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55 WirtschaftslenkungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Neuerliche Aufhebung des §71 Abs5 MOG idF der MarktordnungsG-Nov 1988; stets zwingend gleiche Sanktion für die Verwirklichung von Tatbeständen stark verschiedenen Unrechtsgehaltes sachlich nicht gerechtfertigtSpruch
I. §71 Abs5 Marktordnungsgesetz 1985 - MOG, BGBl. Nr. 210 idF der Z73 des Artikels II der Marktordnungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. Nr. 330, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 1992 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
II. Im übrigen werden die Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B1074/90, B1079/90, B1259/90 und B1260/90 vier Beschwerdeverfahren anhängig, mit denen die Beschwerdeführer jeweils Bescheide des Geschäftsführers des Milchwirtschaftsfonds bekämpfen, deren erster Spruchpunkt etwa folgendermaßen lautet (im folgenden wird der Spruch des zu B1074/90 und B1079/90 bekämpften Bescheides wiedergegeben):
"Gemäß §71 Abs5 Z2 Marktordnungsgesetz (MOG 1985, BGBl. Nr.
210/1985 i.d.F. BGBl. Nr. 330/1988) werden die Begünstigungen, die
sich aus der Zustimmung des Milchwirtschaftsfonds zur Aufnahme von
Almen in die von der Molkereigenossenschaft ... zu führende
Almliste ergeben, für die Dauer vom 1. Juli 1988 bis 30. Juni 1991 für folgende Almen entzogen:
in St. Wolfgang: Grabner Sepp-Alm (Nr. 10 des Bescheides
Zl. Ia/Dr.A./r. vom 28. Juni 1983)
in St. Wolfgang: Lippenalm (Nr. 5 des Bescheides
Zl. Ia/Dr.A./r. vom 28. Juni 1983)"
In den beiden weiteren Spruchpunkten wird eine "Almliste" festgelegt, in der "alle Almen in der ab 1. Juni 1988 geltenden Fassung angeführt (sind), für die eine Zustimmung des Milchwirtschaftsfonds zur Aufnahme in die von der (zuständigen) Molkereigenossenschaft zu führende Almliste vorliegt". Weiters wird jeweils festgestellt, daß für die von der Molkereigenossenschaft von diesen Almen übernommenen Mengen an Milch und Erzeugnissen aus Milch ein zusätzlicher Absatzförderungsbeitrag und eine Abhofpauschale so lange nicht zu entrichten ist, als alle Voraussetzungen des §71 Abs3 bis 6 MOG eingehalten werden, es wird eine Anzahl dieser Voraussetzungen aufgeführt und überdies festgestellt, daß durch diese Bescheide jeweils ein früher ergangener Bescheid des Milchwirtschaftsfonds abgeändert wird.
Nach der Begründung dieser Bescheide habe das Ermittlungsverfahren jeweils ergeben, daß der Beschwerdeführer als auf der Alm erzeugt deklarierte Milch nicht entsprechend den Bestimmungen des §71 MOG erzeugt bzw. geliefert habe, weswegen nach §71 Abs5 MOG idF der MOG-Novelle 1988, BGBl. 330, die Begünstigung aus der Almanerkennung für die Dauer von drei Wirtschaftsjahren durch Bescheid zu entziehen sei.
2. Unter anderem aus Anlaß dieser vier Beschwerdeverfahren hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 7. Dezember 1990 gemäß Art140 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit folgender gesetzlicher Bestimmungen eingeleitet:
a) ArtII Z3 und 5 bis 8 sowie ArtIII und IV Abs2 des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1985, mit dem das Marktordnungsgesetz 1985 geändert wird (Marktordnungsgesetz-Novelle 1985), BGBl. Nr. 291;
b) ArtII Z8 bis 27 sowie ArtIII Abs3 bis 6 und ArtV bis VIII, jeweils des Abschnittes I des Bundesgesetzes vom 20. März 1986 über Änderungen des Marktordnungsgesetzes 1985 (Marktordnungsgesetz-Novelle 1986) und des Bundesfinanzgesetzes 1986, BGBl. Nr. 183;
c) ArtII Z7 bis 9 und 11 bis 27 sowie ArtIII mit Ausnahme der Verfassungsbestimmungen, ArtIV mit Ausnahme der Verfassungsbestimmung und ArtV des Bundesgesetzes vom 27. März 1987, mit dem das Marktordnungsgesetz 1985 geändert wird (Marktordnungsgesetz-Novelle 1987), BGBl. Nr. 138;
d) ArtII Z17 und 18 des Abschnittes I des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1987 über Änderungen des Marktordnungsgesetzes 1985 (2. Marktordnungsgesetz-Novelle 1987) und über Maßnahmen betreffend Isoglucose, BGBl. Nr. 324; und
e) ArtII Z70 bis 89 sowie ArtV, VI und IX des Bundesgesetzes vom 9. Juni 1988, mit dem das Marktordnungsgesetz 1985 geändert wird (Marktordnungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. Nr. 330.
Das aus Anlaß der Beschwerden B1074/90 und B1079/90 eingeleitete Verfahren wurde zu G332-341/90 protokolliert, das aus
Anlaß des Beschwerdeverfahrens B1259/90 zu G91-95/91 und das aus
Anlaß des Beschwerdeverfahrens B1260/90 zu G96-100/91.
