Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bernegger, Dr. Stöberl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Oktober 1992, Zl. 4.316.598/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen, Bescheid vom 28. Oktober 1992 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Nationalität, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 13. Dezember 1991, mit dem festgestellt worden war, bei ihm lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, ab und versagte dem Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Beschwerdeführer erachtet sich in dem ihm "gesetzlich gewährleisteten Recht auf Feststellung meiner Flüchtlingseigenschaft nach den einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes" verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Daß ein Asylwerber durch einen Bescheid wie den angefochtenen - entsprechend dem vom Beschwerdeführer bezeichneten Beschwerdepunkt gemäß § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG - in seinem gesetzlich gewährleisteten Recht auf "Feststellung der Flüchtlingseigenschaft" auch auf dem Boden des Asylgestzes 1991 verletzt sein kann, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0834, dargetan.
Der Beschwerdeführer hat bei seiner ersten niederschriftlichen Vernehmung am 31. Mai 1991 ausgeführt, er habe sich 1979 zum ersten Mal für die kurdischen Probleme betätigt und begonnen, für die PKK Plakate und Flugzettel zu verteilen. 1980 sei er erstmals von der Militärgendarmerie von zu Hause abgeholt und verhört worden. Da er nichts habe verraten wollen, habe er keine Angaben über Verbindungsleute der PKK und über sonstige Mitglieder dieser Partei gemacht, worauf er geschlagen und mit Elektroschocks behandelt worden sei. Es seien bei ihm keine Beweise gefunden worden, weil er Plakate und Flugblätter immer versteckt habe; vermutlich sei er an die Gendarmerie verraten worden. Nach dieser ersten Festnahme sei der Beschwerdeführer in umliegende Dörfer geflüchtet, sodaß ihn die Gendarmen nicht immer aber doch ungefähr einmal pro Jahr gefunden hätten. Bei diesen Gelegenheiten sei er neuerlich verhört und geschlagen worden. Auf Grund seiner bis zu seiner Flucht aus der Türkei andauernden politischen Tätigkeit für die PKK sei er immer wieder gesucht und insgesamt dreimal festgenommen worden. Beim ersten Mal sei er für zehn Tage, beim zweiten Mal für sieben Tage und beim dritten Mal für fünfzehn Tage inhaftiert gewesen. Er sei immer zur gleichen Station gebracht worden, wobei ihm immer die Augen verbunden worden seien. Der Beschwerdeführer sei zwar eingeschriebenes Mitglied der PKK gewesen, doch sei dies den türkischen Behörden nicht bekannt gewesen. Im Dezember 1990 habe ihn die Gendarmerie aufgefordert, Dorfschützer zu werden. Dies habe er nicht machen können, weshalb er zum Verlassen seines Heimatlandes gezwungen gewesen sei. Nach vier vergeblichen Versuchen, von Ungarn aus in das Bundesgebiet einzureisen, sei ihm dies von Jugoslawien aus über die grüne Grenze gelungen.
Dieses Vorbringen hat der Beschwerdeführer in seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung unter Hinweis auf die Unmöglichkeit einer Rückkehr in sein Heimatland, weil dort sein Leben in Gefahr sei, bekräftigt.
