TE Vfgh Erkenntnis 1991/6/15 B827/88

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Veröffentlicht am 15.06.1991
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
Wr BauO 1930 §9 Abs7
Wr BauO 1930 §11
Plandokument Nr 5820. Beschluß des Wr Gemeinderates vom 22.03.85

Leitsatz

Verletzung der Beschwerdeführer durch eine - auf einen Bekanntgabebescheid (betreffs Bekanntgabe der Bebauungsvorschriften) gestützte - Baubewilligung in ihren Rechten; Erlassung des Bekanntgabebescheides aufgrund einer vom VfGH als gesetzwidrig aufgehobenen Verordnung (Plandokument); Bekanntgabebescheid von Berufung gegen Baubewilligung mitumfaßt

Spruch

Die beschwerdeführenden Parteien sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Stadt Wien ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Magistrat der Stadt Wien erteilte der Beteiligten R-V-Aktiengesellschaft mit Bescheid vom 2. Mai 1986 die Baubewilligung, auf dem Grundstück Wien 14., Hüttelbergstraße 25, ein zweistöckiges, 29 Wohnungen enthaltendes Wohnhaus mit einer Tiefgarage im Kellergeschoß zu errichten und wies die von den beschwerdeführenden Parteien als Nachbarn erhobenen Einwendungen teils ab und teils zurück. Ihr Rechtsmittel dagegen (in welchem sie insbesondere kritisierten, daß die geplante Bauführung mit der Widmung des Gebietes als Parkschutzgebiet unvereinbar sei, und "Einwendungen" gegen den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan vorbrachten) blieb erfolglos. Die Beschwerdeführer ergriffen sodann gegen den abweisenden Berufungsbescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 17. Oktober 1986 Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher sie ua. die Gesetzwidrigkeit des maßgebenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplans Plandokument Nr. 5820 geltend machten. Aus Anlaß dieser Beschwerde (B 970/86) leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des zweiten Satzes im Punkt II Z1 der bezogenen Verordnung ein und sprach mit dem Erkenntnis V25/87 vom 12. Juni 1987 (VfSlg. 11349/1987) aus, daß diese Verordnungsbestimmung bis zum Ablauf des 31. Dezember 1986 gesetzwidrig war. Mit dem ebenfalls am 12. Juni 1987 gefällten Erkenntnis B970/86 entschied der Gerichtshof in der Beschwerdesache und hob den Bescheid der Bauoberbehörde auf, weil die beschwerdeführenden Parteien infolge Anwendung einer rechtswidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden waren.

2. Die Bauoberbehörde für Wien entschied mit Bescheid vom 3. März 1988 neuerlich über die von den Beschwerdeführern erhobene Berufung und wies diese ab. In der Begründung ihrer Entscheidung gab die Berufungsbehörde ua. das nachstehende Vorbringen des Vertreters der Bauwerberin wieder und führte - daran anschließend - folgendes aus:

"'Der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, auf den sich die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen bezieht, ist infolge der am 1. Jänner 1987 eingetretenen Sanierung hinsichtlich des vorher gegebenen Kundmachungsmangels geheilt, daher entfalten die mit Bescheid vom 16. April 1985 bekanntgegebenen Bebauungsbestimmungen Gültigkeit und es ist das vorliegende Bauansuchen auf Grund des §11 der Bauordnung für Wien auf der Grundlage der bekanntgegebenen Bebauungsbestimmungen zu entscheiden.'

Dieser Rechtsansicht schließt sich die Bauoberbehörde für Wien an. Das Rechtsinstitut der Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen bietet während der Gültigkeitsdauer der Bekanntgabe (§11 der Bauordnung für Wien) einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Bewilligung im Rahmen der bekanntgegebenen Bestimmungen, mag sich auch der Bebauungsplan geändert haben oder eine Bausperre verhängt worden sein.

Das gegenständliche Bauansuchen wurde mit Bescheid Zahl MA 37 - 6626/84, datiert vom 16. April 1985, zur Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen belegt, dieser Bescheid war am 18. April 1985 erlassen worden. Das Ansuchen um Erteilung der Baubewilligung langte am 2. Juli 1985, somit innerhalb der Jahresfrist des §11 der Bauordnung für Wien bei der Behörde ein.

Der Bescheid über die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen ist durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 1987 nicht behoben worden. Er war auf eine Norm gestützt, die wegen eines Kundmachungsmangels bis zum 31. Dezember 1986 gesetzwidrig war; nach dem 31. Dezember 1986 war dieser Kundmachungsmangel saniert, der Bescheid über die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen war also während des anhängigen Verfahrens auf eine gesetzeskonforme Verordnung gestützt und konnte somit die Perpetuierungswirkungen gemäß §11 der Bauordnung für Wien entfalten."

3. Gegen den Bescheid der Bauoberbehörde vom 3. März 1988 richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher die beschwerdeführenden Parteien eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie eine Rechtsverletzung infolge Anwendung des vom Gerichtshof bereits als gesetzwidrig befundenen Plandokuments Nr. 5820 geltend machen.

Die belangte Behörde sowie die Beteiligte erstatteten Gegenschriften, in denen die Abweisung der Beschwerde begehrt wird.

