TE Vwgh Erkenntnis 1994/1/13 93/18/0317

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Veröffentlicht am 13.01.1994
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag.Dr. Wurdinger, über die Beschwerde des DP in W, vertreten durch seine Mutter ZP, ebendort, diese vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 23. Juni 1993, ohne Zahl, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der belangten Behörde) vom 23. Juni 1993, wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, vom 8. Mai 1992 auf Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen.

In sachverhaltsmäßiger Hinsicht ging die belangte Behörde davon aus, daß der Beschwerdeführer am 30. April 1992 wegen des Verdachtes der schweren Körperverletzung und des schweren Raubes, am 15. Jänner 1992 wegen des Verdachtes "nach § 127 StGB", am 4. November 1992 wegen des Verdachtes der Körperverletzung und am 28. Jänner 1993 wegen zahlreicher Strafgerichtsdelikte beim Jugendgericht (gemeint: Jugendgerichtshof Wien) angezeigt worden sei. Laut Mitteilung der Staatspolizei vom 26. Juni 1992 sei der Beschwerdeführer Mitglied einer Jugendbande und sei er als deren Mitglied wegen diverser Strafgerichtsdelikte angezeigt worden. Der Beschwerdeführer gehe im Bundesgebiet keinerlei Beschäftigung nach und besuche auch keine Schule.

Rechtlich beurteilte die belangte Behörde diesen Sachverhalt dahingehend, daß bereits erwiesen sei, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführer im Bundesgebiet zur Störung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit geführt habe.

Gegen diesesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, den Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 FrG kann ein Sichtvermerk einem Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern ein gültiges Reisedokument vorliegt und kein Versagungsgrund gemäß § 10 gegeben ist. Der Sichtvermerk kann befristet oder unbefristet erteilt werden.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 leg. cit ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Der Beschwerdeführer macht geltend, daß völlig unberücksichtigt geblieben sei, daß er bis dato unbescholten sei und es "auch noch keine Hauptverhandlung gebe".

Damit geht er offenbar davon aus, daß für die Versagung eines Sichtvermerkes eine Verurteilung wegen bestimmter strafbarer Handlungen erforderlich sei. Diese Auffassung ist verfehlt, es genügt vielmehr ein diesbezüglicher begründeter Verdacht (vgl. hiezu das zur sprachlich weitgehend übereinstimmenden Vorgängerbestimmung des § 25 Abs. 3 lit. d Paßgesetz 1969 ergangene hg. Erkenntnis vom 3. Juni 1993, Zl. 93/18/0153).

In der Begründung des angefochtenen Bescheides werden gegen den Beschwerdeführer erstattete Anzeigen aufgezählt. Dadurch ist ein Verdacht lediglich ausgesprochen worden. Ob der so geäußerte Verdacht auch tatsächlich begründet ist, kann sich nur aus bestimmten Sachverhaltsmomenten ergeben. Dem Bescheid können die Grundlagen für einen solchen Verdacht nicht entnommen werden, weil er keine den Beschwerdeführer diesbezüglich belastenden konkreten Beweisergebnisse anführt.

Der Beschwerdeführer rügt weiters, daß der angefochtene Bescheid in keiner Weise seine persönlichen Verhältnisse berücksichtige und darüber überhaupt kein Verfahren abgeführt worden sei.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seinem 1. Lebensjahr in Österreich auf. Er lebt mit seinen zwei Geschwistern und seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt. Diese der belangten Behörde durch die bisherigen Anträge auf Erteilung eines Sichtvermerkes bekannten, persönlichen und familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers sind bei Anwendung des Versagungsgrundes des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1993, Zl. 93/18/0321). Die schwerwiegenden persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers können umso weniger vernachlässigt werden, als die Gefährdung der öffentlichen Interessen bloß aus dem Verdacht, nicht aber aus der Gewißheit abgeleitet wird, daß der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfenen strafbaren Handlungen begangen hat. Die belangte Behörde hat offenbar ausgehend von der Auffassung, sich damit nicht auseinandersetzen zu müssen, solche Feststellungen und Erwägungen unterlassen.

Da die belangte Behörde demnach die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993180317.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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