TE Vfgh Erkenntnis 1991/6/27 V472/90

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Veröffentlicht am 27.06.1991
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
Bebauungsplan der Landeshauptstadt Linz v 16.02.89 ."Panholzerweg".
Oö RaumOG §23

Leitsatz

Gesetzwidrige Änderung eines Bebauungsplanes durch die Beeinträchtigung des Anhörungsrechtes Betroffener

Spruch

Der Bebauungsplan ST 100/9 ("Panholzerweg") der Landeshauptstadt Linz vom 16. Februar 1989, kundgemacht im Amtsblatt der Landeshauptstadt Linz vom 16. Mai 1989, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Magistrat der Landeshauptstadt Linz genehmigte mit Bescheid vom 16. Dezember 1976 die Errichtung einer großen, aus den Blöcken A - C bestehenden Wohnhausanlage. Mit Bescheid des Magistrates der Landeshauptstadt Linz vom 22. Juli 1987 wurde der Wohnungseigentumsbau, Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft m.b.H., eine "Bewilligung zur Abweichung vom genehmigten Bauvorhaben und Baubewilligung" erteilt, womit die Änderung der Geschoßanzahl, der Grundrisse sowie der Dachgestaltung im Bereich der Objekte in Block C (Stiege 15-18) gegenüber dem genehmigten Bauvorhaben und die zusätzliche Errichtung einer Großgarage bewilligt wurden. Dieser Bescheid wurde dem Sachwalter einer Anrainerin erst am 3. August 1988 zugestellt (zuvor erfolgte die Zustellung ungeachtet der Bestellung eines Sachwalters nur an die Anrainerin selbst). Der daraufhin von ihr (immer gemeint: durch ihren Sachwalter) erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz vom 10. April 1989 keine Folge gegeben. Der dagegen von der Anrainerin ergriffenen Vorstellung gab die Oberösterreichische Landesregierung mit Bescheid vom 17. August 1989 Folge, der Berufungsbescheid wurde aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Stadtsenat verwiesen. Dies wurde im wesentlichen damit begründet, nach der für die Bewilligung maßgeblichen Bausperreverordnung Nr. 625 in Verbindung mit dem Bebauungsplanentwurf Nr. ST 100/9 sei im fraglichen Bereich an der Grundgrenze bloß die Errichtung einer Tiefgarage zulässig; weder handle es sich bei der geplanten "Großgarage" um eine Tiefgarage noch bestehe zwischen der Garage und der Grundstücksgrenze der von §32 Oberösterreichische Bauordnung (OÖ BauO), LGBl. 35/1976, geforderte Abstand.

Der Stadtsenat der Landeshauptstadt Linz gab daraufhin mit Bescheid vom 3. Oktober 1989 der Berufung neuerlich mit der Begründung keine Folge, mittlerweile sei der Bebauungsplan ST 100/9 in Kraft getreten, der im Sinne des §32 OÖ BauO nun die Errichtung einer (oberirdischen) Garage bis an die Grundgrenze vorsehe. Der gegen diesen Bescheid wiederum erhobenen Vorstellung wurde mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 28. November 1989 keine Folge gegeben.

b) Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde im Anlaßverfahren B40/90, in der die Beschwerdeführerin die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie eine Rechtsverletzung wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß dieser Beschwerde beschlossen, die Gesetzmäßigkeit des Bebauungsplanes Nr. ST 100/9 ("Panholzerweg") der Landeshauptstadt Linz, beschlossen vom Gemeinderat am 16. Feber 1989, kundgemacht im Amtsblatt der Landeshauptstadt Linz vom 16. Mai 1989, von Amts wegen zu prüfen.

