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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
VwRallg;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Kratschmer, Dr. Hargassner, Dr. Bumberger und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Möslinger-Gehmayr, über die Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 9. April 1993, Zl. III/1-24.299/31-93, betreffend wasserrechtliche Bewilligung (mitbeteiligte Partei: J in S, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 9. April 1993 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß den §§ 12, 13, 32 (Abs. 2 lit. d), 99, 105 und 111 des Wasserrechtsgesetzes 1959 (WRG 1959) die bis zum 31. Dezember 1993 befristete wasserrechtliche Bewilligung zur Aufbringung von 18.000 m3/Jahr Senkgrubenräumgut aus S mit einem Gehalt von maximal 0,110 kg N/m3 auf insgesamt 116 ha landwirtschaftlich genutzter Flächen in den Katastralgemeinden M und N erteilt. In der Begründung wird ausgeführt, aufgrund des Gutachtens des Amtssachverständigen für Wasserbautechnik vom 8. März 1993 ergebe sich, daß in dem geplanten Projekt der Aufbringung von Senkgrubenräumgut auf landwirtschaftlich genutzten Flächen im Gebiet der wasserwirtschaftlichen Rahmenverfügung für das Marchfeld, BGBl. Nr. 32/1964, ein Widerspruch zum Widmungszweck dieser Rahmenverfügung zu sehen sei. Gemäß § 54 Abs. 3 WRG 1959 sei daher zu prüfen gewesen, ob das öffentliche Interesse an dieser Maßnahme jenes an der Einhaltung der Rahmenverfügung überwiege. Dabei sei davon auszugehen gewesen, daß die derzeit bestehende Entsorgung der anfallenden Abwässer in der Gemeinde S durch direkte Versickerungen oder unsachgemäße Ausbringungen auf landwirtschaftlich genutzte Flächen erfolge. Für die in dichten Senkgruben gesammelten Abwässer gebe es keine Möglichkeit der Einbringung in eine für diese Abwassermengen ausgerüstete Kläranlage. In diesem Zusammenhang werde darauf verwiesen, daß in Abänderung des ursprünglich beantragten Projektes nunmehr seit 1. Dezember 1992 für die mitbeteiligte Partei die Möglichkeit bestehe, Senkgrubenräumgut aus S im Ausmaß von ca. 27.000 m3 in die Zentralkläranlage Großenzersdorf einzubringen. Für die immer noch verbleibenden 18.000 m3 finde sich bis zur Inbetriebnahme der Kläranlage S (Bauvollendungsfrist: 31. Dezember 1993) keine geeignete Möglichkeit der Reinigung beziehungsweise Entsorgung. Es stünden sich daher einerseits das Interesse an der Einhaltung der Rahmenverfügung mit dem Widmungszweck des größtmöglichen Grundwasserschutzes sowie andererseits ein ebenso erhebliches öffentliches Interesse an einer geordneten Reinigung beziehungsweise Beseitigung von Abwässern gegenüber. Im gegenständlichen Fall könne mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß die Kläranlage S mit Beginn des Jahres 1994 in Betrieb gehen könne und sich ab diesem Zeitpunkt die Ausbringung von Senkgrubenräumgut auf landwirtschaftlich genutzten Flächen erübrige. Es sei daher abzuwägen gewesen zwischen einer kurzfristigen und rigoros beschränkten Aufbringung auf landwirtschaftliche Flächen, welche kontrollierbar sei und wobei strenge Auflagen einzuhalten seien, bei der allerdings das Gefährdungspotential für das Grundwasser kurzfristig erhöht werde und einer unkontrollierbaren, nicht nachzuvollziehenden und durch keinerlei Auflagen modifizierten anderweitigen Entsorgung, wobei das Risikopotential für das Grundwasser in keiner Weise abgeschätzt werden könne, da diese Entsorgungsart konsenslos erfolgen müßte und die Intention dabei eine möglichst rasche Beseitigung von Senkgrubenräumgut wäre. Dem öffentlichen Interesse werde daher durch die geordnete Aufbringung, welche zwar das Gefährdungspotential für das Grundwasser kurzfristig erhöhe, jedoch kontrollierbar sei, besser entsprochen. Es überwiege in dieser Hinsicht auch das Interesse an der Einhaltung der Rahmenverfügung. Aufgrund der relativ kurzfristigen Bewilligungsdauer bis Ende 1993 sowie der Auflagen und Bedingungen, welche in diesem Bescheid festgelegt seien, erscheine das eingereichte Projekt im Sinne des Grundwasserschutzes vertretbar. Da somit die öffentlichen Interessen wie auch das Vorbringen der Beteiligten berücksichtigt seien und die mitbeteiligte Partei dem Verhandlungsergebnis zugestimmt habe, habe die angestrebte Bewilligung erteilt werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 54 Abs. 3 WRG 1959 gestützte Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft in der beantragt wird, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Der beschwerdeführende Bundesminister bringt vor, nach den §§ 13 Abs. 1 und 104 Abs. 1 lit. b WRG 1959 habe die Wasserrechtsbehörde Anträge auf Erteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung zunächst insbesondere daraufhin zu untersuchen, ob die Anlagen beziehungsweise Maßnahmen dem Stand der Technik entsprächen. Daraus folge, daß eine wasserrechtliche Bewilligung nur erteilt werden dürfe, wenn die zur Bewilligung beantragten Anlagen beziehungsweise Maßnahmen dem Stand der Technik im Sinne des § 12 a WRG 1959 entsprächen. Die belangte Behörde hätte sich daher mit der Frage zu befassen gehabt, ob die zur Bewilligung beantragte Anlage (Maßnahme) dem Stand der Technik entspreche. Weder aus der Begründung des angefochtenen Bescheides noch aus dem sonstigen Akteninhalt sei jedoch ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, ob sich die Behörde mit dieser Frage auseinandergesetzt habe; insbesondere finde sich keine Äußerung des Amtssachverständigen zu diesem Thema. Im übrigen sei festzustellen, daß die Form der geplanten Entsorung keinesfalls dem Stand der Technik und den Anforderungen des Grundwasserschutzes entspreche. Das Räumgut wäre vielmehr von mit entsprechenden Übernahmestationen ausgestatteten Kläranlagen zu übernehmen.
