TE Vwgh Erkenntnis 1994/1/25 93/04/0172

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Veröffentlicht am 25.01.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §59 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs3;
AVG §66 Abs4;
AVG §8;
GewO 1973 §356 Abs3;
GewO 1973 §74 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissärin Mag. Paliege, über die Beschwerde der A-GmbH & Co OHG in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 23. Juni 1993, Zl. 307.429/3-III/A/2a/93, betreffend Verfahren gemäß § 81 GewO 1973 (mitbeteiligte Parteien: DP, MP und XP, vertreten durch IP und AP in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 27. Oktober 1988 erteilte der Landeshauptmann von Salzburg der Beschwerdeführerin gemäß § 81 i.V.m. § 77 Abs. 1 und § 334 Z. 1 GewO 1973 sowie § 27 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung der Betriebsanlage einer Tankstelle an einem näher beschriebenen Standort in Salzburg durch Neuerrichtung eines Tankstellenkiosks, eines Prüfraumes für Kraftfahrzeuge und eines Flugdaches, der Neuerrichtung von vier Doppelzapfsäulen und Neuverlegung von drei unterirdischen, getrennten Doppelwandbehältern mit einem Gesamtinhalt von je 30.000 l nach Maßgabe der eingereichten und einen Bestandteil des Bescheides bildenden Pläne und Beschreibungen und näher bezeichneter Teile einer Niederschrift unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen.

Gegen diesen Bescheid wurde eine von IP und AP unterzeichnete Berufung erhoben, deren Einleitungssatz wie folgt lautet:

"Als Vertreter der Anrainer an der H-Str., Gst. 1089/1, 1089/4 und 1087/50, KG S, - sowie aller Personen, die sich mit ihrer Unterschrift gegen den Neubau einer Tankstelle im erweiterten Wohngebiet ausgesprochen haben - erheben wir gegen oben genannten Bescheid Berufung."

Mit Bescheid vom 6. September 1990 entschied der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten über diese Berufung dahingehend, daß er "über die Berufung der IP und des AP" den erstbehördlichen Bescheid im Grunde des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 behob und das Ansuchen der Beschwerdeführerin "im gleichen Grunde" abwies.

Gegen diesen Bescheid erhob die auch nunmehr beschwerdeführende Partei Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, welcher mit Erkenntnis vom 28. Jänner 1993 den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 6. September 1990 mit der wesentlichen Begründung aufhob, der Bundesminister habe dadurch die Rechtslage verkannt, daß er nicht über die Berufung der als Rechtsmittelwerber bezeichneten, sondern ausdrücklich über die Berufung "des AP und der IP" entschied.

Der als Ersatzbescheid ergangene Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 23. Juni 1993 hat eingangs folgenden Wortlaut:

"Über die Berufung der IP und des AP "als Vertreter der Anrainer an der H-Straße, Grundstücknummer 1089/1, 1089/4 und 1087/50, KG S sowie aller Personen, die sich mit ihrer Unterschrift gegen den Neubau einer Tankstelle im erweiterten Wohngebiet ausgesprochen haben", gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 27.10.1988, Zl. 5/02-14767/20-1980, erläßt der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 iVm.

§ 63 Abs. 2 VwGG 1985 den nachstehenden Bescheid:

SPRUCH:

Der angefochtene Bescheid wird im Grunde des § 77 Abs. 1,

2. Satz GewO 1973 behoben.

Das Ansuchen der A-Gesellschaft mbH & Co OHG vom 4.9.1986 um gewerbebehördliche Genehmigung einer Betriebsanlage (Tankstelle) auf den Grundstücken Nr. 1089/1, 1089/4 und 1087/50, je KG S, wird im gleichen Grunde abgewiesen."