3. Im Verordnungsprüfungsverfahren haben die Oberösterreichische Landesregierung und der Gemeinderat der Landeshauptstadt Linz in Äußerungen beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle das Verordnungsprüfungsverfahren mangels Präjudizialität zum Teil einstellen und im übrigen feststellen, daß die in Prüfung gezogene Verordnung nicht gesetzwidrig ist.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

a) Die Oberösterreichische Landesregierung, vor allem aber der Gemeinderat der Landeshauptstadt Linz vertreten die Ansicht, der in Prüfung gezogene Bebauungsplan sei nur insoweit präjudiziell, als damit die Errichtung einer Garage für zulässig erklärt wird, und begründen diese Auffassung wie folgt:

Der den Ausgangspunkt des Verfahrens bildende erstinstanzliche Bescheid vom 22. Juli 1987 beinhalte zwei voneinander trennbare Bewilligungsgegenstände, nämlich einerseits im Spruchteil a) die Änderung der Geschoßanzahl, der Grundrisse sowie der Dachformen im Bereich der Objekte Block C (Stiege 15 bis 18) sowie im Spruchteil

b) die Errichtung einer Großgarage. Dieser Bescheid sei mit Berufung nur insofern angefochten worden, als damit die Bewilligung für die Errichtung einer Garage an der Grundgrenze erteilt wurde, also hinsichtlich des Spruchteiles b). Hinsichtlich des übrigen Umfanges der Bewilligung sei der Bescheid vom 22. Juli 1987 unangefochten geblieben und daher in Rechtskraft erwachsen. Gegenstand des weiteren Verfahrens und damit auch des Beschwerdeverfahrens im Anlaßfall sei somit lediglich die Genehmigung einer Großgarage beim Block C der Wohnanlage.

b) Aus den Verwaltungsakten ergibt sich zu diesem Vorbringen folgendes:

In der mit dem Bescheid vom 22. Juli 1987 bewilligten Abweichung vom genehmigten Bauvorhaben werden bei der Beschreibung dieser Abweichung zwar die Änderung der Geschoßanzahl und weiterer Einzelheiten einerseits und die Errichtung einer Großgarage andererseits gesondert angeführt. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde aber - ohne jede Einschränkung - die Aufhebung des Bescheides beantragt. Mit dem Berufungsbescheid vom 10. April 1989 wurde der Berufung (schlechthin) keine Folge gegeben, in Spruch und Begründung dieses Bescheides findet sich keine Unterscheidung zwischen einem bekämpften Teil und einem rechtskräftig gewordenen Teil des erstinstanzlichen Bescheides, wie es nunmehr dem Gemeinderat vorschwebt. Schließlich hat die Oberösterreichische Landesregierung mit dem Vorstellungsbescheid vom 17. August 1989 den Berufungsbescheid antragsgemäß zur Gänze aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Stadtsenat der Landeshauptstadt Linz verwiesen. Gegenstand des Bauverfahrens waren somit auch im zweiten Rechtsgang (im Anlaßverfahren angefochten ist - wie bereits oben unter Pkt. I.1.a) dargestellt - der nunmehr abweisliche Vorstellungsbescheid im zweiten Rechtsgang) nach wie vor die mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 22. Juli 1987 bewilligten Abweichungen von der ursprünglichen Baubewilligung.

Es kann daher keine Rede davon sein, daß ein Teil des Bescheides vom 22. Juli 1987 (betreffend die Geschoßanzahl) in Rechtskraft erwachsen wäre. Mit dem im Anlaßverfahren beim Verfassungsgerichtshof bekämpften Vorstellungsbescheid wurde - wie wiederholend festzuhalten ist - letztlich über alle Abweichungen vom seinerzeit genehmigten Bauvorhaben abgesprochen.

c) Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren (im Umfang von dessen Einleitung, s. oben unter Pkt. I.2.) zulässig.

2. Zur Sache:

a) Der Verfassungsgerichtshof hat hiezu in seinem Beschluß auf Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens vom 1. Oktober 1990 folgende Bedenken geäußert:

"Nach §23 Abs3 des Oberösterreichischen Raumordnungsgesetzes (OÖ ROG), LGBl. 18/1972, gelten für das Verfahren der Änderung eines Bebauungsplanes die Bestimmungen des §21 Abs1 und 4 bis 10 OÖ ROG sinngemäß. Nach §21 Abs4 OÖ ROG ist vor Beschlußfassung eines Bebauungsplanes durch den Gemeinderat der Plan durch sechs Wochen zur öffentlichen Einsichtnahme beim Gemeindeamt (Magistrat) aufzulegen. Im Falle einer Planänderung nach §23 OÖ ROG ist eine solche Planauflage nicht erforderlich, wenn die von der beabsichtigten Planänderung Betroffenen vor der Beschlußfassung angehört werden (§23 Abs3 OÖ ROG).