Außerdem sei der entscheidungsrelevante Sachverhalt insofern nicht ordnungsgemäß ermittelt worden, als dem Verfahren kein ärztlicher Sachverständiger beigezogen worden sei. Das Erfordernis der Beiziehung eines ärztlichen Amtssachverständigen sei damit zu begründen, daß zusätzlich zu Nährstoffen und anderen anorganischen Inhaltsstoffen häusliches Abwasser auch eine Vielzahl von pathogenen Keimen enthalten könne, die über das Sickerwasser in das Grundwasser gelangen könnten. Da eine Inaktivierung der im Senkgrubeninhalt möglicherweise enthaltenen Bakterien und Viren nicht vorgesehen sei und diese Organismen zum Teil eine sehr hohe Lebensdauer besäßen, könne eine Kontamination des Grundwassers nicht ausgeschlossen werden. Dieser Aspekt sei im Verfahren vor der belangten Behörde unberücksichtigt geblieben. Überdies habe auch der Amtssachverständige für Wasserbautechnik der belangten Behörde in seiner Stellungnahme von 5. August 1992 die Beiziehung eines Sachverständigen für Hygiene gefordert.
Die belangte Behörde habe bei ihrer Entscheidung zu prüfen gehabt, ob das öffentliche Interesse an der geplanten Maßnahme jenes an der Einhaltung der Rahmenverfügung überwiege. Das überwiegende öffentliche Interesse sei damit begründet worden, daß dadurch die Entsorgung des Senkgrubenräumgutes kontrollierbar sei. Dem öffentlichen Interesse würde aber besser entsprochen, wenn die Entsorgung nach dem Stand der Technik erfolgte. An einer Entsorgung, die keinesfalls dem Stand der Technik entspräche, könne kein überwiegendes öffentliches Interesse bestehen, noch dazu, wo jederzeit eine Übernahme durch in unmittelbarer örtlicher Umgebung bestehende Kläranlagen möglich sei oder kurzfristig geschaffen werden könne. Die Überlastung oder der Unwille lokaler Kläranlagenbetreiber, den Senkgrubeninhalt übernehmen zu wollen, könne nicht als Rechtfertigung für die Durchführung der geplanten, aus wasserwirtschaftlicher Sicht höchst bedenklichen Maßnahmen gesehen werden.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in
der sie Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 54 Abs. 3 WRG 1959 hat die Wasserrechtsbehörde zu prüfen, ob ein Vorhaben mit einer wasserwirtschaftlichen Rahmenverfügung im Widerspruch steht. Die Bewilligung eines mit einer wasserwirtschaftlichen Rahmenverfügung im Widerspruch stehenden Vorhabens ist nur zulässig, wenn das öffentliche Interesse an der Maßnahme jenes an der Einhaltung der Rahmenverfügung überwiegt. Solche Bescheide sind binnen zwei Wochen nach deren Rechtskraft unter Anschluß der Entscheidungsunterlagen dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft vorzulegen. Dieser kann gegen solche Bescheide Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erheben.
Unbestritten ist, daß jene Flächen, auf denen die Aufbringung von Senkgrubenräumgut bewilligt wurde, innerhalb des von der wasserwirtschaftlichen Rahmenverfügung für das Marchfeld, BGBl. Nr. 32/1964, erfaßten Gebietes liegen. Durch diese wasserwirtschaftliche Rahmenverfügung wird das Grundwasser vor allem der Trinkwasserversorgung gewidmet. Unbestritten ist auch, daß die erteilte Bewilligung mit dieser wasserwirtschaflichen Rahmenverfügung im Widerspruch steht. Die Beschwerde ist daher zulässig.
§ 54 Abs. 3 WRG 1959 sieht - bei Überwiegen öffentlicher Interessen - die Möglichkeit vor, eine wasserrechtliche Bewilligung trotz Widerspruch zu einer wasserwirtschaftlichen Rahmenverfügung zu erteilen. Die genannte Bestimmung läßt aber die übrigen Bewilligungsvoraussetzungen unberührt. Die Interessenabwägung kann daher erst dann einsetzen, wenn feststeht, daß das Vorhaben überhaupt bewilligungsfähig ist.