In der Begründung dieses Bescheides führte der Bundesminister zur Frage der Zurechnung der Berufung lediglich folgendes aus:

"Da ... war spruchgemäß zu entscheiden, zumal die dem Bundesminister vorliegende Berufung jedenfalls in Ansehung der minderjährigen Anrainer: DP, MP und XP - als deren gesetzliche Vertreter AP und IP auch ohne ausdrückliche Vollmacht anzusehen sind (§ 10 Abs. 4 AVG) - zulässig ist, da dem Vorbringen der IP in der mündlichen Verhandlung vom 14. Jänner 1987 jedenfalls eine taugliche Einwendung gemäß § 356 Abs. 3 iVm. § 74 Abs. 2 Ziffer 1 Gewerbeordnung in Ansehung von "Kindern" zu entnehmen ist."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Die mitbeteiligten Parteien beteiligten sich mit einem als "(Gegenschrift)Erklärung" bezeichneten Schriftsatz am Verfahren.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht auf Betriebsanlagengenehmigung nach den §§ 74 ff GewO 1973 durch unrichtige Anwendung des § 77 Abs. 1 zweiter Satz leg. cit. und in dem Recht darauf verletzt, daß nicht entgegen den Bestimmungen der §§ 63 ff AVG eine den Anforderungen an eine Berufung nicht gerecht werdende (schriftliche) Äußerung als Berufung behandelt und zum Anlaß für eine unzulässige Aufhebung eines rechtskräftigen Bescheides genommen werde. In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin im wesentlichen vor, für eine Berufung von Personen, die durch IP und AP vertreten werden, fehle es an der erforderlichen Bestimmtheit der Identität der Berufungswerber. Das komme im angefochtenen Bescheid selbst deutlich zum Ausdruck. In seiner Begründung heiße es zwar, daß vier dort namentlich genannte Personen IP ermächtigt hätten, auch für sie Einwendungen zu erheben und alle weiteren Verfahrensschritte zu setzen. Weiters führe die belangte Behörde drei Minderjährige an und meine offensichtlich, daß es sich dabei um Kinder von IP und AP handle, sodaß diese deren gesetzlicher Vertreter seien. Das sei offensichtlich nur eine Vermutung, eine dahingehende Behauptung (Vorbringen) sei nicht aktenkundig. Was andererseits die vorzitierte Bevollmächtigung betreffe, sei sie zumindest in bezug darauf unklar, ob sie auch für ein Berufungsverfahren gelten solle. Vor allem aber hätten IP und AP selbst keine ausreichend bestimmte Erklärung darüber abgegeben, in wessen Namen sie die Berufung erheben wollten. Die von ihnen verwendete Formulierung sei von jener allgemeinen Art, die schon ihrer Natur nach Ausnahmen immer als möglich offen lasse. Außerdem komme hinzu, daß eine Vertretungsberechtigung für einen solchen umfassenden Personenkreis nach dem Aktenstand für IP und AP eindeutig nicht gegeben gewesen sei. Damit bleibe evident die Möglichkeit offen, daß jede einzelne auch der im angefochtenen Bescheid namentlich genannten Personen nicht mehr durch IP und AP vertreten werden wollten und von diesen auch nicht mehr vertreten waren, und es stehe umgekehrt für keine einzige Person fest, daß sie als Berufungswerber anzusehen sei. Das gelte insbesondere auch bezüglich der Kinder. IP und AP hätten keinerlei Erklärung abgegeben, aus der hervorgehe, daß sie die Berufung für eigene Kinder erheben wollten. Mit größter Wahrscheinlichkeit hätten sie gerade an diese bei ihrer Formulierung in der Berufung nicht gedacht und als Angehörige der Gruppe von Personen, die gegen die Tankstelle unterschrieben hätten, kämen die Kinder ohnedies nicht in Frage. Die in diesem Sinne gegebene Situation der völligen Unklarheit werde dadurch auffällig bestätigt, daß sich die belangte Behörde selbst nicht getraut habe, im Spruch des Bescheides einen einzigen Berufungswerber namentlich zu nennen, sondern sich auf eine Zitierung der allgemeinen Umschreibung beschränkt habe, welche IP und AP in ihrer "Berufung" verwendet hätten. Gerade dieser Formulierung sei aber die dargestellte Unklarheit und Unbestimmtheit zu eigen.