Bei der Erlassung des mit dem vorliegenden Beschluß in Prüfung gezogenen Bebauungsplanes wurde von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, indem die von der Planänderung Betroffenen mit Schreiben des Magistrates der Landeshauptstadt Linz vom 18. November 1988 von der beabsichtigten Änderung des Bebauungsplanes verständigt wurden. In dieser Verständigung wird aber als "wesentliche Änderungen" lediglich folgendes angegeben: "Um bei der Wohnanlage 'Panholzerweg' den Einbau von Behindertenwohnungen in den Sockelgeschoßen zu ermöglichen, werden die im bisher rechtswirksamen Bebauungsplan festgelegten Geschoßanzahlen jeweils um ein Geschoß erhöht."

In der Verständigung findet sich kein Hinweis darauf, daß auch eine Änderung des Bebauungsplanes insofern geplant ist, daß neben dem Gebäude an Stelle der früher vorgesehenen Tiefgarage eine oberirdische Großgarage bis an die Grundgrenze errichtet werden kann. Ein solcher Hinweis wäre aber nach der - vorläufigen - Auffassung des Verfassungsgerichtshofes erforderlich gewesen, damit der Betroffene beurteilen kann, ob er durch diese Änderung in seinen Interessen möglicherweise verletzt wird und entsprechende Schritte (Einsichtnahme in den Bebauungsplanentwurf, Erhebung von Einwendungen) ergreifen kann, um seine Interessen zur Geltung zu bringen (zu dieser Funktion des Auflageverfahrens vgl. jüngst VfGH 23. Juni 1990, V150/90).

An dieser Beurteilung vermag anscheinend nichts zu ändern, daß - wie der Gemeinderat der Landeshauptstadt Linz ausführt - in dem aufgelegten Bebauungsplanentwurf die Begrenzungslinien für den Garagenbau bereits eingezeichnet waren. Wenn in einer Verständigung über eine Planauflage auf die wesentlichen Änderungen hingewiesen wird, scheint nämlich der Normunterworfene darauf vertrauen zu dürfen, daß andere - wesentliche - Änderungen nicht geplant sind, sodaß es für ihn nicht erforderlich ist, sich zur Behörde zu bemühen, um durch Einsichtnahme in den Planentwurf festzustellen, ob durch andere Änderungen möglicherweise seine Interessen verletzt werden.

Da eine Änderung der für Bebauungspläne maßgeblichen Rechtslage nicht vorlag, wäre die Bebauungsplanänderung von §23 Abs1 OÖ ROG nur dann gedeckt, wenn sie das Gemeinwohl erfordert hätte (in welchem Fall die Interessen Dritter außer Acht gelassen werden könnten). Der Verfassungsgerichtshof kann anhand der Verwaltungsakten vorläufig nicht erkennen, daß dieser Änderungstatbestand erfüllt gewesen wäre:

Im Verwaltungsakt betreffend die Änderung des Bebauungsplanes wird wiederholt erwähnt, Grund der Änderung sei es, den Einbau von Behindertenwohnungen zu ermöglichen (so im Antrag der mitbeteiligten Wohnbaugesellschaft auf Änderung des Bebauungsplanes vom 21. Oktober 1986, in einem vom Baudirektor und dem zuständigem Stadtrat unterzeichneten Aktenvermerk vom 2. Oktober 1986, einem Amtsbericht des Planungsamtes vom 20. Oktober 1988, der Verständigung der Betroffenen von der Auflage des Bebauungsplanes vom 18. November 1988 und im Amtsbericht an den Gemeinderat als Grundlage für die Beschlußfassung vom 4. Jänner 1989). Die Möglichkeit der Schaffung von Behindertenwohnungen scheint aber jene Art der Änderung des Bebauungsplanes, wie sie hier erfolgte, aus Gründen des Gemeinwohls nicht zu rechtfertigen:

Zunächst ist dem Verfassungsgerichtshof - entgegen den Ausführungen der Landeshauptstadt Linz in ihrer Äußerung - nicht erkennbar, weshalb die Änderung der Geschoßanzahl eines Gebäudes gleichsam zwingend zur Folge haben muß, daß auf einer angrenzenden Grundfläche statt einer Tiefgarage eine oberirdische Garage errichtet wird. Auch scheint die die Errichtung der Garage betreffende Änderung des Bebauungsplanes in keinem Zusammenhang mit der Erhöhung der Geschoßanzahl zu stehen.

