TE Vfgh Beschluss 1991/6/17 G286/90

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Veröffentlicht am 17.06.1991
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
RAO §22
RAO §27 Abs1 lita
RAO §27 Abs5
RAO §33 Abs2
RAO §37

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrages auf Aufhebung verschiedener Bestimmungen der RAO betreffs die Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer sowie die damit verbundene Beitragspflicht, die Handhabung der Disziplinargewalt erster Instanz durch Organe der Rechtsanwaltskammer sowie verschiedene Verordnungsermächtigungen für den Rechtsanwaltskammertag mangels Legitimation; Verwaltungsrechtsweg hinsichtlich Beitragspflicht zumutbar; keine unmittelbare Betroffenheit des Antragstellers durch gesetzliche Verordnungsermächtigungen bzw grundsätzliche Bestimmungen über die Ausübung der Disziplinargewalt

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, §22, die Worte "sowie (17. Juni 1991) der Satzung der Versorgungseinrichtung" in §27 Abs1 lita, §27 Abs5, wonach die Satzungen der Versorgungseinrichtungen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung durch den Bundesminister für Justiz bedürfen, §33 hinsichtlich dessen Abs2, wonach die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter zunächst durch Organe des Rechtsanwaltsstandes geübt werden soll, und §37 der Rechtsanwaltsordnung (im folgenden: RAO) als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Die hier maßgeblichen Regelungen der RAO lauten (die bekämpften Gesetzesstellen sind hervorgehoben):

"§22. (1) Die Rechtsanwaltskammern werden durch sämtliche in die Liste eingetragene Rechtsanwälte, welche in dem derzeit bestehenden Sprengel jeder Kammer ihren Wohnsitz haben, gebildet. Die Änderung dieser Sprengel und Bildung neuer Kammern steht dem Bundesminister für Justiz nach Einvernehmen der derzeit bestehenden Kammern zu.

(2) Die Rechtsanwaltskammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechtes; sie sind berechtigt, das Staatswappen zu führen. Das Amtssiegel einer Rechtsanwaltskammer hat das Staatswappen und als Umschrift die Bezeichnung der Rechtsanwaltskammer zu enthalten.

§27. (1) Der Plenarversammlung sind folgende Angelegenheiten zugewiesen:

a) die Festsetzung ihrer Geschäftsordnung und der des Ausschusses sowie der Satzung der Versorgungseinrichtung;

...

(5) Die Geschäftsordnungen der Rechtsanwaltskammern und der Ausschüsse sowie die Satzungen der Versorgungseinrichtungen bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung durch den Bundesminister für Justiz. Sie sind diesem innerhalb eines Monats nach der Beschlußfassung vorzulegen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die Geschäftsordnungen und die Satzungen dem Gesetz entsprechen. Wird die Genehmigung nicht innerhalb von drei Monaten versagt, so gilt sie als erteilt.

§33. (2) Die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter soll zunächst durch Organe des Rechtsanwaltsstandes geübt werden. Das Verfahren hiebei, sowie die Bestimmungen in betreff der Art und des Maßes der Strafen, der Berufungsinstanz und der Rechtsmittel gegen die gefällten Entscheidungen werden durch ein Disziplinarstatut im Gesetzgebungswege geregelt.

§37. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag kann Richtlinien erlassen

1.

zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs;

2.

zur Überwachung der Pflichten des Rechtsanwalts;

3.

für die Ausbildung von Rechtsanwaltsanwärtern, im besonderen über Art, Umfang und Gegenstand von Ausbildungsveranstaltungen, an denen der Rechtsanwaltsanwärter als Voraussetzung für die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung teilzunehmen hat, sowie für die Anrechenbarkeit ihrer praktischen Verwendung;

              4.              für die Ausbildung von Rechtsanwaltsanwärtern und die Anrechenbarkeit ihrer praktischen Verwendung;

              5.              für die von den Rechtsanwälten für ihre Leistungen zu vereinbarenden Entlohnungen."

1.3. Zur Zulässigkeit des Antrages verweist der Antragsteller - abgesehen von der sinngemäßen Wiedergabe des Art140 Abs1 B-VG - darauf, daß er Rechtsanwalt sei, und führt dann aus:

"Daß das bezügliche Gesetz in meine Rechtssphäre eingreift, ergibt sich zwangsläufig aus der Zwangsmitgliedschaft.

