TE Vwgh Erkenntnis 1993/12/16 92/01/1102

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Veröffentlicht am 16.12.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §13a;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bernegger, Dr. Stöberl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des C in L, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. August 1992, Zl. 4.319.608/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. August 1992 wurde ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer - einem türkischen Staatsangehörigen, der am 26. Juli 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 30. Juli 1991 den Asylantrag gestellt hat - kein Asyl gewähre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer ist seiner Behauptung nach kurdischer Abstammung und hat in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 28. August 1991 seine Angabe bei seiner niederschriftlichen Befragung am 1. August 1991, seit 1980 Mitglied "der kurdischen Partisanenorganisation" zu sein, widerrufen und erklärt, auch nicht deren Sympathisant zu sein; die übrigen bei der Erstbefragung gemachten Angaben hat er aber im wesentlichen aufrechterhalten. Dabei handelte es sich zunächst darum, daß 1988 politische Häftlinge in den türkischen Gefängnissen einen Hungerstreik begonnen hätten und der Beschwerdeführer aus Solidarität mit ihnen gemeinsam mit acht weiteren Personen im Gebäude der "SHP (Sozialistische Volkspartei)" in Erzincan ebenfalls in den Hungerstreik getreten sei. Diese Aktion sei aber von der genannten Partei nicht unterstützt, sondern seien sie von der Polizei abgeholt und in ein anderes Gebäude gebracht worden. Dort sei der Beschwerdeführer von einem Beamten gestoßen worden, worauf er die Stiege hinuntergefallen sei und dabei an der rechten Augenbraue eine Platzwunde erlitten und das Bewußtsein verloren habe. Nachdem er zwei Tage stationär im Krankenhaus gewesen sei, sei er wieder von der Polizei abgeholt und verhört, jedoch noch am gleichen Tag auf freien Fuß gesetzt worden. Daraus ergibt sich lediglich, daß der Beschwerdeführer seit diesem Vorfall (allenfalls wegen seiner politischen Gesinnung) den staatlichen Behörden seines Heimatlandes bekannt war, nicht aber, auch nicht in Verbindung mit seinen folgenden Angaben, daß auf Grund dieses Vorfalles weitere Maßnahmen gegen ihn ergriffen worden seien oder er solche noch zu erwarten gehabt hätte, sodaß der Beschwerdeführer schon aus diesem Grunde daraus keine ihm drohende Verfolgungsgefahr abzuleiten vermag. Die genannten Ereignisse stehen jedenfalls in keinem ausreichenden zeitlichen Konnex zur Ausreise (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0941).

Der Beschwerdeführer hat bei Schilderung seiner Fluchtgründe des weiteren darauf hingewiesen, daß er von 1988 bis 1990 noch zweimal zur Polizei gebracht und dort verprügelt worden sei, weil er eine Adressenänderung - wie dies "normalerweise genügt" - nur dem Ortsvorsteher, nicht aber auch der Polizei gemeldet habe. Abgesehen von der Frage, ob diese Vorfälle überhaupt als im Zusammenhang mit einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (in Übereinstimmung mit Art. 1 Abschn. A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Gründe stehende Verfolgung gewertet werden könnte, ist für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen, weil auch diesbezüglich nicht zu erkennen ist, daß der Beschwerdeführer deshalb noch Schwierigkeiten mit den staatlichen Behörden seines Heimatlandes zu befürchten gehabt hätte, und der zeitliche Konnex zu seiner Ausreise fehlt.

Schließlich hat der Beschwerdeführer das Verlassen seines Heimatlandes damit begründet, daß er 1990 verschiedene Bücher, unter anderem die Bibel (seinem Berufungsvorbringen zufolge christliche Zeitschriften), bestellt habe. Die Polizei, welche das betreffende, für ihn bestimmte Paket bei sich gehabt habe, habe bei ihm deswegen eine Hausdurchsuchung durchgeführt, bei der "nach christlichen und anderen verbotenen Büchern" gesucht, aber "nichts Verdächtiges" gefunden worden sei. Er sei dann zur Polizeidienststelle gebracht worden, wo er "mit dieser christlichen Zeitschrift" ins Gesicht geschlagen und beschimpft worden sei. Er sei drei Tage im Arrest festgehalten und beschuldigt worden, die christliche Religion verbreiten zu wollen. Dabei sei er neuerlich geschlagen und gegen seinen Willen dahin untersucht worden, ob er beschnitten sei. Er sei wieder auf freien Fuß gesetzt worden, "ohne dem Staatsanwalt vorgeführt worden zu sein". Auf Grund der erlittenen Schläge im Arrest habe er einen Arzt konsultiert, weil er Blut im Harn gefunden habe; der Arzt habe sich aber aus Angst vor der Polizei geweigert, eine Bestätigung darüber auszustellen. Obwohl er "seit dieser Zeit" nicht mehr festgenommen worden sei, habe er immer Angst gehabt, daß ihm "derartiges wieder passieren könnte", weshalb er sich entschlossen habe, die Türkei zu verlassen. Damit hat der Beschwerdeführer zwar geltend gemacht, "aus Gründen der Religion" verfolgt worden zu sein. Entgegen der offenbaren Ansicht der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides hat nämlich das Vorliegen solcher Gründe im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 seine tatsächliche Zugehörigkeit zu einer (christlichen) Religion nicht zur Voraussetzung, sondern es genügt hiefür, auch wenn der Beschwerdeführer seiner Behauptung nach "Moslem (Alevite)" ist, der bei staatlichen Behörden seines Heimatlandes bestehende Verdacht auf eine solche Zugehörigkeit, auf Grund dessen er Beeinträchtigungen hinzunehmen hatte. Die belangte Behörde hat aber richtig erkannt, daß ein zeitlicher Zusammenhang auch zwischen diesem Vorfall und seiner Ausreise nicht mehr gegeben war.

