TE Vwgh Erkenntnis 1993/12/16 92/01/0874

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Veröffentlicht am 16.12.1993
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bernegger, Dr. Stöberl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des P in V, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. August 1992, Zl. 4.292.344/2-III/13/90, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. Mai 1990, mit dem festgestellt worden war, bei ihm lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, der am 16. Februar 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat anläßlich seiner Erstbefragung am 27. Februar 1990 bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich angegeben, er habe weder einer oppositionellen Gruppierung angehört noch sei er regimefeindlich eingestellt gewesen. Er sei auch nicht verfolgt worden. Er habe sich auf der Suche nach einem sicheren Arbeitsplatz bei der Armee der Revolutionswächter als Projektleiter für Bauwesen beworben und sei für 100.000 Rials monatlich angestellt worden. Da dieses Gehalt für seine Qualifikation zu gering gewesen sei, habe er im November 1989 bei seinem Vorgesetzten um mehr Lohn vorgesprochen, sei jedoch ständig vertröstet worden. Da er schließlich keine Aussicht auf eine höhere Entlohnung gesehen habe, habe er seine Kündigung eingereicht. Diese sei mit der Begründung abgelehnt worden, daß der Beschwerdeführer Kenntnisse über verschiedene geheime Bauprojekte habe. Er könne als Geheimnisträger seinen Arbeitsplatz nicht verlassen. Da er sich in einer Zwangslage ohne Aussicht auf eine gerechte Entlohnung befunden habe, habe er sich zur Flucht entschlossen. Nach seiner Ausreise sei sein Bruder über den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers verhört worden.

In seiner Berufung führte der Beschwerdeführer weiters aus, er habe bereits sechs Monate an diesem geheimen Projekt gearbeitet, das sich mit Raketenkonstruktionen befaßt habe. Die Arbeit an diesem Projekt hätte ca. zwei bis drei Jahre dauern sollen, anschließend hätte der Beschwerdeführer noch weitere zwei Jahre bei dieser Organisation arbeiten sollen. Dies sei für ihn und seine Familie untragbar gewesen; er sei sehr unter Druck gestanden und habe das zu geringe Gehalt als Vorwand benutzt, aussteigen zu können. In einem ergänzenden Schriftsatz vom 7. Juli 1993 gab der Beschwerdeführer darüber hinaus an, daß er nach sechs Monaten Arbeit an der Raketenproduktionsstätte zusätzliche Instruktionen zum ursprünglichen Plan erhalten habe, deren Ausführung zehn bis zwölf Jahre in Anspruch genommen hätte. Inzwischen habe er herausgefunden, daß er von der Organisation beobachtet und kontrolliert werde. Da bekannt gewesen sei, daß seine Familie Khomeinis Auslegung des islamischen Glaubens nicht teile, sei es ihnen verboten worden, Gäste und sogar Familienmitglieder zu Hause zu empfangen. Das Haus sei Tag und Nacht überwacht worden. Der Beschwerdeführer habe das Projektgelände nicht mehr verlassen dürfen und sei verpflichtet gewesen, an dem Projekt bis zu seiner Beendigung bei einem Gehalt von 5.000 Toman zu arbeiten, was nicht einmal zum Essen gereicht habe. Er habe befürchtet, sein Leben lang bei diesem Projekt bleiben zu müssen und beim geringsten Verdacht eingesperrt und wie einst sein Bruder - ein Regimegegner - gefoltert zu werden. Nach der Flucht des Beschwerdeführers sei sein Bruder wieder inhaftiert und unter Folter nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers befragt worden.

Die belangte Behörde kam zu dem Schluß, daß das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die niederschriftliche Einvernahme, keine Anhaltspunkte dafür ergeben habe, daß der Beschwerdeführer Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei, wobei sie seinem Berufungsvorbringen die volle Glaubwürdigkeit absprach. Der Beschwerdeführer habe im gesamten Verfahren nicht einmal den Versuch unternommen, die Widersprüche zu seinen erstinstanzlichen Angaben einer nachvollziehbaren Klärung zuzuführen. Vor allem gegen diese Beweiswürdigung wendet sich der Beschwerdeführer. Gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hat der Bundesminister für Inneres seiner Entscheidung über eine zulässige Berufung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen. Eine offenkundige Mangelhaftigkeit dieses Ermittlungsverfahrens, die gemäß § 20 Abs. 2 leg.cit. - wie in den beiden anderen dort angeführten, jedoch ebenfalls nicht vorliegenden Fällen - seine Ergänzung oder Wiederholung erforderlich gemacht hätte, hat weder der Beschwerdeführer geltend gemacht noch ergibt sich eine solche aus der Aktenlage. Die belangte Behörde durfte somit weder die in der Berufung noch die im ergänzenden Schriftsatz behaupteten neuen Tatsachen ihrem Bescheid zugrunde legen; dadurch, daß sie sich dessen ungeachtet dennoch mit dem Berufungsvorbringen auseinandergesetzt hat, ist der Beschwerdeführer in keinem Recht verletzt.

Ausgehend vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz und somit von den Angaben des Beschwerdeführers am 27. Februar 1990 kann der belangten Behörde - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie die Auffassung vertreten hat, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1991 sei und ihm demnach gemäß § 3 leg.cit. nicht Asyl gewährt werden könne.

Aus der vom Beschwerdeführer als Fluchtgrund ins Treffen geführten Ablehnung der von ihm eingereichten Kündigung seines Arbeitsverhältnisses kann - wie die belangte Behörde richtig erkannt hat - keine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung wegen eines der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (in Übereinstimmung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) genannten Verfolgungsgründe (nämlich der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung) abgeleitet werden.

Bei dem Hinweis des Beschwerdeführers, daß er im Hinblick auf seine Furcht nicht gewillt sei, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen, und daß die Genfer Flüchtlingskonvention auf subjektive Elemente hinsichtlich der Flüchtlingseigenschaft abstelle, übersieht er, daß es sich einerseits bei der "begründeten Furcht vor Verfolgung" um eine solche handeln muß, die aus objektiver Sicht begründet sein muß, und daß andererseits für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft nur solche Verfolgungsmaßnahmen in Frage kommen, die auf einen der genannten Gründe zurückzuführen sind. Solche hat der Beschwerdeführer aber nicht geltend gemacht.

Entgegen der vom Beschwerdeführer offenbar vertretenen Ansicht ist aus dem Vorliegen von Widersprüchen zwischen den Angaben eines Asylwerbers vor der Behörde erster Instanz und den Ausführungen in der Berufung allein noch nicht abzuleiten, daß ein offenkundiger Mangel des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens, der gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 zu dessen Ergänzung oder Wiederholung führen würde, vorliegt. Dies im Beschwerdefall umso weniger, als der Beschwerdeführer in der Berufung zwar die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides als ungenügend erachtet, einen offenkundigen Mangel des Verfahrens aber nicht behauptet hat.

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die belangte Behörde sei ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800-0803). Da im Beschwerdefall über die bereits oben behandelten Angaben hinausgehende, hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen weiterer Gründe im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 im Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Behörde erster Instanz nicht enthalten waren, war die belangte Behörde, da - wie aufgezeigt - ein offenkundiger Mangel des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz nicht hervorgekommen ist, nicht verpflichtet, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 die Ergänzung oder Wiederholung dieses Verfahrens anzuordnen.

Da sich die Beschwerde sohin als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992010874.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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