Ebensowenig ist es dem Verfassungsgerichtshof vorläufig erkennbar, inwiefern der Einbau von Behindertenwohnungen eine ganz bestimmte Geschoßanzahl des betreffenden Gebäudes bedingt. Der Einbau von solchen Wohnungen scheint daher die vorgenommene Änderung des Bebauungsplanes aus Gründen des Gemeinwohls nicht rechtfertigen zu können.

Darüberhinaus ist die - für alle im Bebauungsplan St 100/9 erfolgten Änderungen verwendete - Argumentation der verordnungserlassenden Behörde in diesem Zusammenhang wohl nur vor folgendem Hintergrund verständlich:

Im Verordnungsakt wird ausgeführt, ursprünglich seien die "Sockelgeschoße durch Einschüttung als Keller" geplant gewesen, durch den Entfall der Einschüttung sollte der Einbau von Behindertenwohnungen möglich werden. Bei Betrachtung des gesamten Bauverfahrens im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Aktenvermerk vom 2. Oktober 1986 liegt aber die Annahme nahe, daß die zeitliche Abfolge eine andere war: Abweichend von der ursprünglichen Baubewilligung vom 16. Dezember 1976 für die gesamte Wohnhausanlage wurde ein bereits in der ersten Bauetappe errichteter Teil um ein Geschoß höher als bewilligt errichtet und eine oberirdische Garage anstelle der geplanten unterirdischen (teilweise auch außerhalb der festgelegten Baufluchtlinien). Diese Bauweise sollte bei den später errichteten Bauteilen beibehalten werden. Um letztlich eine konsensgemäße Bauausführung annehmen zu können, scheint daher die Baubewilligungswerberin vorerst (im Einklang mit der Behörde?) erwogen zu haben, das später so genannte "Sockelgeschoß" (das Erdgeschoß) einzuschütten, wodurch aber die dort geplanten Räume verlorengegangen wären. Um dies zu verhindern, wurde anscheinend die Bebauungsplanänderung mit der Begründung herbeigeführt, im Sockelgeschoß würden Behindertenwohnungen errichtet werden.

Diese Argumentation geht von der anscheinend unrichtigen Rechtsanschauung aus, die Geschoßanzahl eines Gebäudes sei nicht vom gewachsenen Erdboden, sondern von einem künstlich herbeigeführten Niveau aus zu berechnen. Da aber die Berechnung anscheinend immer vom gewachsenen Erdboden aus zu erfolgen hat, hätte die Einschüttung des Erdgeschosses nichts daran geändert, daß das eingeschüttete Geschoß bei der Berechnung der Geschoßanzahl einzubeziehen ist.

Nur nebenbei - und ohne daß diese Tatsache angesichts der vorhin geschilderten Rechtslage noch von ausschlaggebender Bedeutung wäre - sei bemerkt, daß nach dem Verwaltungsakt über das Bauverfahren in jenen Gebäuden, die mit der angefochtenen Baubewilligung genehmigt wurden, die Errichtung von Behindertenwohnungen im Erdgeschoß gar nicht vorgesehen ist. Die der angefochtenen Baubewilligung vom 22. Juli 1987 zugrundeliegenden "Austauschpläne" (Prüfvermerk des Magistrates der Landeshauptstadt Linz vom 2. Juli 1987, von der Baubewilligungswerberin am 28. Oktober 1986, also nach ihrer Antragstellung auf Änderung des Bebauungsplanes, angefertigt) weisen nämlich im Erdgeschoß neben Eingangshallen und Stiegenhäusern ausschließlich Abstellräume für Fahrräder, Kinderwägen und Gartengeräte sowie Waschküchen, Trockenräume und Kellerabteile aus. Auch in dem gesamten umfangreichen Bauakt ist von Anfang an von einer Abweichung vom genehmigten Bauvorhaben durch Erhöhung der Geschoßanzahl und zur Errichtung einer Großgarage die Rede, nicht hingegen vom Einbau von Behindertenwohnungen.

