TE Vwgh Erkenntnis 1993/12/16 93/11/0174

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Veröffentlicht am 16.12.1993
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Index

L94057 Ärztekammer Tirol;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal;

Norm

ABGB §1444;
ÄrzteG 1984 §66 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §52 Abs1;
AVG §52;
Satzung Wohlfahrtsfonds ÄrzteK Tir 1969 §27 Abs3;
Satzung Wohlfahrtsfonds ÄrzteK Tir 1969 §47 Abs5;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des Dr. B in I, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses der Ärztekammer für Tirol vom 7. Juli 1993, (ohne Zahl), betreffend Krankengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Ärztekammer für Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers, der bis zum 30. Juni 1992 als frei niedergelassener praktischer Arzt Mitglied der Ärztekammer für Tirol war, auf Zuerkennung von "Krankengeld" seitens des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Tirol für die Zeit vom 1. Juli 1991 bis zum 30. Juni 1992 abgewiesen.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid damit, daß der Beschwerdeführer der im Verwaltungsverfahren an ihn ergangenen Aufforderung, sich durch einen vom Verwaltungsausschuß des Wohlfahrtsfonds bestellten Vertrauensarzt untersuchen zu lassen, nicht nachgekommen sei. Er habe damit seine Mitwirkungspflicht verletzt. Einen Ablehnungsantrag betreffend den Vertrauensarzt habe er nicht gestellt. Im übrigen habe der Beschwerdeführer auf den Anspruch auf Krankengeld mit Wirkung vom 1. Jänner 1992 an verzichtet.

Gemäß § 66 Abs. 1 zweiter Satz des Ärztegesetzes 1984, BGBl. Nr. 373, ist der Verwaltungsausschuß des Wohlfahrtsfonds berechtigt, zur Feststellung der Voraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätsversorgung wegen gesundheitlich bedingter Unfähigkeit zur Berufsausübung eine vertrauensärztliche Untersuchung anzuordnen. Die Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Tirol wiederholt diese Bestimmung in ihren §§ 27 Abs. 3 und 47 Abs. 5.

Die Feststellung, ob eine gesundheitsbedingte Berufsunfähigkeit vorliegt, ist eine Frage, die auf sachverständiger Basis zu lösen ist. Die Behörde wird daher in der Regel - von Fällen der Offenkundigkeit abgesehen - ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen haben. Gemäß § 52 Abs. 1 AVG hat die Behörde, sofern ihr ein Amtssachverständiger zur Verfügung steht, diesen heranzuziehen. Diese Bestimmung ist sinngemäß auf einen zum Vertrauensarzt der Kammer (des Fonds) bestellten Arzt anzuwenden. Das bedeutet aber nicht, daß auschließlich dessen Gutachten verwendet werden darf. Die Behörde hat vielmehr alle ihr vorliegenden Unterlagen zu verwerten, die geeignet sind, zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen. Die belangte Behörde hätte sich daher auch mit dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Attest der Universitätsklinik für Neurologie Innsbruck vom 30. Oktober 1992 auseinanderzusetzen gehabt. In diesem Attest wird nämlich abschließend ausgesagt, der Beschwerdeführer sei vom 25. Jänner 1991 bis zum 30. Juni 1992 unfähig gewesen, den ärztlichen Beruf auszuüben. Sie hätte, wenn sie auch angesichts dieses Attests eine Untersuchung durch ihren Vertrauensarzt für erforderlich gehalten hätte, dies dem Beschwerdeführer unter Setzung einer Frist bekanntgeben und begründen müssen; dabei hätte sie den Beschwerdeführer darauf aufmerksam machen müssen, daß sie bei unbegründeter Weigerung, sich dieser Untersuchung zu unterziehen, davon ausgehen werde, daß er die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Invaliditätsversorgung nicht erfülle. Das vom Beschwerdeführer vorgelegte Attest wäre zumindest dem Vertrauensarzt zur Stellungnahme zu übermitteln gewesen, ob er in Kenntnis dessen eine Untersuchung für erforderlich erachtete.

Im Falle einer Abweisung des Antrags aus diesem Grunde wäre auch in der Begründung des abweisenden Bescheides auszuführen gewesen, warum die unterbliebene Untersuchung durch den Vertrauensarzt für erforderlich gehalten worden ist. Eine Automatik in dem Sinn, daß die Weigerung, sich vom Vertrauensarzt untersuchen zu lassen, in jedem Fall zur Abweisung des Antrages zu führen hat, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde ist unzutreffend. Dazu kommt, daß dem Beschwerdeführer gegenüber nicht zum Ausdruck gebracht worden ist, die Nichtbefolgung der Aufforderung, sich vom Vertrauensarzt untersuchen zu lassen, werde zum Anlaß für die Abweisung seines Antrages genommen werden.

Auch die Berufung der belangten Behörde auf die Verpflichtung von Kammerangehörigen zur Befolgung von Beschlüssen der Kammerorgane vermag daran nichts zu ändern.

Die Annahme, der Beschwerdeführer habe auf seinen Anspruch auf "Krankengeld" ab dem 1. Jänner 1992 verzichtet, stützt die belangte Behörde darauf, daß der Beschwerdeführer in seinem Schreiben an die Ärztekammer für Tirol vom 30. November 1991 erklärt hat:

"Ich werde so oder so meinen Krankenstand mit Ende des Jahres, was die Auszahlung des Krankengeldes betrifft, nicht mehr geltend machen und somit beenden."

Der Beschwerdeführer bekämpft zwar die Annahme einer Verzichtleistung nicht. Ungeachtet der grundsätzlichen Zulässigkeit des Verzichtes auch im öffentlichen Recht ist es für einen rechtswirksamen Verzicht erforderlich, daß die betreffende Erklärung in jeder Richtung unbedenklich ist (vgl. das Erkenntnis vom 9. April 1984, Zl. 83/12/0059). Diese Eindeutigkeit ist bei der zitierten Erklärung des Beschwerdeführers vom 30. November 1991 nicht gegeben. Die belangte Behörde hätte zumindest den Beschwerdeführer zu einer näheren Erläuterung auffordern müssen. In der Unterlassung dieses Verfahrensschrittes liegt ein weiterer Verfahrensmangel.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Beweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer SachverständigerGutachten Auswertung fremder BefundeSachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztBeweismittel SachverständigengutachtenSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel SachverständigenbeweisSachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtRechtsgrundsätze Verzicht Widerruf VwRallg6/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993110174.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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