Der Beschwerdeführer macht der belangten Behörde zum Vorwurf, ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht, über die bloße Feststellung, daß er im Jahre 1991 nicht mehr festgenommen worden sei, hinaus, Erhebungen anzustellen, nicht nachgekommen zu sein. Es hätte sich dann ergeben, daß er bis unmittelbar vor seiner Ausreise aus der Türkei ständig der Gefahr systematischer Verfolgung durch die staatlichen Organe der Türkei ausgesetzt gewesen sei und er nur auf Grund seiner "besonders vorsichtigen Lebensweise einerseits und glücklichen Umständen andererseits" derart intensiven Verfolgungen, die seine Inhaftierung bewirkt hätten, entgangen sei. Da er bei Führung eines normalen Lebens unter Inanspruchnahme der elementarsten Grund- und Freiheitsrechte als Kurde in seinem Heimatort sogleich inhaftiert worden wäre, müsse auch "für die Zeit des Jahres 1991" bis zu seiner Flucht davon ausgegangen werden, daß wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nach wie vor "- auch bei Anwendung des von der Judikatur in ständiger Rechtsprechung geforderten objektiven Maßstabes -" vorgelegen sei. Dem Beschwerdeführer ist - abgesehen davon, daß sich auch dieses Vorbringen nur in allgemeinen Ausführungen erschöpft - entgegenzuhalten, daß seine Angaben im erstinstanzlichen Verfahren keinen hinreichend deutlichen Hinweis auf einen Sachverhalt enthielten, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung (im Zeitpunkt seiner Ausreise) in Betracht gekommen wäre, weshalb für die belangte Behörde kein offenkundiger Mangel des Ermittlungsverfahrens erster Instanz im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991, der dessen Ergänzung oder Wiederholung erforderlich gemacht hätte, vorlag. Die belangte Behörde war daher auf der Grundlage dieser Angaben auch nicht gemäß § 16 leg. cit. - welche Vorschrift eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, bedeutet - gehalten, weitere Ermittlungen durchzuführen (vgl. u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800 bis 0803). Auf die erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren "zur Dartuung" des in der Beschwerde "dargelegten Sachverhaltes" vorgelegte "Aufforderung" des Bürgermeisters des Wohnviertels Cumhuriyet-Erzincan vom 20. Juli 1993 (samt beglaubigter Übersetzung), entweder die Anschrift des Beschwerdeführers, der "wegen eines Vergehens, dessen Inhalt ich nicht kenne, dauernd gesucht" werde, "mitzuteilen oder ihn uns auszuliefern", kann auf Grund des Neuerungsverbotes des § 41 Abs. 1 VwGG nicht Bedacht genommen werden, wobei überdies dieser Urkunde nicht entnommen werden könnte, daß diese dem Beschwerdeführer drohende Verfolgung auf einen der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 angeführten Gründe zurückzuführen wäre.

Der belangten Behörde kann daher nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers verneint hat, weshalb den vom Beschwerdeführer bekämpften, zusätzlichen Feststellungen der belangten Behörde, die von ihm ins Treffen geführten Mißhandlungen durch die Polizei sowie die willkürlichen Festnahmen seien (lediglich) als Übergriffe einzelner Angehöriger des Sicherheitsapparates zu qualifizieren und diese Maßnahmen stellten im übrigen auf Grund ihrer (mangelnden) Intensität keinen ernsthaften asylrechtlichen Nachteil dar, keine rechtliche Relevanz mehr zukommt.

Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992011102.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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