II. Die Beschwerde ist gerechtfertigt.

1.a) §9 Abs7 zweiter Satz BauO f Wien legt fest, daß eine Berufung gegen einen Bescheid, durch den die Bebauungsbestimmungen bekanntgegeben werden, nur mit der Berufung gegen einen Bescheid verbunden werden kann, der sich auf die Bekanntgabe oder Verweigerung der Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen stützt.

Für Verwaltungssachen wie etwa die vorliegende, welche die Errichtung eines Neubaus zum Gegenstand haben, bedeutet dies, daß der Bekanntgabebescheid nur gemeinsam mit der auf ihn gestützten Baubewilligung für den Neubau mit Berufung angefochten werden kann.

b) Richtet sich nun die vom Nachbarn als Berufungswerber gegen die Baubewilligung in seinem Rechtsmittel geübte Kritik entweder ausdrücklich oder auch bloß der Sache nach gegen die bekanntgegebenen Bebauungsbestimmungen (etwa in der Weise, daß das den bekanntgegebenen Bebauungsbestimmungen zugrundeliegende Plandokument gesetzwidrig sei), so liegt hierin auch dann eine gegen den Bekanntgabebescheid gerichtete Berufung an die Baubehörde zweiter Instanz, wenn sich das in der Berufung enthaltene Anfechtungsbegehren anscheinend nur gegen die Baubewilligung richtet. Weist die Berufungsbehörde in einem solchen Fall die ausdrücklich zwar bloß gegen die Baubewilligung, nach den Intentionen des Rechtsmittelwerbers aber (auch) gegen den Inhalt des Bekanntgabebescheides gerichtete Berufung als unbegründet ab, so trifft sie damit eine für den die Berufung erhebenden Nachbarn in jeder Richtung negative Entscheidung; mit dieser hält sie nämlich sowohl den die Baubewilligung stützenden Bekanntgabebescheid als auch die auf diesen gegründete Baubewilligung aufrecht.

In Ansehung des in dieser Bausache gegebenen Verwaltungsgeschehens gilt dies sowohl für den normativen Inhalt des im ersten als auch für den des im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheides der Bauoberbehörde, also einerseits bezüglich des mit dem hg. Erkenntnis B970/86 vom 12. Juni 1987 aufgehobenen Berufungsbescheides vom 17. Oktober 1986 und andererseits hinsichtlich des mit der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde angefochtenen Berufungsbescheides vom 3. März 1988.

c) Der Bescheid, durch den die Bebauungsbestimmungen bekanntgegeben werden, verfolgt in erster Linie den Zweck, die zum Zeitpunkt seiner Erlassung aufgrund des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes bestehende generelle Rechtslage für den Einzelfall während eines bestimmten Zeitraumes gleichsam zu perpetuieren und dadurch eine gesicherte Grundlage für das gesamte Bauverfahren (also einschließlich eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens) zu schaffen (vgl. dazu zB Geuder/Hauer, Das Wiener Baurecht3, S. 90 Anm. 1 zu §9 BauO f Wien). Aus diesem Umstand folgt für die Berufungsbehörde, daß sie ihre Entscheidung über den bei ihr gemeinsam mit der Baubewilligung bekämpften Bekanntgabebescheid stets an jener generellen Rechtslage auszurichten hat, die zum Zeitpunkt der Erlassung des Bekanntgabebescheides durch den Magistrat bestand.

Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, daß die Bauoberbehörde für Wien im Hinblick auf die Erlassung des hier maßgebenden Bescheides über die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen am 18. April 1985 die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs V25/87 (VfSlg. 11349/1987) für das Plandokument Nr. 5820 herbeigeführte generelle Rechtslage hätte beachten müssen: Die vom Verfassungsgerichtshof im Verordnungsprüfungsverfahren getroffene Feststellung, daß eine (nach der Lage der Verwaltungssache inhaltlich in Betracht kommende) Bestimmung dieser Verordnung bis zum Ablauf des 31. Dezember 1986 gesetzwidrig war, erfaßt nämlich auch den eben erwähnten Zeitpunkt der Erlassung des Bekanntgabebescheides. Da die Bauoberbehörde jedoch - wie ihr die beschwerdeführenden Parteien zu Recht vorwerfen - die bis zum Ablauf des 31. Dezember 1986 gesetzwidrige Verordnung anwendete, verletzte sie die Beschwerdeführer in deren Rechten, und zwar so, daß sich die Anwendung der Verordnungsstelle für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Parteien offenkundig als nachteilig erweist.

d) Der angefochtene Bescheid war sohin aufzuheben.

2. Im fortzusetzenden Verwaltungsverfahren wird die Bauoberbehörde in Bindung an die dargelegte Rechtsauffassung (§87 Abs2 VerfGG) der Berufung Folge zu geben und die Baubewilligung einschließlich des Bekanntgabebescheides unter Rückverweisung der Bausache an den Magistrat aufzuheben haben. Die Baubehörde erster Instanz wird sodann die Vorlage eines neuen Bekanntgabebescheides zu verlangen haben.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf die Umsatzsteuer.

IV. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.

Schlagworte

Baurecht, Baubewilligung, Bekanntgabe der Bebauungsvorschriften, Berufung, Bescheiderlassung (Zeitpunkt maßgeblich für Rechtslage), Bindung (der Verwaltungsbehörden an VfGH), VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Anlaßfall, Verwaltungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B827.1988

Dokumentnummer

JFT_10089385_88B00827_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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