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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ASVG §502 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde des W in X, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 8. August 1991, Zl. IVb-69-24/1991, betreffend Herabsetzung der Beitragsgrundlage in der Selbstversicherung gemäß § 76 ASVG (mitbeteiligte Partei: Vorarlberger Gebietskrankenkasse, 6850 Dornbirn, Jahngasse 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist seit 6. Dezember 1989 bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gemäß § 16 ASVG in der Krankenversicherung selbstversichert. Die zu Beginn der Selbstversicherung zugelassene Herabsetzung der Beitragsgrundlage hatte entsprechend den Bestimmungen des § 76 Abs. 2 ASVG bis zum Ende des Kalenderjahres 1990 Gültigkeit.
Mit Eingabe vom 15. Oktober 1990 stellte der Beschwerdeführer einen neuerlichen Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage für die Zeit ab 1. Jänner 1991. Dabei führte er folgende Einkünfte an:
Unselbständige Erwerbstätigkeit: S 3.300,-- brutto
Selbständige Erwerbstätigkeit: ca. S 2.000.000,-- jährlich, die alle in den Schuldendienst fließen.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse ersuchte daraufhin den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 22. November 1990, den letzten Einkommensteuerbescheid vorzulegen. Dieses Ersuchen beantwortete der Beschwerdeführer mit dem Hinweis, daß der letzte rechtskräftige Einkommensteuerbescheid das Jahr 1982 betreffe und sein erwähntes Einkommen darin noch unberücksichtigt sei.
Mit Schreiben vom 15. Jänner 1991 wurde der Beschwerdeführer ersucht, bei der Kasse vorzusprechen, und Einkommensteuerbescheide (auch noch nicht rechtskräftige) sowie Tilgungsnachweis etc. mitzubringen. Der Beschwerdeführer übersandte der Kasse daraufhin am 24. Jänner 1991 ein sogenanntes Pachtverteilungsschreiben der G GmbH in L, ging aber im übrigen nicht auf das erwähnte Schreiben der Kasse ein. Dem Pachtverteilungsschreiben ist zu entnehmen, daß die G GmbH im Jahre 1989 einen Betrag in der Höhe von S 2.143.081,-- an den Beschwerdeführer ausbezahlt hat und dieser gesamte Betrag offensichtlich auf verschiedene Gläubiger aufgeteilt werden soll.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat in weiterer Folge am 22. Februar 1991 und 11. März 1991 den Beschwerdeführer neuerlich aufgefordert, jeweils binnen 14 Tagen die Einkommensteuerbescheide der letzten Jahre, den Gesellschaftsvertrag und die neueste Bilanz der Firma X-GmbH sowie Schuldtilgungsnachweise vorzulegen.
Der Beschwerdeführer ersuchte mit Schreiben vom 18. März 1991 um angemessene Fristverlängerung für die Beibringung unbedingt nötiger Dokumente mit der Begründung, daß er rechtlich nicht vertreten sei.
Mit Bescheid vom 30. April 1991 lehnte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Antrag des Beschwerdeführers auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage gemäß § 76 Abs. 2 ASVG mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 1991 ab. In der Begründung wurde nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensgeschehens im wesentlichen die Auffassung vertreten, seinem Antrag auf Herabsetzung habe deshalb nicht stattgegeben werden können, da er die von ihm geforderten Nachweise nicht vorgelegt habe.
Der Beschwerdeführer erhob Einspruch, wobei er im wesentlichen vorbrachte, der von ihm geforderte Einkommensteuerbescheid sei nicht genau bezeichnet worden. Ferner verwies er darauf, nicht Gesellschafter der Firma X-GmbH zu sein, weshalb er die verlangten Dokumente (Gesellschaftsvertrag und neueste Bilanz) nicht beibringen könne. Zum Beweis der Zwangsläufigkeit seiner Schuldtilgung könne er nur das bereits vorgelegte Pachtverteilungsschreiben erbringen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben und der Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse nach Maßgabe der folgenden Berichtigung des Spruches bestätigt:
"Gemäß § 76 Abs. 2 und 6 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 189/1955, i.d.g.F., i.V.m.
§ 2 Abs. 1 der Richtlinien zur Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage zur Selbstversicherung in der Krankenversicherung, verlautbart in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit 1990/Nr. 2, Seite 110" und § 13 Abs. 3 AVG 1950 wird der Antrag des Herrn W, auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage
zurückgewiesen."
In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde auf § 76 Abs. 6 ASVG, wonach der Hauptverband mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Soziales verbindliche Richtlinien zu erlassen habe, wie die Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage zu beurteilen seien. In diesen Richtlinien seien auch Form und Inhalt der Anträge auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage zu regeln. Solche Richtlinien seien in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" Nr. 2/1990, Seite 110, verlautbart. Nach § 2 Abs. 1 dieser Richtlinien sei jeder Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage zu begründen. Die geltend gemachten Umstände seien durch entsprechende Nachweise zu belegen.
Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer bezüglich seiner Einkünfte nur ein Pachtverteilungsschreiben der Großbäckerei GmbH vorgelegt. Andere für die Beurteilung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse notwendige Unterlagen, wie sie im Schreiben der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 11. März 1991 aufgezählt worden seien, habe er offensichtlich nicht beibringen wollen. Mit den der Kasse zur Verfügung gestandenen Unterlagen sei es nicht möglich gewesen, sich ein umfassendes Bild von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers zu machen. Auch nach einer Fristverlängerung habe er die erbetenen Dokumente nicht vorgelegt. Er sei somit offensichtlich nicht bereit gewesen, in einem angemessenen Zeitraum an der Ermittlung des Sachverhaltes mitzuwirken. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen, wobei darauf hingewiesen werde, daß es sich bei dieser Entscheidung um einen verfahrensrechtlichen Bescheid handle. Sollte der Beschwerdeführer die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse geforderten Unterlagen beibringen und an der Sachverhaltermittlung mitwirken, so wäre über seinen Antrag in der Sache zu entscheiden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichshof.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde hat den Antrag des Beschwerdeführers auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage gemäß § 76 Abs. 2 ASVG unter ausdrücklicher Zitierung des § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen. Sie hat ihre Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht bereit gewesen sei, die erforderlichen Nachweise über seine wirtschaftlichen Verhältnisse vorzulegen. Sie hat in ihrer Begründung auch darauf hingewiesen, daß es sich bei dieser Entscheidung um einen VERFAHRENSRECHTLICHEN Bescheid handelt. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit ausschließlich die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 13 Abs. 3 AVG vorlagen.
§ 13 Abs. 3 AVG in der (gemäß Art. IV Abs. 2 der Novelle BGBl. Nr. 357/1990), im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 199/1982 bestimmt:
"(3) Formgebrechen schriftlicher Anbringen wie auch das Fehlen einer Unterschrift berechtigen an sich die Behörde noch nicht zur Zurückweisung; sie hat deren Behebung von Amts wegen zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung der Formgebrechen oder die schriftliche Bestätigung telegraphischer, fernschriftlicher, mündlicher oder telephonischer Anbringen mit der Wirkung auftragen, daß das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden Frist nicht mehr berücksichtigt wird. Wird das Formgebrechen rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht."
Was unter einem "Formgebrechen schriftlicher Eingaben" zu verstehen ist, muß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichshofes der in Betracht kommenden Verwaltungsvorschrift entnommen werden (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 12. April 1983, Zl. 82/11/0284).
Als eine solche Verwaltungsvorschrift kommen im Beschwerdefall die gemäß § 76 Abs. 6 ASVG vom Hauptverband mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Soziales erlassenen Richtlinien zur Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage zur Selbstversicherung in der Krankenversicherung in Betracht. Diese Richtlinien sind seit der 48. Novelle zum ASVG (vgl. zur Rechtslage vor dieser Novelle z.B. das Erkenntnis vom 17. Dezember 1991, Zl. 89/08/0214) in der Fachzeitschrift "Soziale Sicherheit" zu verlautbaren. Eine solche Verlautbarung erfolgte erstmals in der genannten Zeitschrift Nr. 2/1990, Seite 110.
Der die Antragstellung regelnde § 2 der Richtlinien lautet auszugsweise:
"§ 2. (1) Jeder Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage ist zu begründen. Die geltend gemachten Umstände sind durch entsprechende Nachweise zu belegen.
(2) Der Versicherungsträger hat unter Berücksichtigung der Angaben im Antrag und der vorgelegten Nachweise zu prüfen, ob und wie weit dem Antrag stattzugeben ist.
(3) ... "
Zu den nach § 13 AVG zu behebenden Formgebrechen zählen etwa das Fehlen einer Vollmacht, das Fehlen von Belegen eines Antrages ganz allgemein, wie Pläne, Grundbuchsauszug usw., wenn die Partei aufgrund des Gesetzes erkennen konnte, welche Unterlagen erforderlich sind (vgl. z.B. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Anmerkung 10 zu § 13). Die Nichtvorlage der vom Beschwerdeführer durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse geforderten Unterlagen kann daher nicht als "Formgebrechen" nach § 13 AVG angesehen werden, zumal § 2 Abs. 1 der Richtlinien die bloße Vorlage "entsprechender" Nachweise verlangt. Im übrigen kann dann nicht mehr von einem Formgebrechen gesprochen werden, wenn zwischen der Partei und der Behörde strittig ist, ob eine Beilage als zur positiven Sacherledigung notwendig vorzulegen ist oder nicht (vgl. das Erkenntnis vom 27. Juni 1990, Zl. 90/18/0009). Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer schon in seinem Schreiben vom 24. Jänner 1991 seine Unwilligkeit kundgetan, noch nicht rechtskräftige Steuerbescheide vorzulegen.
Wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden, was insbesondere bei jenen in der Person des Antragstellers gelegenen Voraussetzungen der Fall sein wird, deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann, ist es Aufgabe der Behörde, der Partei mitzuteilen, welche personenbezogenen Daten zur Begründung des geltendgemachten Anspruches noch benötigt werden, und sie aufzufordern, für ihre Angaben Beweise anzubieten. Die nicht gehörige Mitwirkung unterliegt dann der freien Beweiswürdigung (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 29. Juni 1982, Zl. 81/11/0057). Von einem nichtbehobenen Formgebrechen im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG kann dann allerdings keine Rede sein.
Aufgrund dieser Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Formgebrechen behebbareVerbesserungsauftrag AusschlußVerwaltungsrecht allgemein Rechtsquellen VwRallg1Formgebrechen behebbare BeilagenFormgebrechen nicht behebbare NICHTBEHEBBARE materielle MängelSachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtBegründungspflicht Manuduktionspflicht MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1991080131.X00Im RIS seit
31.07.2001Zuletzt aktualisiert am
24.01.2011