Die Oberösterreichische Landesregierung als belangte Behörde und die beteiligte Landeshauptstadt Linz sowie die beteiligte Wohnbaugesellschaft begründen in ihrer Gegenschrift bzw. in ihren Äußerungen die Zulässigkeit der Änderung des Bebauungsplanes auch gar nicht mit der Ermöglichung des Einbaus von Behindertenwohnungen, sondern bringen vor, die Änderung des Bebauungsplanes sei entsprechend einem bereits bewilligten Bau erfolgt. Nur weil die Änderung der Baubewilligung, auf deren Grundlage der Bau ausgeführt worden sei, mangels Zustellung an den Sachwalter der Beschwerdeführerin nicht rechtskräftig geworden sei, sei nach Ausführung des Baus die Baubewilligung "nachträglich" (wegen der Berufung der Beschwerdeführerin) weggefallen. Eine neuerliche Baubewilligung (nach Aufhebung der nachträglich erteilten durch die Vorstellungsbehörde) sei nur bei Änderung des Bebauungsplanes möglich gewesen. Ohne die Änderung des Bebauungsplanes hätte das bereits errichtete Gebäude abgerissen werden müssen, wodurch ein "schwerer volkswirtschaftlicher Nachteil" eingetreten wäre.

Der Verfassungsgerichtshof braucht im vorliegenden Fall auf diese "nachgeschossene" - anders als im Verfahren zur Erlassung der Verordnung lautende - Begründung für die Änderung aus folgenden Gründen nicht einzugehen:

Wie bereits ausgeführt (und aus den Akten ersichtlich), hat die mitbeteiligte Wohnbaugesellschaft den Bau rechtswidrigerweise nicht entsprechend der (ursprünglichen) Baubewilligung vom 16. Dezember 1976 errichtet. Die Abweichungen von der Baubewilligung waren keineswegs solche geringfügiger Natur (wie sie in der Praxis bei größeren Bauvorhaben manchmal nur schwer vermeidbar sein mögen), sondern sehr gewichtig: Sie betrafen die Anzahl der Geschoße des Gebäudes und die Situierung einer großen Garage. Der offenkundig zwecks Sanierung dieser Rechtswidrigkeiten erwirkte Baubewilligungsbescheid vom 22. Juli 1987 war aber seinerseits ebenfalls rechtswidrig, weil er mit den Bebauungsgrundlagen nicht in Einklang stand (s. den Vorstellungsbescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 17. August 1989). Die wahre Ursache für die im Bebauungsplan vorgenommenen Änderungen dürfte also darin liegen, daß zunächst die Bewilligungswerberin und in der Folge die Baubehörde rechtswidrig vorgegangen sind.

Die Änderung des Bebauungsplanes dürfte somit, wie im Falle des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 1989, V18/89, allein zu dem Zweck vorgenommen worden sein, um die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung für eine zunächst der ursprünglich erteilten Baubewilligung und in der Folge den geltenden Bebauungsplangrundlagen widersprechende und somit rechtswidrige Bauführung rechtlich zu ermöglichen. Eine solche Änderung kann aber, wie der Gerichtshof in dem genannten Erkenntnis festgestellt hat, nicht als eine Bebauungsplanänderung angesehen werden, welche im Sinne des §23 Abs1 OÖ ROG das Gemeinwohl erfordert.

Der Verfassungsgerichtshof ist somit zusammenfassend der - vorläufigen - Auffassung, daß weder die im Verfahren zur Planerlassung angeführten noch die nunmehr im verfassungsgerichtlichen Verfahren vorgebrachten Gründe die vorgenommene Planänderung im Sinn des §23 Abs1 OÖ ROG rechtfertigen.

