Index
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §289 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Baumann, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Hutter, über die Beschwerde der G in V, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Kärnten vom 24. September 1990, Zl. 2/46 - 3/90, betreffend aufsichtsbehördliche Behebung eines Bescheides des Finanzamtes (Einkommensteuer-Vorauszahlung 1990), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen drei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Gegen den Bescheid vom 8. November 1989, mit dem die Vorauszahlungen an Einkommensteuer für das Jahr 1990 und die Folgejahre mit S 263.200,-- festgesetzt wurden, brachte die Beschwerdeführerin Berufung ein und begehrte die Festsetzung der Vorauszahlungen mit S 60.000,--. Zur Begründung führte sie aus, das Einkommen des letztvorangegangenen veranlagten Kalenderjahres (1987) - nach der Einkommensteuerschuld für dieses Jahr bemaß sich im gegenständlichen Fall gemäß § 45 Abs. 1 EStG die Höhe der Vorauszahlungen - beinhalte eine Mietvorauszahlung von S 463.000,--; diese falle im Jahr 1990 nicht an. Außerdem seien die Einkünfte aus der Vermietung des Hauses in der O.-Straße für 1990 nicht der Beschwerdeführerin zuzurechnen. Das voraussichtliche Einkommen für 1990 rechtfertige lediglich Einkommensteuervorauszahlungen in Höhe von S 60.000,--.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 11. Dezember 1989 gab das Finanzamt der Berufung Folge.
Mit Eingabe vom 8. Jänner 1990 verwies die Beschwerdeführerin darauf, daß sie eine Überschußrechnung für 1988 - die Beschwerdeführerin erzielte offensichtlich ausschließlich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung - eingereicht habe und sich aus dieser ein Verlust von ca. S 124.000,-- ergebe. Die Beschwerdeführerin stellte in dieser Eingabe einerseits den Antrag, die Einkommensteuervorauszahlungen für 1990 und die Folgejahre mit null Schilling festzusetzen und beantragte andererseits die Vorlage ihrer Berufung gegen den Vorauszahlungsbescheid vom 8. November 1989 an die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Diese Eingabe ist beim Finanzamt am 10. Jänner 1990 eingelangt.
Mit Bescheid vom 1. August 1990 setzte das Finanzamt die Einkommensteuervorauszahlungen für das Jahr 1990 und die Folgejahre mit S 0,-- fest.
Mit Bescheid vom 24. September 1990 hob die Finanzlandesdirektion den Bescheid des Finanzamtes vom 1. August 1990 betreffend Festsetzung der Vorauszahlungen an Einkommensteuer 1990 und Folgejahre gemäß § 299 Abs. 1 lit. c BAO wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Zur Begründung führte sie aus, das Finanzamt habe die Berufung gegen den Vorauszahlungsbescheid vom 8. November 1989 gemäß § 276 Abs. 3 BAO der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorgelegt. Sie habe jedoch in der Folge den Bescheid mit Ausfertigungsdatum 1. August 1990 erlassen, mit dem die Vorauszahlungen für 1990 und die Folgejahre mit S 0,-- festgesetzt wurden. Diese Vorgangsweise widerspreche den Bestimmungen der BAO, weil das Finanzamt nach Ergehen einer Berufungsvorentscheidung und nach Vorliegen eines Antrages auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz, somit in einem unerledigten Berufungsverfahren einen neuen Sachbescheid erlassen habe. Das Finanzamt hätte erst nach Erledigung der Berufung einen neuen Vorauszahlungsbescheid erlassen dürfen. Im übrigen sei nach der Aktenlage im Zeitpunkt des am 1. August 1990 ergangenen Vorauszahlungsbescheides "aufgrund des Schreibens der Finanzlandesdirektion vom 25. Juli 1990" mit Vorauszahlungen für 1990 und die Folgejahre in Höhe von S 30.000,-- zu rechnen gewesen.
Gegen diesen Aufhebungsbescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann ein Bescheid von der Oberbehörde aufgehoben werden,
a) wenn er von einer unzuständigen Behörde, von einem hiezu nicht berufenen Organ oder von einem nicht richtig zusammengesetzten Kollegialorgan einer Behörde erlassen wurde, oder
b) wenn der dem Bescheid zugrundeliegende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde, oder
c) wenn Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung ein anderslautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderlassung hätte unterbleiben können.
Gemäß § 299 Abs. 2 BAO kann ein Bescheid von der Oberbehörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 EStG 1988 werden bereits fällig gewordene oder innerhalb eines Monates ab Bekanntgabe einer Erhöhung der Vorauszahlungen fällig werdende Vorauszahlungsteilbeträge durch eine Änderung in der Höhe der Vorauszahlung nicht berührt. Gemäß § 45 Abs. 3 Satz 3 leg. cit. darf das Finanzamt Bescheide über die Änderung der Vorauszahlung für das laufende Kalenderjahr nach dem 30. September nicht mehr erlassen; dies gilt nicht für Bescheide aufgrund eines Antrages, den der Steuerpflichtige bis zum 30. September gestellt hat, sowie für eine Änderung in einem Rechtsmittelverfahren.
