TE Vwgh Erkenntnis 1993/12/15 93/01/0746

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Veröffentlicht am 15.12.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Bernegger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des I in U, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Februar 1993, Zl. 4.317.758/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "früheren SFRJ" albanischer Nationalität, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 11. Juli 1991, mit dem festgestellt worden war, bei ihm lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft. Mit Bescheid vom 15. Februar 1993 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und versagte die Gewährung von Asyl.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 8. Juni 1991 angegeben, er sei von 1983 bis zum 8. November 1990 Professor am Gymnasium in Podujeve im Kosovo gewesen. Im September 1990 sei zum Schulanfang ein Nervengift hinter den Heizkörpern verstreut gewesen, wodurch viele Kinder ohnmächtig bzw. nervenkrank geworden seien, was durch die Untersuchung eines Kindes durch einen Schweizer Arzt bestätigt worden sei. Die Kinder, alle albanischer Nationalität, seien alle am Boden gelegen und mit Privat-Pkws in die umliegenden Krankenhäuser gebracht worden, wo sie zwar behandelt worden seien, wobei aber die Ärzte eine anderslautende Diagnose gestellt hätten. Solche Vorfälle hätten sich viermal wiederholt und seien mit Sicherheit von Serben verursacht worden. Die zwanzigjährige Schwester des Beschwerdeführers sei noch heute daran erkrankt. Am 8. November 1990 sei das Gymnasium von der serbischen Polizei gesperrt und verriegelt worden. Bei Versuchen, gemeinsam mit seinen Schülern in die Schule zu gelangen, sei der Beschwerdeführer zweimal gewaltsam zurückgedrängt worden. Die serbische Polizei habe die Namen aller Lehrer registriert und sodann zahlreiche dem Beschwerdeführer bekannte Lehrer verhaftet und verhört. Sie befänden sich noch in Haft und seien bei den Verhören schwer mißhandelt worden. Da der Beschwerdeführer befürchtet habe, ebenfalls festgenommen zu werden, habe er sich vorerst bei seiner Schwester verborgen gehalten. Als er von seiner Mutter erfahren habe, daß die Polizei ihn bereits zu Hause gesucht habe, habe er sich kurzfristig zur Ausreise entschlossen.

In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, er sei wegen seiner albanischen Herkunft aus dem Staatsdienst entlassen worden. Auf Grund seines Protestes gegen diese Maßnahme habe ihm die Inhaftierung gedroht, der er sich durch seine Ausreise entzogen habe.

Die belangte Behörde hat das Vorliegen von Gründen im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) deshalb verneint, weil weder die Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe allein noch die vom Beschwerdeführer darüber hinaus geltend gemachten Umstände Asylgewährung rechtfertigen könnten. So seien weder die Vorfälle im Zusamenhang mit Nervengift noch die daraufhin von der Polizei vorgenommene Abriegelung der Schule als Verfolgung des Beschwerdeführers zu qualifizieren. Auch in demokratischen Staaten könne es im Zusammenhang mit derartigen die Allgemeinheit gefährdenden Vorfällen zwecks Vermeidung einer Behinderung von Ermittlungstätigkeiten zu einer Schließung von Schulgebäuden kommen. Die behördlichen Maßnahmen, mit denen Personen, die versuchten, sich allenfalls mit Brachialgewalt über die behördliche Schließung eines Gebäudes hinwegzusetzen, rechnen müßten, könnten nicht als Verfolgung gewertet werden. Auch wiesen Verhaftungen und Verhöre solcher Lehrer, die versucht hätten, trotzdem in die Schule zu gelangen, keinen pönalen Charakter auf. Die vom Beschwerdeführer lediglich subjektiv empfundene Furcht, doch noch vorgeladen zu werden, sei nicht geeignet, die Flüchtlingseigenschaft zu indizieren. Ebensowenig vermöge der Verlust des Arbeitsplatzes zur Asylgewährung zu führen. Der Beschwerdeführer habe im Verwaltungsverfahren keine gegen seine Person gerichteten staatlichen Maßnahmen erheblicher Intensität dargetan.

Der belangten Behörde ist zunächst zuzustimmen, wenn sie die Vorfälle im Zusammenhang mit dem Ausstreuen von Nervengift, hinsichtlich welcher der Beschwerdeführer selbst lediglich ausführt, daß sie "mit Sicherheit von Serben verursacht" worden seien, nicht als gegen den Beschwerdeführer gerichtete staatliche Verfolgung gewertet hat. Ebensowenig kann ihr mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, daß auch in demokratischen Staaten Schließungen von Schulgebäuden denkbar und Verhaftungen im Zusammenhang mit dem Versuch, gewaltsam in ein solches gesperrtes Gebäude einzudringen, möglich sind.

Der Beschwerdeführer hat aber weder behauptet, er habe gewaltsam in das abgeriegelte Schulgebäude eindringen wollen noch ist er in bezug auf die von ihm ins Treffen geführten Verhaftungen und Verhöre von ihm bekannten Lehrern von einem Zusammenhang mit Versuchen, das Schulgebäude zu betreten, ausgegangen. Vielmehr hat er ausgeführt, die Polizei habe die Namen aller albanischen Lehrer registriert und sodann zahlreiche von ihnen inhaftiert und unter Mißhandlungen verhört, wobei die Inhaftierung noch andauere. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kann somit auf Grund der im erstinstanzlichen Verfahren gebotenen Darstellung der Fluchtgründe des Beschwerdeführers nicht von vornherein davon ausgegangen werden, diese gegen albanische Lehrer gesetzten Maßnahmen hätten "keinen pönalen" und damit auch keinen in Richtung staatlicher, in der Zugehörigkeit der Festgenommenen zur albanischen Volksgruppe begründeter Verfolgung deutenden Charakter gehabt. Die gegenteiligen Feststellungen der belangte Behörde entsprächen nur dann den Grundsätzen des Verwaltungsverfahrens, wenn ihnen entsprechende Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zugrunde gelegt werden könnten. Solche Ermittlungsergebnisse können den Verwaltungsakten aber nicht entnommen werden.

Der belangten Behörde ist auch zu widersprechen, wenn sie die Gewährung asylrechtlichen Schutzes ausschließlich an das Vorliegen von bereits gesetzten Verfolgungsmaßnahmen knüpft. Das Asylgesetz 1991 sieht vielmehr Asylgewährung bereits dann vor, wenn ein Asylwerber "aus wohlbegründeter Furcht, ... verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen" (§ 1 Z. 1 Asylgesetz 1991). Daß die Furcht des Beschwerdeführers, ebenso wie andere albanische Lehrer festgenommen und unter Mißhandlungen verhört zu werden, nicht unbegründet war, kann aus seiner unwiderlegt gebliebenen Darstellung geschlossen werden, derzufolge sein Name sowie sein Beruf von der Polizei registriert und dieser somit bekannt waren und derzufolge während der Zeit, in der er sich bei seiner Schwester versteckt gehalten habe, die serbische Polizei bei ihm zu Hause nach ihm gesucht habe.

Es ergibt sich somit, daß die belangte Behörde den Sachverhalt - insbesondere, was die Gründe für die Inhaftierung albanischer reichend ermittelt hat. Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des erhobenen Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993010746.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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