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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AAV §61 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des N in X, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 8. Juni 1993, Zl. Vd-16.606/16, betreffend Bestrafung wegen Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 11. März 1993, Zl. 92/18/0441, verwiesen, womit der Bescheid der belangten Behörde vom 16. September 1992 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde. Dies deshalb, da der im Instanzenzug aufrecht erhaltene Spruch den Anforderungen des § 44a Z. 1 VStG nicht genüge, weil zweifelhaft bleibe, wofür der Beschwerdeführer bestraft worden sei. Dem Spruch lasse nicht nicht entnehmen, ob es sich bei der vom Arbeitsinspektor am 21. Juni 1990 kontrollierten Baugrube um eine bereits fertiggestellte oder eine noch im Stadium des (fortschreitenden) Aushubes befindliche Baugrube gehandelt habe. Dieses Sachverhaltselement sei wesentlich, weil erst dadurch eine eindeutige Subsumtion des dem Beschwerdeführer angelasteten Verhaltens (entweder unter die Vorschrift des § 16 Abs. 2 Bauarbeiterschutzverordnung oder unter jene des § 61 Abs. 3 und 4 AAV) möglich werde. Der Tatbestand des § 16 Abs. 2 Bauarbeiterschutzverordnung sei nämlich seinem Wortlaut folgend dahin zu verstehen, daß Wände von Baugruben und Gräben nach ihrer Fertigstellung und unabhängig von einer konkreten Gefährdung der Arbeitnehmer eine entsprechende Abböschung aufweisen oder sachgemäß gepölzt sein müßten. Nicht hingegen werde durch diese Bestimmung angeordnet, daß die Wände während des Aushubes der Baugruben und Gräben durch entsprechende Abböschung oder sachgemäße Pölzung zu sichern seien. Demgegenüber normiere § 61 Abs. 3 AAV die Verpflichtung des Arbeitgebers, "während" des Aushubes für eine entsprechende - nach Maßgabe des Absatzes 4 - Abböschung der Wände zu sorgen, um eine konkrete Gefährdung der Arbeitnehmer zu verhindern.
Im fortgesetzten Verfahren erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 8. Juni 1993, mit welchem sie die Berufung des Beschwerdeführers gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis mit der Maßgabe abwies, daß der Spruch des Straferkenntnisses (hinsichtlich der Tatanlastung) wie folgt zu lauten habe:
"Der Beschuldigte, N in X, hat als verantwortlicher Vertreter des Arbeitgebers (handelsrechtlicher Geschäftsführer der Bauunternehmung B-GmbH. in W), nicht ausreichend dafür Vorsorge getroffen, daß die arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden, da bei der am 21.6.1190 auf der Baustelle "Mehrfamilienhaus H" in S durch einen Vertreter des Arbeitsinspektorates Innsbruck durchgeführten Kontrolle festgestellt wurde, daß die südöstlichen sowie Teile der östlichen und westlichen Baugrubenwände der zu errichtenden (somit noch im Stadium des Aushubes befindlichen) bereits 8 m tiefen Baugrube sowohl entgegen § 61 Abs. 4 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, BGBl. Nr. 218/1983, im südlichen Bereich eine Neigung von mehr als 80 Grad hatten, obwohl der Boden extrem naß und daher weich war und somit den bei steifen oder halbfesten bindigen Böden höchst zulässigen Böschungswinkel von 60 % (richtig: Grad) überschritten, als auch entgegen § 61 Abs. 3 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung keine Schutzmaßnahmen wie z.B. Pölzungen oder Spundwände zur Sicherung aufgewiesen haben und so durch Unterlassen dieser Schutzmaßnahmen Arbeitnehmer bei Fortschreiten der Aushubarbeiten durch abrutschendes Material gefährdet wurden. Die Gefährdung der Arbeitnehmer war so groß, daß von seiten des Arbeitsinspektorates für den