Die belangte Behörde hat die Auffassung vertreten, das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere auch die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführer, habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Beschwerdeführer Flüchtling "im Sinne des Asylgesetzes" (entsprechend den in der Bescheidbegründung zitierten gesetzlichen Bestimmungen gemeint:
des Asylgesetzes 1991) sei. Die auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers zu prüfende Frage, ob bei ihm begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit oder wegen seiner politischen Gesinnung anzunehmen sei, sei zu verneinen gewesen. Zur Begründung führte sie aus, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgungshandlungen genannt, die allein wegen seiner kurdischen Abstammung gegen ihn gesetzt worden wären. Es sei notorisch, daß kein Kurde - es gebe auch kurdische Regierungsmitglieder - allein seiner Abstammung wegen verfolgt werde. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Verfolgung wegen seiner politischen Gesinnung ergebe sich, daß er seinen eigenen Angaben zufolge die kurdische Arbeiterpartei, eine gewaltausübende und gewaltbejahende Organisation, als Mitglied durch Verteilen von Flugzetteln und Plakaten unterstützt habe, sodaß die deswegen gegen ihn ergriffenen behördlichen Maßnahmen nicht wegen seiner politischen Gesinnung, sondern wegen krimineller Handlungen gesetzt worden seien. Auch des weiteren deckt sich die dem angefochtenen Bescheid diesbezüglich beigegebene Begründung weitgehend mit jener, der sich die belangte Behörde in dem mit Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0703, erledigten Beschwerdefall (in dem die Begründung insoweit wortwörtlich wiedergegeben wurde) bedient hat. Dieser Argumentation kann ohne Durchführung weiterer Ermittlungen und entsprechender Feststellungen - wie der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Vorerkenntnis, auf dessen nähere Begründung hiemit verwiesen wird, dargelegt und der Beschwerdeführer an sich richtig erkannt hat - nicht gefolgt werden, wobei auch im vorliegenden Beschwerdefall zu bemerken ist, daß die belangte Behörde den in § 2 Abs. 2 Z. 1 Asylgesetz 1991 (Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Ausschließungsgrund nicht herangezogen hat.
Soweit die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer vorgebrachten, von ihr nicht bezweifelten Mißhandlungen durch die Gendarmerie lediglich als Übergriffe einzelner staatlicher Organe gewertet hat, hat sie nicht dargetan, auf welchen Sachverhaltsermittlungen diese Auffassung beruht. Damit hat die belangte Behörde aber eine Auseinandersetzung mit der Frage unterlassen, inwieweit im Hinblick darauf, daß er den Behörden bereits bekannt war, die Furcht des Beschwerdeführers vor (weiterer) Verfolgung als begründet anzusehen ist. Auch wäre von der belangten Behörde zu prüfen gewesen, ob es im Hinblick auf das einen deutlichen Hinweis auf Verfolgung enthaltende Vorbringen des Beschwerdeführers erforderlich gewesen wäre, - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 - gemäß § 16 Asylgesetz 1991 ergänzende Ermittlungen durchführen zu lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0883).
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann aus dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Ungarn nicht abgeleitet werden, er sei bereits dort vor Verfolgung sicher gewesen. Ungarn ist der Genfer Flüchtlingskonvention nur unter dem Vorbehalt der Alternative a des Abschnittes B des Art. 1 beigetreten, was bedeutet, daß in diesem Land die Flüchtlingskonvention auf Asylwerber, die ihr Ansuchen um Asyl mit Ereignissen außerhalb Europas begründen, keine Anwendung findet. Angesichts der Herkunft des Beschwerdeführers aus der Türkei, einem, was zumindest die von Kurden bewohnten Gebiete anbelangt, außereuropäischen Land, und der von ihm ins Treffen geführten Begebenheiten in diesem Land konnte die belangte Behörde unter Berücksichtigung der zugrunde zu legenden Rechtslage in Ungarn, ohne weitere Ermittlungen anzustellen, nicht davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer bereits in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen sei. Der von der belangten Behörde für die Untermauerung ihres Standpunktes herangezogene Umstand, daß Ungarn der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet sei, vermag, ohne daß auf entsprechende Ermittlungen gestützte, dem Parteiengehör unterzogene Feststellungen über die tatsächlichen Verhältnisse bzw. über die tatsächliche Vorgangsweise ungarischer Behörden gegenüber Asylwerbern getroffen wurden, nicht die Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers darzutun.
Wenn auch der belangten Behörde insoweit beizupflichten ist, als sie die an den Beschwerdeführer gerichtete Aufforderung, als Dorfschützer tätig zu sein, im Ergebnis nicht als staatliche Verfolgung gewertet hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. November 1993, Zl. 92/01/0910), kann angesichts des sonstigen Vorbringens des Beschwerdeführers allein aus diesem Grund das Vorliegen von Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) bzw. begründeter Furcht vor einer solchen nicht verneint werden.
Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Parteiengehör Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993010230.X00Im RIS seit
20.11.2000