Der Beschwerdeführerin ist zuzustimmen, daß im gegenständlichen Fall von wesentlicher Bedeutung ist, ob die Berufung gegen einen Vorauszahlungsbescheid und der im § 45 Abs. 3 EStG 1988 vorgesehene Antrag an das Finanzamt auf Änderung der Vorauszahlungen dieselbe Sache betreffen. Zur Beantwortung dieser Frage ist zu untersuchen, welche Auswirkungen die Entscheidung über den jeweiligen Antrag des Steuerpflichtigen zeitigt.
Die Entscheidung über den Antrag auf Änderung der Vorauszahlungen berührt gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 EStG 1988 bereits fällig gewordene Vorauszahlungsteilbeträge nicht. Eine Herabsetzung der Vorauszahlung wirkt sich in der Regel zum nächsten Vorauszahlungsstichtag (§ 45 Abs. 2 EStG) aus. Ergeht der Bescheid erst nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Antrag gestellt worden ist, hat die bescheidmäßige Erledigung keine Auswirkung auf die Vorauszahlung des Antragsjahres.
Anders verhält es sich bei der Entscheidung über die Berufung gegen einen Vorauszahlungsbescheid. Zwar spricht § 45 Abs. 3 Satz 1 EStG 1988 ganz allgemein davon, daß eine Änderung in der Höhe der Vorauszahlungen bereits fällig gewordene Vorauszahlungsbeträge nicht berührt. Im Gegensatz zur Anordnung des Verbotes bescheidmäßiger Änderungen von Vorauszahlungen nach dem 30. September eines Jahres im § 45 Abs. 3
Satz 3 EStG 1988, welche eine ausdrückliche Ausnahme für Änderungen im Rechtsmittelverfahren vorsieht, spricht der Gesetzestext im Satz 1 nicht ausdrücklich von einer Ausnahme für das Rechtsmittelverfahren. Der Verwaltungsgerichtshof erachtet aber aus nachstehenden Gründen § 45 Abs. 3 Satz 1 EStG 1988 nicht auf Erledigungen im Rechtsmittelverfahren anwendbar:
Im zeitlichen Geltungsbereich des EStG 1939, DRGBl. I, Seite 297, konnten auch bereits fällig gewordene Vorauszahlungs-Viertel ermäßigt werden, wenn dies zur Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse geboten war (vgl. Blümich, EStG, 5. Auflage, 1943, Seite 803). Das EStG 1953, BGBl. Nr. 1/1954, ordnet im § 35 Abs. 3 Satz 1 an, daß bereits fällig gewordene Vorauszahlungsteilbeträge durch eine Änderung in der Höhe der Vorauszahlung nicht berührt werden, wobei der Gesetzestext auf den Abs. 1 des § 35 verweist; Abs. 1 normiert, daß die Vorauszahlung der Steuer des letztvorangegangenen veranlagten Jahres entspricht. Aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage ergibt sich, daß § 35 Abs. 3 Satz 1 auf den Fall abstellt, daß während eines Kalenderjahres ein Einkommensteuerbescheid für ein Kalenderjahr ergeht, das zeitlich später liegt als jenes, welches die Grundlage für die Festsetzung der Vorauszahlung gebildet hat (vgl. Melichar, EStG 1953, Wien 1955, Seite 627). § 35 Abs. 3 Satz 1 wurde unverändert in das EStG 1967, BGBl. Nr. 268, und als § 45 Abs. 3 Satz 1 in das EStG 1972, BGBl. Nr. 440, übernommen.
Der letzte Satz des § 35 Abs. 3 EStG 1967 lautet: "Nach dem 3O. September darf das Finanzamt Bescheide über die Anpassung der Vorauszahlungen für das laufende Kalenderjahr nicht mehr erlassen." Mit dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber entsprechend dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1967, 1627/66, klarstellen, daß sich das Verbot einer Änderung von Vorauszahlungen für das laufende Jahr nach dem 30. September nicht auf Änderungen im Rechtsmittelverfahren bezieht (vgl. Jiresch - Fasching - Langer, EStG 1967, Wien 1970, Seite 782). Diese Ausnahme vom Verbot der Änderung nach dem 30. September formuliert das EStG 1972 - auch in der Fassung des AbgÄG 1980, BGBl. Nr. 563 - in der Weise, daß das Verbot nicht für "eine Änderung in einem Rechtsmittelverfahren" gelte. Wenn sohin im § 45 Abs. 3 EStG 1972 von "Änderungen" im Rechtsmittelverfahren die Rede ist, bezweckte der Gesetzgeber damit nicht, daß die Bestimmung des ersten Satzes dieses Absatzes, wonach "Änderungen" in der Höhe der Vorauszahlungen bereits fällig gewordene Vorauszahlungen nicht berühren, auch auf die Erledigung in einem Rechtsmittelverfahren zur Anwendung komme (vgl. Schubert - Pokorny - Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, Wien 1973, Seite 934). Diese Ausnahme vom Verbot der Änderung nach dem 30. September hat das EStG 1988 in unveränderter Textierung als § 45 Abs. 3 Satz 3 übernommen. Auch § 45 Abs. 3 Satz 1 EStG 1988 stimmt - soweit dies hier maßgeblich ist - mit der Fassung des § 35 Abs. 3 Satz 1 EStG 1953 und § 45 Abs. 3 Satz 1 EStG 1967 überein.
