Index
24/01 Strafgesetzbuch;Norm
FrG 1993 §18 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 30. September 1993, Zl. Fr 2043/93, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 30. September 1993 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines französischen Staatsangehörigen, auf Aufhebung des gegen ihn mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 29. August 1978 erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbotes gemäß § 26 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, abgewiesen.
Sachverhaltsbezogen ging die belangte Behörde davon aus, daß das auf § 3 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b und e des Fremdenpolizeigesetzes gestützte Aufenthaltsverbot über den Beschwerdeführer mit der Begründung verhängt worden sei, daß er in den Jahren 1971 bis 1978 viermal vom Gericht (darunter einmal wegen §§ 197, 200, 201d, 171, 176b StG zu zwei Jahren schwerer Kerker und einmal wegen §§ 146, 147 Abs. 1 Z. 1, 15, 108 Abs. 1, 198 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten) rechtskräftig verurteilt und 22 mal wegen Übertretungen von Verkehrsvorschriften rechtskräftig bestraft worden wäre.
Seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei der Beschwerdeführer neuerlich, und zwar fünfmal, rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden: Am 2. Dezember 1980 wegen § 198 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten; am 12. April 1983 wegen § 198 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten; am 18. Juli 1983 wegen § 133 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten; am 16. Juli 1987 wegen § 198 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten bedingt auf drei Jahre; am 22. Oktober 1992 wegen §§ 146 und 147 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2, 148 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten. Da diese Straftaten für sich allein die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen würden, seien die Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht weggefallen. Die Aufschübe der Vollstreckung des Aufenthaltsverbotes seien dem Beschwerdeführer offensichtlich ohne genauere Prüfung, ob triftige Gründe hiefür vorgelegen seien, erteilt worden. Ein im Jahr 1989 vom Beschwerdeführer gestellter Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes sei mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 31. Mai 1989 abgewiesen worden.
Der Beschwerdeführer gehe einer Beschäftigung nach und sei im Besitz eines Befreiungsscheines; er sei mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und habe mit ihr zwei Kinder, wobei eines schon großjährig sei und das zweite die Volksschule besuche. Bereits im Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei der Beschwerdeführer verehelicht und für zwei Kinder unterhaltspflichtig gewesen. Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit lasse jedenfalls den Schuß auf eine besonders sozialschädliche Neigung zu, insbesondere zur Mißachtung von der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Verhinderung von strafbaren Handlungen dienenden Rechtsvorschriften. Die bei der Interessenabwägung maßgeblichen Umstände hätten keine Änderung derart erfahren, daß die Abwägung eine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers herbeiführen könne. Dies auch im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer seiner Unterhaltspflicht auch aus dem Ausland nachkommen könne und Interessen bzw. Rechte Dritter (etwa des Arbeitgebers) bei der Interessenabwägung nicht zu berücksichtigen seien. Im übrigen sei in diesem Zusammenhang auch zu beachten, daß sich der Beschwerdeführer zu bestimmten (näher angeführten) Zeiten trotz des Aufenthaltsverbotes und ohne Gewährung eines Vollstreckungsaufschubes in Österreich aufgehalten habe.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
II.
1. Gemäß § 26 FrG ist das Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.
2. Nach dieser Bestimmung, die ihren Inhalt nur aus dem Zusammenhalt mit den §§ 18 bis 20 FrG gewinnt, hat sich die Behörde mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein relevanter Eingriff i.S. des § 19 FrG vorliegt und - gegebenenfalls - die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten ist und - bejahendenfalls - ferner, ob sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes jene Umstände, die zur Beurteilung der öffentlichen Interessen einerseits und der privaten und familiären Interessen anderseits maßgebend sind, zugunsten des Fremden geändert haben, und daran anschließend diese Interessen gegeneinander abzuwägen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. September 1993, Zl. 93/18/0389, und vom 11. November 1993, Zl. 93/18/0503).
3. Zutreffend hat die belangte Behörde die Ansicht vertreten, daß bei einer Entscheidung nach § 26 FrG auch auf die nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 93/18/0537, und die dort zitierte Rechtsprechung). Der daraus für den vorliegenden Fall im bekämpften Bescheid gezogene Schluß, die aus den Jahren 1980 bis 1992 stammenden rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers würden für sich die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen, begegnet insofern keinen Bedenken, als schon allein die Verurteilung des Beschwerdeführers vom 22. Oktober 1992 wegen §§ 146, 147 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2, 148 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht und auch die im § 18 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigt.
4. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich, wenn auch nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit, so doch erkennbar, daß die belangte Behörde einerseits einen i.S. des § 19 FrG relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes angenommen, anderseits aber diese Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte anderer (Art. 8 Abs. 2 MRK) für dringend geboten erachtet hat.
Diese Beurteilung ist nicht als rechtsirrig zu erkennen, manifestiert sich doch in der in jüngster Vergangenheit erfolgten Verurteilung wegen schweren und gewerbsmäßigen Betruges die vom Beschwerdeführer ausgehende große Gefährdung der vorgenannten, vom Art. 8 Abs. 2 MRK umfaßten Rechtsgüter, wobei diese Bewertung durch die weiteren, nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes erfolgten gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers (oben I.1.) noch unterstrichen wird.
