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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1332;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Hnatek und Dr. Karger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Hutter, über den Antrag des K in H, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in R, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln des mit Beschluß vom 21. September 1993, 93/14/0131, AW 93/14/0016, abgeschlossenen Verfahrens, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
Begründung
Mit Beschluß vom 21. September 1993, 93/14/0131, AW 93/14/0016, stellte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren betreffend die vom Antragsteller erhobene Beschwerde gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Tirol, Berufungssenat II, vom 29. April 1993, 30.253-3/93, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1982 bis 1985 sowie Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1982 bis 1985 und Gewerbesteuer für das Jahr 1985 (in der Folge: Bescheid) ein, weil der Antragsteller dem an ihn ergangenen Auftrag zur Verbesserung der Beschwerde insoweit nicht nachgekommen war, als er innerhalb der gesetzten Frist statt der von ihm geforderten weiteren Ausfertigung der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde eine Ausfertigung einer solchen von ihm an den Verfassungsgerichtshof gerichteten vorlegte.
Im fristgerecht zur Post gegebenen Antrag wird unter Vorlage der vom Antragsteller geforderten weiteren Ausfertigung der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zu Behebung von Mängeln begehrt.
Aus den Ausführungen des Antragstellers und der beigeschlossenen eidesstattlichen Erklärung ergibt sich folgender, vom Verwaltungsgerichtshof als bescheinigt angesehener Sachverhalt:
Nach Zustellung der hg Verfügung vom 9. August 1993 betreffend die Behebung von Mängeln habe sein Rechtsanwalt der bei ihm seit über zwölf Jahren beschäftigten, äußerst verläßlichen Kanzleikraft CS den Auftrag erteilt, ua eine weitere Ausfertigung der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde zur Unterfertigung vorzubereiten und diese sodann gemeinsam mit den zurückgestellten Beschwerdeausfertigungen samt Beilagen wieder dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen. Er habe gegen den Bescheid nicht nur eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof, sondern parallel dazu auch eine solche beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Für diese beiden Beschwerden habe sein Rechtsanwalt je einen eigenen Handakt angelegt. Die gemeinsamen Unterlagen bezüglich des Abgabenverfahrens befänden sich in einem weiteren dritten Unterakt. Die vorhandenen Handakte seien weder umfangreich noch unübersichtlich, weswegen seinen Rechtsanwalt keine besondere Überwachungspflicht getroffen habe. Die an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gerichteten Beschwerden seien im Büro-Computer seines Rechtsanwaltes mit vollem Text eingespeichert, weswegen es lediglich einer technisch-manipulativen Kanzleitätigkeit bedürfe, um weitere Beschwerdeausfertigungen auszudrucken. Derartige Ausdrucke würden bei Bedarf seit Jahren von CS, in deren alleinigen Verantwortungsbereich dies falle, hergestellt. CS sei bei der technisch-manipulativen Tätigkeit insoferne ein Mißgeschick unterlaufen, als sie anstelle der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde die an den Verfassungsgerichtshof gerichtete ausgedruckt habe, die optisch und dem Umfang nach der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten entspräche. CS habe weiters ein "Kurzmitteilungsformular" ausgefüllt, wobei richtigerweise der Verwaltungsgerichtshof als Adressat angeführt worden sei. Es sei daher erkennbar, daß CS völlig klar gewesen sei, es müsse eine weitere an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Beschwerdeausfertigung ausgedruckt werden. CS habe seinem Rechtsanwalt unter einem die "Kurzmitteilung" sowie die an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerdeausfertigung samt Beilagen zur Unterschrift vorgelegt, wobei die "Kurzmitteilung" am oberen Ende des Rubrums angebracht gewesen sei. Anläßlich der Unterfertigung durch seinen Rechtsanwalt habe dieser aus der "Kurzmitteilung" den richtigen Adressaten (Verwaltungsgerichtshof) erkennen können, es sei jedoch durch die "Kurzmitteilung" der Adressat (Verfassungsgerichtshof) auf dem Rubrum der Beschwerdeausfertigung verdeckt worden, weswegen auf den ersten Blick nicht erkennbar gewesen sei, es handle sich bei der zu unterfertigenden Beschwerdeausfertigung um eine an den Verfassungsgerichtshof gerichtete. Die Bezeichnung des Beschwerdeführers, seines Vertreters, der belangten Behörde sowie des Bescheides sei bei beiden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gerichteten Beschwerden gleich. Auf Grund dieser außergewöhnlichen Situation sei seinem sorgfältigen Rechtsanwalt das Versehen unterlaufen, daß er nicht auch noch unter die "Kurzmitteilung" einen Kontrollblick geworfen habe, ob die von ihm zu unterfertigende weitere Beschwerdeausfertigung auch tatsächlich an den Verwaltungsgerichtshof gerichtet sei.
