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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Fürnsinn und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über den Antrag des F in K, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Niederösterreich vom 9. Juli 1993, Zl. IIIe 6702 B/991565, betreffend Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG wird dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben.
Begründung
Nach dem Vorbringen in der Beschwerde wurde der angefochtene Bescheid dem Vertreter des Beschwerdeführers am 9. Juli 1993 zugestellt, sodaß die Beschwerdefrist am 20. August 1993 endete. Die am 12. Oktober 1993 zur Post gegebene Beschwerde (hg. Zl. 93/09/0422) wäre daher verspätet. Der Beschwerdeführer stellte deshalb den ebenfalls am 12. Oktober 1993 zur Post gegebenen Wiedereinsetzungsantrag, in welchem er vorbrachte, am 29. September 1993 habe die mit der Buchhaltung befaßte Mitarbeiterin der Kanzlei des Beschwerdevertreters, als sie ein heruntergefallenes Stück Papier aufgehoben habe, hinter einem Kasten die vorliegende Bescheidbeschwerde kuvertiert und frankiert vorgefunden. Diese Beschwerde sei am 4. August 1993 fertiggestellt und am 5. August 1993 gestempelt, leistungsmäßig erfaßt und kanzleimäßig abgefertigt (d.h. kuvertiert, frankiert und zur Postaufgabe bereitgestellt) worden. Die Frankiermaschine befinde sich im Buchhaltungszimmer auf einem Bürokasten. Der Platz sei taghell erleuchtet, es befinde sich dort auch ein Korb zum Sammeln der Poststücke. Aus nicht erklärbaren Gründen müsse das die Beschwerde enthaltende Schriftstück hinter das an die Wand angeschobene Kästchen gerutscht und zwischen der Wand und dem unteren Teil des Kastens eingeklemmt worden sein, wo es Dr. C am 29. September 1993 erblickt habe. Die Beschwerde sei somit rechtzeitig fertiggestellt und zum Versand bereitgelegt worden.
Diese Angaben bescheinigte der Antragsteller durch seinem Antrag beigeschlossene eidesstättige Erklärungen zweier Mitarbeiterinnen der Kanzlei seines Vertreters (Dr. C und D).
In einer vom Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung vom 22. Oktober 1993 abverlangten Antragsergänzung brachte der Vertreter des Beschwerdeführers, Dr. R, ferner vor, die Beschwerde sei von ihm nach Eintragung der Frist im Kanzleikalender erstellt, nach Korrektur unterfertigt und zur Postaufgabe hinausgegeben worden. Sie sei ferner auf die im Wiedereinsetzungsantrag beschriebene Weise kuvertiert und mit der Freistempelmaschine frankiert worden. Auch Dr. R konnte nicht erklären, wie das Schriftstück aus dem für die Postaufgabe vorgesehenen Korb hinter den Bürokasten gefallen sei. Eine Kontrolle, ob nach Unterfertigung zur Postaufgabe fertige Schriftstücke auch tatsächlich zur Post gegeben würden, sei bei der Vielzahl der abzufertigenden Schriftstücke durch den Rechtsanwalt nicht möglich, diese Arbeit sei geschulten und verläßlichen Mitarbeitern übertragen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat keinen Anlaß, diesem Vorbringen keinen Glauben zu schenken.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehens oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Jänner 1993, Zl. 92/09/0327, und die dort angeführte Vorjudikatur). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann.
Geht man von den oben dargestellten und bescheinigten Angaben des Antragstellers aus, dann ist die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall auf ein für den Beschwerdeführer und seinen anwaltlichen Vertreter unvorhergesehenes Ereignis zurückzuführen. Die Beschwerde wurde demnach rechtzeitig verfaßt, unterfertigt und zur Postaufgabe bereitgelegt. Daß es zu dieser Postaufgabe in der Folge tatsächlich nicht gekommen ist, ist auf einen weder dem Beschwerdeführer noch seinem Vertreter zuzurechnenden Umstand zurückzuführen, wie er im Drange der Geschäfte auch von verläßlichen und geschulten Mitarbeitern nicht absolut verhindert werden kann. Ausgehend vom bescheinigten Sachverhalt liegt auch kein Anlaß zur Annahme vor, der Rechtsanwalt habe seine Kontroll- und Aufsichtspflicht gegenüber seinen Mitarbeitern grob vernachlässigt, zumal eine lückenlose Kontrolle und Beaufsichtigung eines so einfachen Vorganges wie der Postaufgabe dafür bereitgestellter Schriftstücke nicht verlangt werden kann.
Die vorübergehend in Verstoß geratene Beschwerde wurde zugleich mit dem rechtzeitig gestellten Wiedereinsetzungsantrag beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht.
Aus all diesen Gründen war dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993090421.X00Im RIS seit
20.11.2000