffassung der beschwerdeführenden Partei einerseits aus einem gehäuften Verkennen der Rechtslage (insbesondere im Zusammenhang mit §83 GewO 1994), andererseits aus der völlig unzureichenden Bescheidbegründung.

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

2.1. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

2.2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002). Darüber hinaus bildet das Unterlassen jeglicher Begründung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Willkür (VfGH 9.6.2004, B1510/03 mwN).

2.2.1. Nach einer kurzen Schilderung des Sachverhaltes werden in der Begründung des bekämpften Bescheides sowohl die Stellungnahmen des Sachverständigen der Magistratsabteilung 45 (Wasserbau) als auch jene des technischen Amtssachverständigen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit wörtlich wiedergegeben. Im Anschluss daran werden unter dem Punkt "Der Bundesminister hat erwogen:" die Bestimmungen des §74 Abs2 und §83 GewO 1994 im Wesentlichen wörtlich wiedergegeben. Die eigentlichen "Erwägungsgründe" finden sich ausschließlich im letzten Absatz:

"[...] Der Bundesminister stützt sich mit seiner Entscheidung auf die umfassenden Ausführungen des Sachverständigen der Magistratsabteilung 45 sowie auch des Amtssachverständigen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Hieraus ergibt sich, dass bei Einhaltung des vom Unternehmen selbst vorgeschlagenen Sanierungskonzeptes sowie auch der auf Vorschlag der MA 45 und vom gewerbetechnischen Sachverständigen des Bundesministeriums bestätigten Vorkehrungen die notwendigen Maßnahmen im Sinne des §83 GewO 1994 vorgeschrieben worden sind. [...]"

2.2.2. Im Hinblick auf die Verpflichtung zur Begründung von Bescheiden ist die Behörde gehalten, die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Entscheidung ist daher auch in rechtlicher Hinsicht zu begründen.

Bereits im Erkenntnis VfSlg. 10.057/1984 nahm der Gerichtshof unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung unter dem Aspekt der Gleichheitsverletzung infolge Willkür der entscheidenden Behörde den Standpunkt ein, dass eine in die Verfassungssphäre reichende Mangelhaftigkeit auch dann vorliegt, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen kein Begründungswert zukommt. Dies gilt umso mehr im hier vorliegenden Fall, in dem die Behörde den gesamten Bescheid, zwar unter Darstellung der Beweisergebnisse, aber ohne jede rechtliche Würdigung erlassen hat.

Die belangte Behörde hat es verabsäumt, die Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen und dabei insbesondere jene rechtlichen Schlussfolgerungen darzustellen, die sich im konkreten Fall bei Anwendung der wiedergegebenen Bestimmungen der GewO 1994 ergaben. Mit der beschwerdeführenden Gesellschaft ist davon auszugehen, dass auch dem letzten Absatz der Bescheidbegründung in diesem Zusammenhang keinerlei Begründungswert zukommt. Abgesehen davon hat sich die belangte Behörde auch nicht im Rahmen einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit der Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten auseinandergesetzt. Der Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass sich die belangte Behörde anstelle einer - den Anforderungen des AVG entsprechenden Bescheidbegründung - mit Ausführungen begnügt hat, denen letztlich keinerlei Begründungswert zukommt.

3. Der angefochtene Bescheid war folglich schon aus diesem Grunde wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufzuheben. Bei diesem Ergebnis kann es dahingestellt bleiben, ob der belangten Behörde auch aus anderen Gründen willkürliches Verhalten vorzuwerfen ist.

Es war auch nicht weiter zu prüfen, ob die beschwerdeführende Gesellschaft in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, insbesondere im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden ist.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Der zugesprochene Kostenbetrag enthält Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabegebühr (§17a VfGG) in Höhe von € 180,--.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Gewerberecht, Gefahrenabwehr, Gewerbepolizei, Bescheidbegründung,Gewässerverunreinigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:B830.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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