Die Änderung des Baubauungsplanes scheint auch von §23 Abs2 OÖ ROG nicht gedeckt zu sein:

Diese Bestimmung setzt eine Beurteilung öffentlicher Interessen und der Interessen Dritter voraus, wobei die betroffenen Dritten nach der Verfahrensbestimmung des §23 Abs3 OÖ ROG Gelegenheit haben müssen, ihre Interessen selbst geltend zu machen. Hinsichtlich beider Voraussetzungen scheint die verordnungserlassende Behörde von unrichtigen Annahmen ausgegangen zu sein: Bei der Beurteilung der öffentlichen Interessen ging die Behörde von der offenbar unrichtigen Annahme aus, die Änderung solle den Einbau von Behindertenwohnungen ermöglichen, hinsichtlich der privaten Interessen - soweit sie den Garagenbau betreffen - wurde die nicht ausreichende Entscheidungsgrundlage der Behörde durch das anscheinend mangelhafte Verfahren der Planauflage verursacht.

Insgesamt scheint der Bebauungsplan daher - abgesehen von seinem anscheinend gesetzwidrigen Zustandekommen - nicht nur (einfach) gesetzwidrig zu sein, sondern im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. dazu das bereits genannte Erkenntnis vom 30. September 1989, V18/89, ebenfalls betreffend einen Bebauungsplan nach dem Oberösterreichischen Raumordnungsgesetz) auch gegen das - für die Erlassung von Verordnungen ebenfalls geltende - Gleichheitsgebot zu verstoßen."

b) Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Linz hält diesen Bedenken in seiner Äußerung zunächst entgegen, der Normunterworfene müsse den materiellen Inhalt der Planung durch Einsicht in den aufgelegten Bebauungsplan entnehmen und daran anknüpfend seine Interessen geltend machen. Selbst wenn in der Verständigung die "wesentlichen" Änderungen verbal umschrieben worden seien, so habe der Normunterworfene deshalb nicht zwingend ausschließen können, daß auch andere Änderungen des Bebauungsplanes geplant seien. Dementsprechend seien in der hier erfolgten Verständigung die von der Planänderung Betroffenen ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen worden, in den aufgelegten Plan Einsicht zu nehmen. Die Rechtsposition der von der Planänderung Betroffenen sei daher sogar besser als in einem Auflageverfahren nach §21 Abs4 OÖ ROG, bei dem der Normunterworfene lediglich durch Anschlag an der Amtstafel bzw. aus dem Amtlichen Mitteilungsblatt der Gemeinde von der Auflage eines Bebauungsplanes Kenntnis erlangen könne.

Während die Oberösterreichische Landesregierung in ihrer Äußerung meint, die Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, die Änderung des Bebauungsplanes sei allein zu dem Zweck vorgenommen worden, um die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung für eine zunächst rechtswidrige Bauführung rechtlich zu ermöglichen, sei "nicht von der Hand zu weisen", versucht der Gemeinderat der Landeshauptstadt Linz, die Planänderung mit dem ihm - wie er meint - nach §23 Abs2 OÖ ROG zustehenden "Ermessen" zu rechtfertigen. Selbst eine lediglich im Privatinteresse vorgenommene Änderung finde im Wortlaut des §23 Abs2 OÖ ROG ihre Deckung, soferne nur durch diese Planänderung öffentliche Interessen und Interessen Dritter nicht verletzt würden. Sodann legt der Gemeinderat ausführlich dar, weshalb aus seiner Sicht das von der Beschwerdeführerin im Anlaßverfahren geltend gemachte Interesse an einer ungehinderten Nutzung ihres Grundstückes bei objektiver Betrachtungsweise durch die hier in Prüfung gezogene Planänderung nicht verletzt und somit die Änderung durch §23 Abs2 OÖ ROG gedeckt sei.

c) Es ist Sinn und Zweck jeder Auflage eines Planentwurfs und einer Verständigung über das Stattfinden einer solchen Auflage, den Planunterworfenen eine ausreichende Möglichkeit zur Erhebung allfälliger Einwendungen einzuräumen, mit anderen Worten: ihr Mitspracherecht zu gewährleisten (vgl. zum OÖ ROG VfGH 23.6.1990 V150/90). Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Judikatur ausgesprochen, daß (kleinere) Verstöße gegen Formvorschriften bei Auflage von Entwürfen und der Verständigung darüber dann (noch) keine Gesetzwidrigkeit des Zustandekommens des Planes bewirken, wenn dadurch die Unterrichtung der betroffenen Gemeindebürger über die beabsichtigten Planungsmaßnahmen nicht beeinträchtigt wird (s. hiezu VfSlg. 8463/1978 S. 497, 9150/1981 S. 528f. und 10208/1984

S. 383). Wenn aber eine derartige Beeinträchtigung eintritt, dann hat der ihr zugrundeliegende Verstoß gegen Verfahrensvorschriften die Gesetzwidrigkeit der Verordnung zur Folge.