5.1. Die Beschwerde hält die Interessenabwägung gemäß § 20 Abs. 1 FrG für rechtswidrig. Die belangte Behörde habe nicht gewürdigt, daß der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes ohne Beschäftigung gewesen sei, während er nunmehr einer solchen nachgehe. Unberücksichtigt sei auch geblieben, daß der Beschwerdeführer seit 1980 in Österreich gelebt habe und für seine Lebenshaltungskosten "irgendwie" habe aufkommen müssen. Seit November 1987 liege keine Strafanzeige gegen ihn vor. In diesen Jahren habe er gemeinsam mit seinen Mittätern S 300.000,-- an die geschädigten Versicherungen zurückgezahlt. Nicht beachtet worden sei auch die Tatsache, daß er seit 1985 seinen Unterhaltspflichten nachgekommen sei und seine Ehe auch nicht geschieden worden sei. Sein älterer Sohn habe eine Lehre abgeschlossen, der jüngere Sohn besuche die Volksschule; es könne davon ausgegangen werden, daß die Familienverhältnisse "nicht ungünstig" seien. Bei richtiger Würdigung des Sachverhaltes hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß die familiären und privaten Bindungen des Beschwerdeführers "zu Staatsbürgern der Republik Österreich stark sind und die Gefahr der Störung der öffentlichen Ordnung nicht größer ist als bei anderen Bürgern, die im Kreis des Beschwerdeführers leben".
5.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend: Daß der Beschwerdeführer während der vergangenen 13 Jahre für seinen Lebensunterhalt (und den seiner Familie) aufzukommen gehabt habe, kann nicht allen Ernstes dazu führen, ihn für berechtigt zu halten, sich diese Mittel "irgendwie", also auch - was die Beschwerde mit dieser Wortwahl anklingen läßt - auf unrechtmäßige Weise zu verschaffen. Die - behauptete - Rückzahlung eines hohen Geldbetrages an die von ihm (gemeinsam mit anderen) geschädigten Versicherungen ist nicht geeignet, das Gewicht der sich in der rechtskräftigen Verurteilung zu einer hohen Freiheitsstrafe wegen schweren und gewerbsmäßigen Betruges ausdrückenden massiven Gefährdung öffentlicher Interessen durch den Beschwerdeführer zu verringern. Was die vom Beschwerdeführer zu seiner und seiner Familie Lebenssituation ins Treffen geführten Umstände anlangt, so kommt dem derzeit bestehenden Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers keine wesentliche Bedeutung zu, weil die (auch daraus ableitbare) Integration des Beschwerdeführers in Österreich nicht zweifelhaft ist, wie im übrigen auch die seiner Gattin und seiner beiden Kinder nicht. Daß der Beschwerdeführer - wie er behauptet - seit 1985 seinen Unterhaltspflichten tatsächlich nachgekommen sei, verleiht seinen familiären Interessen ebenso wie der Umstand, daß die Familienverhältnisse insgesamt "nicht ungünstig" seien, gegenüber den für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes sprechenden maßgeblichen öffentlichen Interessen kein Übergewicht. Soweit der Beschwerdeführer starke Bindungen zu "Staatsbürgern der Republik Österreich" angesprochen hat, führt dieser Hinweis - sollten damit Personen außerhalb des Familienkreises gemeint sein - mangels jeglicher Konkretisierung nicht weiter. Die Behauptung schließlich, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung sei nicht größer als bei anderen "Bürgern" seines Bekanntenkreises, geht schon deshalb fehl, weil im Rahmen der von der belangten Behörde vorzunehmenden Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG nicht ein Vergleich der der Beschwerde vorschwebenden Art anzustellen, sondern ausschließlich zu beurteilen war, welches Gewicht den für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer sprechenden öffentlichen Interessen einerseits und den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers anderseits zukommt, und je nach dem Ergebnis der daran anschließend durchzuführenden Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen die Zulässigkeit der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes zu bejahen oder zu verneinen war.
Da die belangte Behörde in unbedenklicher Weise zu dem Ergebnis gelangt ist, daß - unter Zugrundelegung der nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen Umstände (der fünf oben I.1. angeführten rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen) - die maßgeblichen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen einer Aufhebung des Aufenthaltsverbotes höher zu veranschlagen seien als die Auswirkungen der Aufrechterhaltung des Verbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie, liegt die in der Beschwerde in bezug auf § 20 Abs. 1 FrG behauptete Rechtswidrigkeit nicht vor.
6. Mit der Verfahrensrüge, die belangte Behörde hätte "umfangreiche Erhebungen" bei mehreren (im einzelnen angeführten) Behörden, aber auch bei der Ehegattin des Beschwerdeführers, seinem (älteren) Sohn sowie dessen Arbeitgeber durchführen und in die Gerichtsakten (insbesondere im Hinblick auf ein laufendes Gnadenverfahren) Einsicht nehmen müssen, vermag die Beschwerde keinen relevanten Mangel aufzuzeigen, verabsäumt sie es doch darzulegen, welche - für den Ausgang des Verfahrens wesentlichen - Feststellungen die belangte Behörde aufgrund des Unterbleibens dieser Beweisaufnahmen nicht zu treffen in der Lage war.
7. Da nach dem Gesagten der Beschwerdeführer in dem Recht auf Aufhebung des über ihn mit Bescheid vom 29. August 1978 verhängten Aufenthaltsverbotes nicht verletzt wurde - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
8. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993180564.X00Im RIS seit
20.11.2000