Zur Begründung seiner Bedenken wies der Verfassungsgerichtshof einerseits auf seinen Beschluß vom 12. Oktober 1990, B573/90, hin, mit dem er sämtliche der genannten Bestimmungen in Prüfung gezogen hatte, andererseits äußerte er das Bedenken, daß §71 Abs5 MOG 1985, BGBl. 210 idF BGBl. 330/1988 (das ist die Z73 des ArtII der Marktordnungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. 330) aus den gleichen Gründen verfassungswidrig sein dürfte, wie er sie im Erkenntnis vom 7. Dezember 1989, G237-240/89, ausgeführt hatte, mit dem §71 Abs5 MOG 1985 in der Fassung der Marktordnungsgesetz-Novellen 1985, BGBl. 291 und 1987, BGBl. 138 aufgehoben worden war.
3. Mit Erkenntnis vom 8. März 1991, G227-231/90 ua., hat der Verfassungsgerichtshof in aus Anlaß anderer Beschwerden (darunter die oben erwähnte, zu B573/90 protokollierte) eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren einen Teil der in Prüfung gezogenen Bestimmungen aufgehoben, im übrigen die Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt, worauf im folgenden noch einzugehen sein wird.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Das Verfahren hat nichts ergeben, was gegen die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerdeverfahren sprechen würde.
2.a) Der Verfassungsgerichtshof hat sämtliche die Absatzförderung im Bereich der Milchwirtschaft betreffenden Bestimmungen des Marktordnungsgesetzes seit der Marktordnungsgesetz-Novelle 1985, BGBl. 291, unter der Annahme in Prüfung gezogen, daß alle diese Bestimmungen miteinander in untrennbarem Zusammenhang stünden.
Im bereits genannten Erkenntnis vom 8. März 1991, G227-231/90, ist der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis gekommen, daß diese Annahme nicht zutrifft (vgl. IV.2. dieses Erkenntnisses). Er stellte fest, daß sich die Bestimmungen der genannten Marktordnungsgesetz-Novellen über die Höhe der Einzelrichtmenge und ihre Veränderung, gegen die sich die Bedenken richteten, von den übrigen Bestimmungen über die Absatzförderung im Bereich der Milchwirtschaft trennen lassen.
Der Verfassungsgerichtshof beschränkte daher das Gesetzesprüfungsverfahren auf folgende Bestimmungen:
ArtII Z5 und 6 sowie ArtIII und ArtIV Abs2 der Marktordnungsgesetz-Novelle 1985, BGBl. 291;
ArtII Z13 bis 15 und 18 sowie ArtIII Abs3 bis 6, ArtV, ArtVI und ArtVIII der Marktordnungsgesetz-Novelle 1986, BGBl. 183;
ArtII Z12 bis 14 und 15, soweit sich letztere auf §73 Abs7 bezieht, und Z17 bis 19 sowie ArtIII Abs4 und Abs6, ArtIV Abs1, 2, 4 und 5 sowie ArtV der Marktordnungsgesetz-Novelle 1987, BGBl. 138; und
ArtII Z74 bis 76, 78, 83 und 84 sowie ArtV der Marktordnungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. 330.
Betreffend die übrigen Bestimmungen stellte der Verfassungsgerichtshof die Gesetzesprüfungsverfahren ein.
b) In den dem vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren zugrundeliegenden Anlaßverfahren geht es um die "Aberkennung einer Almeigenschaft" gemäß §71 Abs5 MOG idF BGBl. 330/1988, sodaß es ausgeschlossen ist, daß für dieses Verfahren die Bestimmungen über die Höhe der Einzelrichtmenge und ihre Veränderung präjudiziell sind. Der Verfassungsgerichtshof zog diese Bestimmungen im vorliegenden Verfahren nur deswegen in Prüfung, weil er im Hinblick auf seine Bedenken sämtliche Bestimmungen über die Absatzförderung im Bereich der Milchwirtschaft für untrennbar hielt.
Da diese Voraussetzung wie dargelegt nicht zutrifft, sind die vorliegenden Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen, soweit sie nicht §71 Abs5 MOG idF der Marktordnungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. 330 (also die Z73 des ArtII dieser Novelle), betreffen.
3. Die vom Verfassungsgerichtshof ausschließlich gegen §71 Abs5 MOG geäußerten Bedenken treffen hingegen zu:
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mit Erkenntnis vom 7. Dezember 1989, G237-240/89, §71 Abs5 MOG idF vor der Novelle BGBl. 330/1988 (das war in der Fassung der Novellen BGBl. 291/1985 und 138/1987) deswegen als verfassungswidrig aufgehoben, weil diese Bestimmung insofern gegen das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot verstieß, als sie unabhängig vom Unrechtsgehalt des durch sie sanktionierten Verstoßes eine gravierende Sanktion vorsah, und zwar eine für die Verwirklichung von Tatbeständen stark verschiedenen Unrechtsgehaltes stets zwingend gleiche Sanktion.
§71 Abs5 in der hier maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. 330/1988 ist gegenüber der vorangegangenen Fassung im hier relevanten Zusammenhang nicht verändert. Er ist daher aus den gleichen Gründen, wie sie im genannten Erkenntnis vom 7. Dezember 1989, G237-240/89, dargelegt sind, verfassungswidrig und somit aufzuheben.
4. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle gründet sich auf Art140 Abs5 B-VG.
Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.
Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergehen.
Schlagworte
Marktordnung, SanktionenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:G332.1990Dokumentnummer
JFT_10089380_90G00332_00