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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Bernegger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des S in K, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Februar 1993, Zl. 4.342.255/1-III/13/93, betreffend Asylgewährung und Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird insoweit, als sie sich auf die Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers bezieht, als unbegründet abgewiesen.
Hingegen wird der angefochtene Bescheid in seinem Ausspruch über den Ausschluß der aufschiebenden Wirkung der Berufung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. Dezember 1992 wurde der Antrag des Beschwerdeführers - eines Staatsangehörigen "der jugoslawischen Förderation" albanischer Nationalität - auf Gewährung von Asyl vom 23. Dezember 1992 gemäß § 3 Asylgesetz 1991 abgewiesen und der Berufung gegen diesen Bescheid gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Februar 1993 sowohl hinsichtlich der Gewährung von Asyl (Punkt 1. des Spruches) als auch hinsichtlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Berufung (Punkt 2. des Spruches) jeweils gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Weiters wurde mit diesem Bescheid der Antrag des Beschwerdeführers "auf Erledigung gemäß § 7 Absatz 4 Asylgesetz 1991" gemäß § 10 Abs. 1 leg. cit. wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen (Punkt 3. des Spruches).
Gegen diesen Bescheid, und zwar erkennbar nur hinsichtlich seiner Spruchteile 1. und 2., richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer nicht nur deshalb kein Asyl gewährt, weil sie seine Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 verneint hat, sondern auch deshalb, weil sie der Ansicht war, daß der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. gegeben sei. Nach dieser Gesetzesstelle wird einem Flüchtling kein Asyl gewährt, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Selbst wenn daher der Beschwerdeführer - wie er ebenfalls geltend macht - als Flüchtling anzusehen wäre, wäre für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen, wenn dieser Ausschließungsgrund vorliegt.
Die belangte Behörde hat auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren, er sei über Ungarn und die ehemalige Tschechoslowakei (am 19. Dezember 1992) nach Österreich eingereist, angenommen, daß er bereits in diesen beiden Staaten, bei welchen es sich um Mitgliedsstaaten der EMRK und der Genfer Flüchtlingskonvention handle und die auch über ein in der Praxis funktionierendes Asylrechtsverfahren verfügten, vor Verfolgung sicher gewesen sei. Dabei hat sie sich in rechtlicher Hinsicht ausführlich mit dem Begriff der "Verfolgungssicherheit" befaßt und diesbezüglich jedenfalls im Ergebnis, ohne daß im einzelnen darauf einzugehen wäre, im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (beginnend mit dem Erkenntnis vom 27. Mai 1993, Zl. 93/01/0256) die Rechtslage richtig erkannt. Zu den dagegen vorgebrachten Argumenten des Beschwerdeführers, die sich einerseits auf § 14 Abs. 1 Z. 4 Asylgesetz 1991 stützen und andererseits auf den betreffenden Gesetzesmaterialien (RV 270 BlgNR 18. GP) und davon ausgehend insbesondere auf der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Rechtslage beruhen, hat der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom 24. November 1993, Zl. 93/01/0357, eingehend Stellung genommen und sie insgesamt nicht für stichhältig erachtet. Es genügt, darauf gemäß § 43 Abs. 2 VwGG zu verweisen, zumal der Beschwerdeführer keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt hat. Die Behauptung des Beschwerdeführers, daß "für die von der Behörde vorgenommene Subsumtion keine Grundlage im Tatsachenbereich existiert", trifft demnach ebenfalls nicht zu, wobei es der Beschwerdeführer verabsäumt hat, darzutun, daß er auf dem Boden der geltenden Rechtslage weder in Ungarn noch in der (bis 31. Dezember 1992 als einheitliches Staatsgebilde bestehenden) Tschechoslowakei - trotz Beitrittes beider Staaten zur Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1993, Zl. 93/01/1139) - vor Verfolgung sicher gewesen sei.