Dieser Eingriff äußert sich beispielsweise in der Vorschreibung von Kammerbeiträgen, welche quartalsmäßig zu entrichten sind und stellt diese finanzielle Belastung der Entrichtung von Kammerbeiträgen einen Eingriff in die individuellen Rechte des freien Zusammenschlusses dar, da eine berufliche Interessensvertretung auf Vereinsbasis unter Wahrung der Koalitionsfreiheit genauso gut auf der Basis ehrenamtlicher Funktionsausübung agieren könnte.

Durch die Zwangsmitgliedschaft unter Vorschreibung von Kammerbeiträgen werden daher meine Interessen unter Bezugnahme auf Art11 Abs1 MRK aktuell beeinträchtigt und ist kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr dieses rechtswidrigen Eingriffes gegeben, als die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages.

Die Beschreitung eines anderen Weges wäre unzumutbar, da etwa nicht zumutbar ist, die Einbringlichmachung der Kammerbeiträge im Exekutionswege zu provozieren."

1.4. Gegen die angegriffene Regelung bestünden folgende Bedenken:

"Vorstehende gesetzliche Bestimmungen, hinsichtlich welcher die Normprüfung beantragt wird, widersprechen dem Artikel 11 Abs1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach alle Menschen das Recht haben, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten. Dieses Recht sich frei zusammenzuschließen einschließlich des Rechts Interessensvertretungen zu bilden, ist als übergeordnete Norm ein Gegensatz zu §22 RAO, wonach die Rechtsanwaltskammern durch sämtliche in die Liste eingetragene Rechtsanwälte, welche in dem dzt. bestehenden Sprengel jeder Kammer ihren Sitz haben, gebildet werden. Der §22 RAO bedeutet daher Zwangmitgliedschaft hinsichtlich einer Rechtsanwaltskammer, wonach sämtliche in die Liste eingetragenen Anwälte, welche in dem jeweiligen Sprengel ihren Wohnsitz haben, diese Kammer bilden.

... (es folgt die sinngemäße Wiedergabe einzelner bekämpfter Bestimmungen)

Wenn daher Art11 Abs1 MRK vorsieht, daß alle Menschen das Recht haben, sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften und sonstige Interessensvertretungen zu bilden, so steht mit dieser Verfassungsbestimmung zunächst §22 RAO in Widerspruch, wonach eben die RAO als einfaches Bundesgesetz entgegen des freien Rechtes auf Zusammenschluß vorsieht, daß sämtliche in die Liste eingetragenen Rechtsanwälte, welche in einem bestimmten Sprengel einer Kammer ihren Wohnsitz haben, Kammermitglieder sind.

Es widerspricht aber auch Art11 Abs1 MRK, wenn die RAO vorsieht, daß die Organe dieser Kammer, welcher man zwangsweise angehören muß, jedem Rechtsanwalt demnach durch Satzung eine Versorgungseinrichtung aufzwingen, diese nur hinsichtlich ihrer Rechtswirksamkeit der Prüfung durch den Bundesminister für Justiz bedarf und überdies diesen Kammern die Disziplinargewalt erster Instanz über Rechtsanwälte zusteht, obwohl gleichzeitig die bundesgesetzliche Regelung für die Disziplinargewalt zweiter Instanz staatliche Behörden, nämlich die OBDK, vorsieht, in welcher überwiegend staatliche Organe, nämlich Richter des obersten Gerichtshofes judizieren.

Es widerspricht aber auch §37 RAO dem Art11 Abs1 MRK, wonach der übergeordnete Rechtsanwaltskammertag, welcher sich aus Delegierten der Zwangskammern zusammensetzt, für alle Berufskollegen Richtlinien hinsichtlich der Ausübung ihres Berufes erlassen kann und auch Richtlinien, welche eine Überwachung der Pflichten des Anwaltes usw. bedeuten."

2. Die Bundesregierung bestreitet in ihrer Äußerung die Zulässigkeit des Antrages und verteidigt die bekämpften Regelungen in der Sache; sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle den Antrag mangels Antragslegitimation zurückweisen und in eventu aussprechen, daß die vom Antragsteller bekämpften Gesetzesstellen nicht verfassungswidrig sind.