Die Beschwerde erweist sich schon auf Grund folgender Erwägungen als berechtigt:

Nach § 356 Abs. 3 GewO 1973 haben nur Nachbarn, die rechtzeitig Einwendungen erhoben haben, Parteistellung. Der Bewerber um eine Betriebsanlagengenehmigung hat einen Rechtsanspruch darauf, daß nur solche Nachbarn, die die Voraussetzungen des § 356 Abs. 3 GewO 1973 erfüllen, am Genehmigungsverfahren als Parteien teilnehmen. Es ist demnach die Behörde verpflichtet, die Parteistellung jedes einzelnen Nachbarn zu überprüfen. Unterläßt sie dies, belastet sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 21. Mai 1985, Zl. 83/04/0282 dargelegt hat, erfordert diese Rechtslage, daß die Berufungsbehörde in ihrem Berufungsbescheid die von ihr als Berufungswerber angesehenen Personen, deren Berufungen mit diesem Bescheid erledigt werden, namentlich bezeichnet.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie schon aus diesem Grund den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Aus Gründen der Verfahrensökonomie weist der Verwaltungsgerichtshof noch auf folgendes hin:

Gemäß § 359 Abs. 4 GewO 1973 steht das Recht der Berufung gegen einen im Betriebsanlagenverfahren ergehenden Bescheid über den Genehmigungsantrag außer den Genehmigungswerbern den Nachbarn zu, die Parteien sind.

Auch wenn das allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz darüber keine ausdrückliche Anordnung enthält, so ergibt sich schon aus der in § 66 Abs. 4 AVG begründeten Notwendigkeit, die Zulässigkeit der Berufung zu prüfen, das Erfordernis, daß eine Berufung neben den im § 63 Abs. 3 AVG geforderten Angaben auch die Bezeichnung der die Berufung erhebenden Personen in einer Art zu enthalten hat, daß (unter Beachtung der im

hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Dezember 1984, Slg. N.F. Nr. 11.625/A, dargelegten Grundsätze) die Individualität des oder der Berufungswerber bestimmbar ist.

Die Beschwerdeführerin ist im Recht, wenn sie eine solche Eindeutigkeit der Bezeichnung der Berufung erhebenden Personen in den Worten "Anrainer an der H-Straße ..." in der in Rede stehenden Berufungsschrift nicht zu erkennen vermag. Anders verhält es sich allerdings mit dem mit den Worten "aller Personen, die sich mit ihrer Unterschrift gegen den Neubau einer Tankstelle im erweiterten Wohngebiet ausgesprochen haben", umschriebenen Personenkreis. Denn in den Akten des Verwaltungsverfahrens findet sich ein Schriftsatz vom 12. Dezember 1986, in dem "die Interessengemeinschaft F-Straße 30, vertreten durch Hr. AP", Einwendungen gegen das in Rede stehende Projekt erhob. Diesem Schriftsatz angeschlossen ist eine Liste von insgesamt 57 Personen, welche mit ihrer Unterschrift beurkundeten, sich diesen Einwendungen anzuschließen.

Im Lichte dieser Aktenlage kann die diesbezügliche Erklärung in der Berufung vom 17. November 1988 dahin verstanden werden, daß die Berufung von den dort genannten Personen (vertreten durch AP und IP) erhoben werde.

Ausgehend von dieser Sachlage wäre es allerdings Sache der belangten Behörde gewesen, einerseits im Lichte des § 10 AVG die Vertretungsbefugnis des AP und der IP für jede einzelne dieser 57 Personen zu prüfen, und sodann andererseits hinsichtlich jeder von IP und AP tatsächlich vertretenen Personen unter dem Gesichtspunkt des § 359 Abs. 4 GewO 1973 deren Berechtigung zur Erhebung der Berufung zu prüfen.

Schließlich erweist sich die erst in der Begründung des angefochtenen Bescheides vorgenommene namentliche Bezeichnung dreier Berufungswerber in diesem Zusammenhang als mehrfach verfehlt, weil einerseits die bloße Eigenschaft eines Anrainers, wie oben dargelegt, nicht die Zugehörigkeit zum Kreis der Berufungswerber eröffnet, andererseits diese drei Personen nicht zum Kreis jener Personen zählen, die in der erwähnten Unterschriftenliste aufscheinen, und schließlich nach der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Aktenlage von diesen Personen auch keine für die Begründung ihrer Parteistellung im Verwaltungsverfahren ausreichenden Einwendungen erhoben wurden, sodaß ihnen schon aus diesem Grund das Recht zur Erhebung der Berufung fehlt.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Inhalt des Spruches Anführung des Bescheidadressaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1993040172.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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