14. Aufsichtsbezirk das Arbeiten im gefährdeten Bereich bis zur Behebung dieses Mangels untersagt werden mußte."
In der Begründung führte die belangte Behörde - soweit für die Erledigung der vorliegenden Beschwerde von Belang - aus, die Berufungsbehörde sei berechtigt, in Entsprechung des § 44a lit. a VStG die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat dahin zu ergänzen, daß im Spruch nunmehr sämtliche Tatbestandsmerkmale der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschriften enthalten seien. In der am 30. Juli 1990 aufgenommenen Niederschrift mit dem Beschwerdeführer sei festgehalten worden, daß diesem (je) eine Fotokopie der Anzeige des Arbeitsinspektorates vom 26. Juni 1990, des Gendarmeriepostens vom 22. Juni 1990 sowie der "Einstellungsverfügung" des Arbeitsinspektorates vom 21. Juni 1990 ausgefolgt worden sei. Insbesondere dieser Einstellungsverfügung sei die klar und eindeutige Feststellung, daß der Aushub der Baugrube noch nicht abgeschlossen gewesen sei, zu entnehmen. Da somit hinsichtlich des Tatbestandsmerkmales "im Stadium des (fortschreitenden) Aushubes befindliche Baugrube" innerhalb der Frist des § 31 Abs. 2 VStG eine Verfolgungshandlung gesetzt worden sei, sei eine Ergänzung des Spruches durch die Berufungsbehörde möglich gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:
In der vorliegenden Beschwerde wird unter anderem vorgebracht, für die Frage, ob sich die Baugrube noch im Aushub befunden habe oder bereits fertiggestellt gewesen sei, mangle es an entsprechenden Tatsachenfeststellungen und Beweisergebnissen. Ungeachtet dessen ergebe sich aus dem Akteninhalt, daß es sich um eine bereits bestandene und daher hinsichtlich ihres Aushubes "abgeschlossene" Baugrube gehandelt habe, bei der lediglich durch das witterungsbedingte Abrutschen von Erdreich Sicherungsmaßnahmen notwendig gewesen seien. Es sei daher unerklärlich, wie die belangte Behörde ihrer Neufassung des Spruches eine Übertretung des § 61 Abs. 3 und 4 AAV zugrundelegen hätte können.
Dieses Vorbringen führt zum Erfolg der Beschwerde: Aus den in der Begründung des angefochtenen Bescheides angeführten Schriftstücken läßt sich nämlich - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - nicht mit ausreichender Sicherheit entnehmen, daß es sich bei der vom Arbeitsinspektor am 21. Juni 1990 kontrollierten Baugrube um eine noch im Stadium des (fortschreitenden) Aushubes befindliche gehandelt habe. Insbesondere geht solches nicht aus der von der belangten Behörde ins Treffen geführten "Einstellungsverfügung" des Arbeitsinspektorates vom 21. Juni 1990 hervor. Mit diesem, unter Berufung auf § 360 Abs. 2 zweiter Satz Gewerbeordnung 1973 in Verbindung mit § 7 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 erlassenen Bescheid wurde das Arbeiten im "gefährdeten Bereich" der erwähnten Baugrube bis zur Behebung des Mangels untersagt. Dies deshalb, weil anläßlich der am 21. Juni 1990 durchgeführten Überprüfung festgestellt worden sei, daß die ca. 8 m hohen "Baugrubenwände der zu errichtenden südlichen sowie Teile der östlichen und westlichen Kellermauer" weder entsprechend abgeböscht noch gepölzt gewesen seien und dadurch das Leben und die Gesundheit der Arbeitnehmer durch einen möglichen Einsturz der Baugrubenwand gefährdet seien ... Nach den vom Arbeitsinspektor getroffenen Feststellungen bestehe bei einer weiteren gewerblichen Tätigkeit unmittelbar drohende Gefahr für Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer "durch Ausführung der Baugrube", da der Böschungswinkel der ca. 8 m tiefen im Westen und Osten auf 1 m verlaufenden Baugrubenwand, die in einem Schotterboden hergestellt worden sei, das bei steifen und halbfesten und bindigen Böden zulässige Maß von höchstens 60 Grad überschritten habe.
Insbesondere diese Worte "durch Ausführung der Baugrube" sind nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im gegebenen Zusammenhang keineswegs verläßlich dahin zu verstehen, daß sich die Baugrube noch im Stadium des (fortschreitenden) Aushubes befinde; vielmehr liegt eine Auslegung dahin näher, daß damit die "Art" der (bereits bestehenden) Ausführung der Baugrube gemeint ist.
Da es die belangte Behörde sohin unterlassen hat, als Voraussetzung für die im Sinne des zitierten hg. Erkenntnisses vom 11. März 1993, Zl. 92/18/0441, rechtsrichtige Subsumtion des dem Beschwerdeführer angelasteten Verhaltens entsprechende Ermittlungen zu pflegen, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, was zu seiner Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG führt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren betreffend Ersatz von Stempelgebühren war abzuweisen, da als Beilage zur Beschwerde lediglich der angefochtene Bescheid (in einfacher Ausfertigung) vorzulegen war. Schriftsatzaufwandersatz gebührt für alle im Verfahren erstatteten Schriftsätze nur einmal (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 1991, Zl. 91/19/0186).
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993020182.X00Im RIS seit
20.11.2000