3. Der Antrag ist insgesamt nicht zulässig.

3.1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 10.511/1985, 11.726/1988).

3.2. Diese Voraussetzungen sind hier hinsichtlich keiner der angefochtenen Regelungen erfüllt.

3.2.1. Der Antrag, §22 RAO zur Gänze aufzuheben, ist unabhängig von der allfälligen Nichterfüllung weiterer Prozeßvoraussetzungen deshalb unzulässig, weil dem Antragsteller unter der - hier nicht näher geprüften - Voraussetzung, daß diese Regelung für sich allein gesehen seine rechtlich geschützten Interessen nicht nur potentiell, sondern aktuell beeinträchtigte (s. etwa VfSlg. 10.511/1985), ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffs zur Verfügung stünde. Der Antragsteller hat nämlich zB die Möglichkeit, gegen die bescheidmäßige Vorschreibung des Jahresbeitrages (gemäß §27 Abs1 litd RAO iVm. der Beitragsordnung) oder des Beitrages für die Versorgungseinrichtung (§§51 und 53 RAO iVm. der Umlagen- bzw. der Beitragsordnung der Versorgungseinrichtung) den Rechtsweg zu beschreiten und vor dem Verfassungsgerichtshof seine verfassungsrechtlichen Bedenken ua. auch gegen die angegriffene Regelung vorzubringen.

Der Antrag, §22 RAO aufzuheben, war demgemäß zurückzuweisen.

3.2.2. Der bekämpfte Teil des §27 Abs1 lita RAO ermächtigt die Plenarversammlung zur Festsetzung der Satzung der Versorgungseinrichtung der Rechtsanwaltskammer, und §37 leg.cit. ermächtigt den Österreichischen Rechtsanwaltskammertag zur Erlassung von Richtlinien für bestimmte Angelegenheiten (vgl. zur Gegenstandslosigkeit der Z4 Heller - Jahoda - Schuppich, Rechtsanwaltsordnung, 3. Aufl. (1986), 29). Aus dem klaren Wortlaut dieser Bestimmungen ergibt sich, daß diese Regelungen bestimmte Organe der Rechtsanwaltskammer zur Erlassung genereller Rechtsakte ermächtigen. Es ist ausgeschlossen, daß diese Bestimmungen einen unmittelbaren Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers bewirken könnten; solches wäre überhaupt erst durch die auf Grund dieser gesetzlichen Ermächtigungen erlassenen Akte möglich (VfSlg. 8978/1980, 11.579/1987, VfGH 24. 9. 1990, G66/89 ua.).

Der Gesetzesprüfungsantrag ist demgemäß auch in diesem Umfang nicht zulässig.

3.2.3. Im Ergebnis Gleiches gilt aber auch für den bekämpften Teil des §27 Abs5 RAO, wonach die Satzungen der Versorgungseinrichtungen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung durch den Bundesminister für Justiz bedürfen. Es ist ausgeschlossen, daß dieser Genehmigungsvorbehalt die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar berühren kann.

Der Antrag ist auch in diesem Umfang, und zwar mangels unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre des Antragstellers, unzulässig, ohne daß zu prüfen war, ob die sonstigen Prozeßvoraussetzungen gegeben wären.

3.2.4. Aber auch der angefochtene Teil des §33 Abs2 RAO, wonach die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter zunächst durch Organe des Rechtsanwaltsstandes geübt werden soll, berührt die Rechtssphäre des Antragstellers offenkundig nicht unmittelbar; solches könnte allenfalls hinsichtlich jener - hier nicht bekämpften - Regelungen der Fall sein, die die Organe der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter einsetzen.

Somit erweist sich auch der Individualantrag hinsichtlich des bekämpften Teiles des §33 Abs2 RAO als unzulässig.

3.3. Der (Individual-)Antrag war daher als unzulässig zurückzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite, §19 Abs4, erster Satz, und §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Rechtsanwaltskammer, Rechtsanwälte Versorgung, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Rechtsanwälte, Pflichtmitgliedschaft (Rechtsanwaltskammer), Beitragspflicht (Rechtsanwaltskammer)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:G286.1990

Dokumentnummer

JFT_10089383_90G00286_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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