Bei dem unterlassenen Kontrollblick handle es sich angesichts des Umstandes, daß CS seit über zwölf Jahren äußerst verläßlich und fehlerfrei in der Kanzlei arbeite und die an sie erteilte Anweisung eindeutig gewesen sei, um ein Versehen minderen Grades im Sinn des § 46 Abs 1 VwGG, somit um ein unabwendbares Ereignis, wodurch er einen Rechtsnachteil erleide. Sein Rechtsanwalt habe die ihn grundsätzlich treffende Überwachungspflicht in dem ihm zumutbaren Ausmaß eingehalten; es sei gewährleistet gewesen, daß der hg Verfügung betreffend die Behebung von Mängeln fristgerecht und vollständig entsprochen werde. Es sei seinem Rechtsanwalt nicht auch noch zumutbar, die technisch-manipulative Herstellung eines Ausdruckes zu überprüfen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln sei daher zu bewilligen.
Dem Antragsteller ist folgendes entgegenzuhalten:
Nach § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorgesehenes oder unabwendbares Ereignis .... eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat (vgl beispielsweise den hg Beschluß vom 17. Dezember 1993, 93/15/0202, 0203, mwA), gibt ein einem Rechtsanwalt widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann ab, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB zu verstehen. Das Verschulden einer Kanzleikraft stellt für den Rechtsanwalt dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd obigen Ausführungen dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber den Kanzleibediensteten nachgekommen ist. Der Rechtsanwalt muß die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die richtige und fristgerechte Erledigung von gerichtlichen Aufträgen sichergestellt ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein Rechtsanwalt verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind.
Der Antragsteller meint, sein Rechtsanwalt habe der ihm obliegenden Überwachungspflicht Genüge geleistet, weswegen der CS unterlaufene Fehler beim Ausdrucken der Beschwerdeausfertigung nur einen minderen Grad des Versehens darstelle. Nicht CS ist ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden, sondern dem Rechtsanwalt selbst ist ein solches vorzuwerfen. Ein Rechtsanwalt handelt nämlich auffallend sorglos, wenn er einen Schriftsatz unterfertigt, ohne ihn zu lesen, und dadurch - allenfalls auf weisungswidriges Verhalten einer Kanzleikraft zurückzuführende - Mängel dieses Schriftsatzes, etwa die unrichtige Bezeichnung des Gerichtshofes, unbemerkt bleiben (vgl das hg Erkenntnis vom 8. Oktober 1990, 90/15/0134, mwA). Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß es der Rechtsanwalt des Antragstellers angesichts der am oberen Ende des Rubrums angebrachten "Kurzmitteilung" unterlassen hat, die ihm von der Kanzleikraft vorgelegte Beschwerdeausfertigung dahingehend zu kontrollieren, ob mit dieser der hg Verfügung betreffend die Behebung von Mängeln entsprochen wird. Denn ein bloß kurzer Blick in die dem Rechtsanwalt des Antragstellers von CS vorgelegte Beschwerdeausfertigung hätte genügt, um erkennen zu können, daß es sich bei der an den Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Beschwerdeausfertigung um eine an den Verfassungsgerichtshof gerichtete handelt, die sich von der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde nicht nur im Adressaten, sondern auch im Inhalt auffällig unterscheidet (vgl insbesondere die untere Hälfte des Rubrums, die ins Auge springende unterschiedliche Form und den Umfang der beiden Beschwerden sowie die unterschiedlichen Anträge).
Dem Rechtsanwalt des Antragstellers fällt daher ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln zur Last, das einen minderen Grad des Versehens im Sinn des § 46 Abs 1 VwGG übersteigt, weswegen der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen war.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993140199.X00Im RIS seit
20.11.2000