Da sich somit die Beschwerde hinsichtlich des Ausspruches über die Asylgewährung schon aus diesem Grunde als unbegründet erweist, war sie insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
2. Was den von der belangten Behörde bestätigten erstinstanzlichen Ausspruch über den Ausschluß der aufschiebenden Wirkung der Berufung gemäß § 64 Abs. 2 AVG anlangt, so bestehen zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unterschiedliche Rechtsauffassungen über die Zulässigkeit eines derartigen Ausspruches, womit die Beantwortung der Frage, wie der in der genannten Gesetzesstelle verwendete Ausdruck der "vorzeitigen Vollstreckung" (die dringend geboten wäre) auszulegen ist, zusammenhängt. Diesbezüglich können aber allgemeine theoretische Erörterungen unterbleiben, steht doch der Rechtsansicht des Beschwerdeführers die (von der belangten Behörde mit Recht herangezogene) Bestimmung des § 7 Abs. 3 Asylgesetz 1991 entgegen, wonach die vorläufige Aufenthaltsberechtigung einem Asylwerber ab dem Zeitpunkt nicht mehr zukommt, zu dem das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen wird oder einem Rechtsmittel gegen eine Entscheidung der Asylbehörden keine aufschiebende Wirkung zukommt. Daraus ergibt sich, daß die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nicht nur dann erlischt, wenn das Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, sondern unabhängig davon diese Rechtswirkung auch dann eintritt, wenn einem Rechtsmittel gegen eine (negative) Entscheidung über einen Asylantrag keine aufschiebende Wirkung zukommt. Damit hat der Gesetzgeber unmißverständlich zu erkennen gegeben, daß auch eine "vorzeitige Vollstreckung" in diesem Sinne möglich ist, womit sich eine solche Entscheidung nicht bloß in der (noch nicht rechtskräftigen) Abweisung des Asylantrages erschöpft, sondern sich darüber hinaus auf das (seit Stellung des Asylantrages gemäß § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 vorliegende) Bestehen der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung auswirkt. Einem Rechtsmittel gegen eine solche Entscheidung kommt jedenfalls auch dann keine aufschiebende Wirkung zu, wenn sie gemäß § 64 Abs. 2 AVG ausgeschlossen wurde, und nicht nur von Gesetzes wegen, wobei auf die im vorliegenden Beschwerdefall nicht zu lösende Rechtsfrage, ob die in den Gesetzesmaterialien (RV 270 und AB 328 jeweils BlgNR 18. GP) zum Ausdruck kommende Absicht des Gesetzgebers, die aufschiebende Wirkung einer Vorstellung gegen einen Bescheid nach § 17 Abs. 2 Asylgesetz 1991 auszuschließen, durch den in dieser Gesetzesstelle enthaltenen Verweis auf die sinngemäße Geltung des § 57 Abs. 2 AVG ihren entsprechenden Niederschlag gefunden hat, nicht eingegangen zu werden braucht. Der Auffassung des Beschwerdeführers, "die Formulierung des § 7 Abs. 3 Asylgesetz" müsse in dem (die aufschiebende Wirkung betreffenden) Teil "als Mißgriff des Gesetzgebers, der keiner Vollziehung zugänglich ist, angesehen werden", vermag der Verwaltungsgerichtshof demnach nicht zu folgen. Bemerkt sei, daß auch der Verwaltungsgerichtshof - in Anwendung des § 30 Abs. 2 VwGG - Beschwerden gegen Bescheide der belangten Behörde, mit denen ein Asylantrag abgewiesen worden ist, die aufschiebende Wirkung insoweit, als bei Erlassung derartiger Bescheide eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung bestanden hat, zuerkennt. Den vom Beschwerdeführer behaupteten Umstand, daß er im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen (den Ausspruch nach § 64 Abs. 2 AVG enthaltenden) Bescheides eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 besessen hat, hat die belangte Behörde nicht in Abrede gestellt.
Ein Ausschluß der aufschiebenden Wirkung gemäß § 64 Abs. 2 AVG hat aber zur Voraussetzung, daß die vorzeitige Vollstreckung - also im gegebenen Zusammenhang die Beendigung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 vor rechtskräftigem Abschluß des Asylverfahrens - im Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Daß dies der Fall sei, hat die belangte Behörde damit begründet, daß Gefahr im Verzug vorliege, wenn nach den gegebenen Umständen der Eintritt eines Schadens zu erwarten sei. Der Beschwerdeführer habe für seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet keinen Unterstand und verfüge über keine Barmittel. Er habe auch keine Möglichkeit, durch Erzielung rechtmäßiger Einkünfte seinen Unterhalt zu finanzieren. Ferner besitze er kein gültiges Reisedokument. Diese seine persönlichen Umstände rechtfertigten den Schluß, daß er seinen Unterhalt durch die Begehung strafbarer Handlungen fristen könnte. Sein wirtschaftlicher Notstand im Verein mit seinem illegalen Aufenthalt lasse konkrete Nachteile für das öffentliche Wohl erwarten. Diese Gründe gingen seinem Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet vor.
In Erwiderung darauf ist festzuhalten, daß die belangte Behörde bei Entscheidung über diesen Teil der Berufung ausschließlich zu beurteilen hatte, ob die Erstbehörde die Bestimmung des § 64 Abs. 2 AVG zu Recht angewendet hat oder nicht, sie also darauf abzustellen hatte, ob im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung gegeben waren und nicht darauf, ob sie im Zeitpunkt der Erlassung ihres Berufungsbescheides gegeben sind (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 1991, Zl. 90/11/0161). Geht man davon aus, so kann zunächst - sollte tatsächlich bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung bestanden haben - von einem "illegalen Aufenthalt" des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nicht die Rede sein. Dazu kommt, daß der von der belangten Behörde angenommene zu erwartende Eintritt eines Schadens (für den Fall der Aufrechterhaltung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung) in gleichem Maße bereits im Zeitpunkt der Stellung des Asylantrages zu befürchten gewesen wäre. Der Beschwerdeführer führt mit Recht ins Treffen, daß "es ein generelles Merkmal von Flüchtlingen" sei, "über keinen festen Wohnsitz im Zufluchtsland zu verfügen und auch nicht im Besitz entsprechender Mittel zu sein", "aus diesem Grunde die österreichische Rechtsordnung auch eine Unterbringung und Versorgung mittelloser Flüchtlinge (Bundesbetreuung) kennt bzw. alle Flüchtlinge aus diesen Gründen eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen müßten". Trotz Vorliegens (und in Kenntnis) dieser Gründe räumt der Gesetzgeber Asylwerbern die vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ein, weshalb auch nicht auf sie zurückgegriffen werden darf, um daraus die Notwendigkeit der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug gemäß § 64 Abs. 2 AVG abzuleiten.
Da somit die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid in diesem Punkt wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993010779.X00Im RIS seit
20.11.2000