Daraus ergibt sich, daß § 45 Abs. 3 Satz 1 EStG 1988 nicht in die Regelung des § 289 Abs. 2 BAO, aufgrund welcher die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abändern oder aufheben kann, eingreift. Nur dieses Ergebnis entspricht auch einer verfassungskonformen Interpretation. Die Anwendung des § 45 Abs. 3 Satz 1 EStG 1988 auf Berufungsentscheidungen über Vorauszahlungen führte dazu, daß eine Berufungsentscheidung, die nach Ablauf des Kalenderjahres ergeht, dessen Vorauszahlung bekämpft wird, die Vorauszahlungen nicht mehr zu ändern vermöchte. Es wäre mit dem rechtsstaatlichen Prinzip nicht zu vereinbaren, die Rechtssuchenden in derartigen Fällen generell einseitig mit den Folgen eines potentiell rechtswidrigen Vorauszahlungsbescheides bis zum späteren Ergehen des Einkommensteuerbescheides zu belasten, ohne ihnen eine Rechtsschutzeinrichtung von faktischer Effizienz einzuräumen (vgl. VfSlg. 11.196 und hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1967, 1627/66). Dazu kommt, daß wegen allfälliger Nichtentrichtung der Vorauszahlungen eingetretene Säumnisfolgen durch die nachfolgende Veranlagung zur Einkommensteuer nicht beseitigt sind.
Somit zeitigen die in diesen beiden Verfahren ergehenden bescheidmäßigen Erledigungen unterschiedliche Auswirkungen. Der Verwaltungsgerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, daß Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens gegen einen Vorauszahlungsbescheid die Vorauszahlungen mit (rückwirkender) Wirksamkeit ab der Erlassung des (mit dem betreffenden Rechtsmittel) angefochtenen Bescheides, Gegenstand eines Antrages auf Änderung (Anpassung) der Vorauszahlungen hingegen die Vorauszahlungen mit Wirksamkeit nach Erlassung des Änderungsbescheides (ohne Rückwirkung) sind. Identität des Gegenstandes liegt daher nicht vor. In der Berufung gegen den Vorauszahlungsbescheid können erfolgreich nur solche Einwendungen vorgebracht werden, die die Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Vorauszahlungsbescheides im Zeitpunkt seiner Erlassung aufzeigen, was beispielsweise nicht der Fall wäre, wenn die Einwendung darin bestünde, auf die nach Erlassung des Vorauszahlungsbescheides erfolgte Veranlagung für ein früheres Kalenderjahr zu verweisen.
Die belangte Behörde begründet die Aufhebung des Bescheides des Finanzamtes damit, daß das Finanzamt die bescheidmäßige Anpassung von Vorauszahlungen nicht vornehmen darf, solange eine Berufung gegen einen Vorauszahlungsbescheid anhängig ist. Damit verkennt sie, daß beide Verfahren nicht dieselbe Sache betreffen. Aus dem Antrag des Beschwerdeführers vom 8. Jänner 1990 ergibt sich, daß mittlerweile die Einkommensteuererklärung für 1988 eingereicht worden sei und sich bei der für den Beschwerdeführer relevanten Einkunftsart ein Verlust ergeben habe. Dieses Vorbringen hätte in der Entscheidung über die Berufung gegen den früher ergangenen Vorauszahlungsbescheid vom 8. November 1989 keine Berücksichtigung finden können.
Der angefochtene Bescheid führt als Begründung weiters aus, nach der Aktenlage sei im Zeitpunkt des am 1.August 1990 ergangenen Anpassungsbescheides des Finanzamtes aufgrund eines Schreibens der Finanzlandesdirektion vom 25. Juli 1990 mit Vorauszahlungen für 1990 in der Höhe von S 30.000,-- zu rechnen gewesen. Dieses Schreiben der Finanzlandesdirektion ist ein im Berufungsverfahren an die Beschwerdeführerin gerichteter Vorhalt. Die Aufsichtsbehörde muß einen wesentlichen Verfahrensmangel konkret dartun, wenn er einen Aufhebungsbescheid nach § 299 BAO tragen soll (vgl. hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1992, 92/14/0146). Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, welcher Verfahrensfehler dem Finanzamt vorgeworfen wird, zumal weder die belangte Behörde ausführt noch aus den Akten ersichtlich ist, daß dem Finanzamt bei Bescheiderlassung das Schreiben der Finanzlandesdirektion vom 25. Juli 1990 bekannt gewesen wäre.
Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1990140234.X00Im RIS seit
20.11.2000