Ein solcher Fall ist hier aus den bereits im Einleitungsbeschluß dargelegten Erwägungen, die im Verordnungsprüfungsverfahren nicht entkräftet werden konnten, gegeben:

Die von der beabsichtigten Planänderung Betroffenen wurden zum Zweck ihrer Anhörung gemäß §23 Abs3 OÖ ROG in der Form verständigt, daß als "wesentliche" Änderung die Erhöhung der Geschoßanzahl angeführt war. In dieser Verständigung fand sich kein Hinweis darauf, daß auch eine Änderung des Bebauungsplanes insofern vorgesehen war, daß neben dem Gebäude anstelle einer Tiefgarage eine oberirdische Großgarage bis an die Grundgrenze errichtet werden kann. Zwar besteht keine Verpflichtung, in die Verständigung überhaupt einen näheren Hinweis über den Inhalt des aufgelegten Planentwurfes aufzunehmen. Wenn die Behörde aber den Anhörungsberechtigten eine zusätzliche Information bieten will, dann darf diese Information nicht infolge grober Unvollständigkeit zu einer Fehlinformation werden. Die Meinung des Gemeinderates, daß selbst dann, wenn in der Verständigung die wesentlichen Änderungen verbal umschrieben worden seien, der Normunterworfene nicht zwingend ausschließen konnte, daß auch andere Änderungen geplant sind, trifft allenfalls auf andere geringfügige Änderungen zu. Daß aber die Absicht, anstelle einer Tiefgarage eine oberirdische Großgarage vorzusehen, eine wesentliche Änderung darstellt, bedarf keiner näheren Begründung (derartiges wird vom Gemeinderat auch nicht behauptet). Die Art der hier von der Behörde gewählten Verständigung führt aber zwangsläufig zu dem Umkehrschluß, daß keine weitere wesentliche Änderung des Planes vorgesehen ist. Hiedurch wurden die Normunterworfenen - worauf der Verfassungsgerichtshof bereits im Einleitungsbeschluß hingewiesen hat - dahingehend fehlgeleitet, daß andere - wesentliche - Änderungen nicht geplant sind, sodaß es für sie nicht erforderlich war, sich zur Behörde zu bemühen, um durch Einsichtnahme in den Planentwurf festzustellen, ob durch andere Änderungen möglicherweise ihre Interessen verletzt sein könnten.

Durch die im vorliegenden Fall gewählte Vorgangsweise hat die Behörde also bewirkt, daß die von der Planänderung Betroffenen in ihrem nach §23 Abs3 OÖ ROG zustehenden Anhörungsrecht beeinträchtigt wurden.

Bebauungspläne können nach §23 Abs2 OÖ ROG geändert werden, wenn öffentliche Interessen, die nach den Bestimmungen dieses Gesetzes bei der Aufstellung von solchen Plänen zu berücksichtigen sind, und Interessen Dritter nicht verletzt werden. Das mangelhafte Anhörungsverfahren nach dem dritten Absatz des §23 OÖ ROG bewirkte auch, daß dem Verordnungsgeber keine hinreichende Entscheidungsgrundlage darüber zur Verfügung stand, ob durch die geplante Änderung nach dem zweiten Absatz dieses Paragraphen zu berücksichtigende Interessen Dritter - entgegen der Auffassung des Gemeinderates keineswegs nur jene der Beschwerdeführerin im Anlaßverfahren - verletzt sein könnten.

3. Der in Prüfung gezogene Bebauungsplan ist daher wegen Verstoßes gegen §23 OÖ ROG aufzuheben, ohne daß auf andere, im Einleitungsbeschluß vom 1. Oktober 1990 aufgeworfene Bedenken einzugehen war.

Der Ausspruch über die Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Bebauungsplan, Bekanntgabe der Bebauungsvorschriften, Verordnungserlassung, Anhörungsrecht (bei Verordnungserlassung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:V472.1990

Dokumentnummer

JFT_10089373_90V00472_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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