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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bernegger, Dr. Stöberl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Mayer, über die Beschwerde des S in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Mai 1992, Zl. 4.314.070/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Mai 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, der am 26. März 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der damals bereits anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hat seinen schriftlichen Asylantrag vom 8. April 1991 damit begründet, daß er wegen seiner kurdischen Abstammung in allen Lebensbereichen benachteiligt worden sei und ständig Schwierigkeiten mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt habe. Einmal sei er in seinem Dorf Kelhasan von Gendarmen angehalten und ohne Grund durchsucht worden. Dabei habe man einige Tonbandkassetten mit kurdischen Liedern gefunden. Auf den Kassetten habe sich nichts befunden, was verboten sei. Trotzdem sei er festgehalten und geschlagen worden. Von diesem Tag an sei er ständig von Gendarmen angesprochen und durchsucht worden. Auch habe man immer wieder seine Wohnung durchsucht und ihn geschlagen. Anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung am 30. April 1991 führte der Beschwerdeführer weiters aus, er sei nie Mitglied einer Partei oder politischen Bewegung gewesen. Nachdem man bei einer Hausdurchsuchung mehrere kurdische Musikkassetten gefunden habe, sei er durch die Polizei mehrmals verhört und dabei geschlagen worden. Dies sowie die laufenden Hausdurchsuchungen und der ständige psychische Druck hätten ihn veranlaßt, sein Heimatland zu verlassen.
In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen, dem keine gegenteiligen Ermittlungsergebnisse entgegenstünden.
Die belangte Behörde hat die Auffassung vertreten, daß dem Vorbringen des Beschwerdeführers "keine Umstände für eine objektiv begründete Furcht vor Verfolgung entnommen werden könnten". Ihr ist wohl im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 4. November 1992, Zl. 92/01/0819) beizupflichten, daß Verhöre und Hausdurchsuchungen für sich allein betrachtet nicht geeignet sind, als Verfolgungshandlungen gewertet zu werden. Der Beschwerdeführer hat aber darüber hinaus geltend gemacht, daß er dabei auch geschlagen worden sei, sowie, daß die Hausdurchsuchungen und Verhöre - seinen Angaben zufolge - "laufend" stattgefunden hätten. Auch hat der Beschwerdeführer als auslösendes Moment dieser gegen ihn gesetzten Maßnahmen den Besitz kurdischer Tonbandkassetten angegeben. Unter Zugrundelegung dieser von ihr in ihrer Glaubwürdigkeit nicht bezweifelten Angaben konnte die belangte Behörde aber nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß die von den staatlichen Behörden des Heimatlandes gegen den Beschwerdeführer gesetzten Handlungen - auch im Hinblick auf dessen Abstammung - keinesfalls als gegen ihn persönlich aus den in der Genfer Konvention genannten Gründen (insbesondere dem der Nationalität) gesetzte Verfolgungshandlungen gewertet werden könnten.
Die belangte Behörde hat auch die vom Beschwerdeführer behaupteten Mißhandlungen lediglich als "Übergriffe" von Organen gewertet, denen - entsprechend den in seiner Heimat allgemein herrschenden Verhältnissen - grundsätzlich die gesamte Bevölkerung ausgesetzt sei. Abgesehen davon, daß der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu entnehmen ist, auf welcher Sachverhaltsgrundlage diese Ansicht beruht, schließt - wie der Beschwerdeführer richtig rügt - die Tatsache, daß unter Umständen auch noch andere Personen ähnliche Maßnahmen zu erdulden haben, nicht aus, daß die konkret gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgungshandlungen aus in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen gesetzt wurden und daher die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung wohlbegründet sein könnte. Die belangte Behörde hat auch eine Auseinandersetzung mit der weiteren Frage, ob die vom Beschwerdeführer behaupteten (und von ihr gar nicht in Abrede gestellten) Mißhandlungen eine solche Intensität erreicht haben, daß dadurch - im Zusammenhang mit dem Umstand, daß der Beschwerdeführer den staatlichen Behörden wegen der bei ihm gefundenen Musikkassetten aufgefallen und bekannt war, und somit weitere Mißhandlungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden konnten - aus objektiver Sicht ein weiterer Verbleib in seinem Heimatland für ihn unerträglich gewesen sei, unterlassen (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0883).
Da somit der Sachverhalt in den aufgezeigten wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992010707.X00Im RIS seit
20.11.2000