Die Aufbringung von Senkgrubenräumgut auf landwirtschaftlich genutzten Flächen bedarf einer Bewilligung nach § 32 WRG 1959. Nach Abs. 6 dieser Bestimmung finden auf Einwirkungen, Maßnahmen und Anlagen, die nach Abs. 1 bis 4 bewilligt werden, die für Wasserbenutzungen (Wasserbenutzungsanlagen) geltenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sinngemäß Anwendung. Durch diesen Verweis werden der Wasserrechtsbehörde auch Determinanten für die Bewilligung von Maßnahmen nach § 32 WRG 1959 vorgegeben. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere die Bestimmung des § 12 Abs. 1 WRG 1959 von Bedeutung. Danach ist das Maß und die Art der zu bewilligenden Wasserbenutzung derart zu bestimmen, daß das öffentliche Interesse (§ 105) nicht beeinträchtigt und bestehende Rechte nicht verletzt werden.
Der im § 12 Abs. 1 WRG 1959 angeführte § 105 leg. cit. sieht im Abs. 1 lit. e vor, daß im öffentlichen Interesse ein Antrag auf Bewilligung eines Vorhabens insbesondere dann als unzulässig angesehen werden oder nur unter entsprechenden Auflagen bewilligt werden kann, wenn die Beschaffenheit des Wassers nachteilig beeinflußt würde.
Den Maßstab für eine nachteilige Beeinflussung des Wassers liefert § 30 WRG 1959. Nach dessen Abs. 1 sind alle Gewässer einschließlich des Grundwassers im Rahmen des öffentlichen Interesses und nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen so rein zu halten, daß die Gesundheit von Mensch und Tier nicht gefährdet, Grund- und Quellwasser als Trinkwasser verwendet, Tagwässer zum Gemeingebrauche sowie zu gewerblichen Zwecken benutzt, Fischwässer erhalten, Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes und sonstige fühlbare Schädigungen vermieden werden können.
Nach § 30 Abs. 2 leg. cit. wird unter Reinhaltung der Gewässer in diesem Bundesgesetze die Erhaltung der natürlichen Beschaffenheit des Wassers in physikalischer, chemischer und biologischer Hinsicht (Wassergüte), unter Verunreinigung jede Beeinträchtigung dieser Beschaffenheit und jede Minderung des Selbstreinigungsvermögens verstanden.
Nach § 30 Abs. 3 WRG 1959 wird unter Schutz der Gewässer in diesem Bundesgesetz die Erhaltung der natürlichen Beschaffenheit des Gewässers und der für die ökologische Funktionsfähigkeit des Gewässers maßgeblichen Uferbereiche sowie der Schutz des Grundwassers verstanden.
Aus diesen Zielvorgaben und Begriffsbestimmungen erhellt, daß eine nachteilige Beeinflussung des Wassers dann vorliegt, wenn dessen natürliche Beschaffenheit beeinträchtigt wird. Geht von einem beantragten Vorhaben eine solche nachteilige Beeinflussung der Beschaffenheit des Wassers aus und kann diese auch durch Auflagen nicht beseitigt werden, so ist das Vorhaben wegen Beeinträchtigung öffentlicher Interessen grundsätzlich nicht bewilligungsfähig. Dies gilt allerdings dort nicht, wo aus Bestimmungen des WRG 1959 beziehungsweise der darauf gegründeten Verordnungen erschließbar ist, daß Beeinträchtigungen der Beschaffenheit des Wassers, die ein bestimmtes Ausmaß nicht übersteigen, einer Bewilligung nicht entgegenstehen (vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere § 33 b WRG 1959).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage hätte die belangte Behörde zunächst in einem ersten Schritt prüfen müssen, ob das Vorhaben der mitbeteiligten Partei unabhängig von der wasserwirtschaftlichen Rahmenverfügung einer Bewilligung zugänglich war. Der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt reicht aber nicht aus, diese Frage zu beurteilen. Den von der belangten Behörde eingeholten Gutachten des Amtssachverständigen für Wasserbautechnik und des Amtssachverständigen für Landwirtschaft ist nämlich nicht mit ausreichender Deutlichkeit zu entnehmen, ob durch die Aufbringung des Senkgrubenräumgutes die Beschaffenheit des Grundwasservorkommens nachteilig beeinflußt wird. Außerdem war die Beiziehung eines Amtssachverständigen für Wasserbautechnik und eines Amtssachverständigen für Landwirtschaft im vorliegenden Fall nicht ausreichend. Nach § 108 Abs. 6 WRG 1959 ist nämlich einer mündlichen Verhandlung über Angelegenheiten, bei denen auch Fragen der Hygiene zu beurteilen sind - dies trifft auf den Beschwerdefall zu - ein ärztlicher Amtssachverständiger beizuziehen. Dies hat die belangte Behörde unterlassen.
Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993070064.X00Im RIS seit
12.11.2001