TE Vwgh Erkenntnis 1994/1/27 92/01/1117

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Veröffentlicht am 27.01.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der X in M, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. November 1992, Zl. 4.336.284/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Ghanas, die am 26. Jänner 1992 illegal in das Bundesgebiet eingereist ist, stellte am 27. Jänner 1992 den Antrag, ihr Asyl zu gewähren. Bei ihrer am 7. April 1992 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung gab sie an, sie würde in ihrer Heimat gesucht, sei dort jedoch keiner religiösen Verfolgung ausgesetzt gewesen. Sie sei in ihrer Heimat aktives Mitglied der dort verbotenen "GDM-Partei" gewesen, in welcher ihr Ehemann einer der Führer gewesen sei. Es handle sich bei dieser Organisation um eine nicht zugelassene Partei. Ihr Vorhaben sei es gewesen, das Demokratiebewußtsein der Bevölkerung zu steigern. Die Beschwerdeführerin habe ihre Tätigkeit zusammen mit ihrem Ehegatten in der Region Ovoasi und Aschanti ausgeübt. An jedem ersten Tag eines Monats hätten sich Mitglieder dieser Partei in ihrem Hause versammelt, um diverse Besprechungen durchzuführen. Am 1. Jänner 1992 hätte ebenfalls eine solche Besprechung stattgefunden, an der 8 Männer und 2 Frauen teilgenommen hätten. Gegen Mitternacht hätten sie plötzlich einen Schuß gehört und als der Ehemann der Beschwerdeführerin daraufhin aus dem Fenster gesehen habe, habe er den anderen mitgeteilt, daß das Haus von Soldaten und von der Geheimpolizei (PDC) umstellt worden sei. Diese Männer seien mit Gewehren und Holzknüppeln bewaffnet gewesen. Die Soldaten und Polizisten seien in der Folge gewaltsam in das Haus eingedrungen und hätten die Anwesenden verhaftet und geschlagen. Weiters hätten sie sämtliche im Haus befindliche Schriftstücke der Partei beschlagnahmt. In der Folge seien die Versammelten in das Militärgefangenenhaus in Accra Gonje eingeliefert worden, wo Frauen und Männer getrennt und separat eingesperrt worden seien. In der Nacht zum 10. Jänner 1992 sei ein Soldat in Begleitung eines Onkels ihres Ehegatten A. G., ein Major bei der UNO, in die Zelle gekommen, wobei der Soldat die Beschwerdeführerin aufgefordert habe, mitzukommen. Im Büro sei sie dann von dem besagten Onkel aufgefordert worden, in ein vor dem Gefängnis stehendes Auto einzusteigen und zu warten, welcher Anweisung sie auch gefolgt sei. Kurz darauf sei ihr Mann, welchen sie seit der Verhaftung nicht mehr gesehen gehabt habe, ebenfalls in das Auto gestiegen, woraufhin der Onkel ihnen mitgeteilt habe, daß sie sofort das Land verlassen müßten, weil sie ansonsten getötet würden. Wie der Onkel ihres Ehemannes die Freilassung erwirkt habe, könne sie nicht angeben, vermutlich aufgrund seiner guten Beziehungen. Er habe sich auch bereit erklärt, die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann nach Nigeria zu fahren, was in der Folge auch so geschehen sei.

Mit Bescheid vom 17. April 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

In ihrer dagegen gerichteten Berufung bemängelte die Beschwerdeführerin zunächst die unzureichende Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, der in keiner Weise auf die persönliche Situation und das individuelle Vorbringen der Beschwerdeführerin eingehe, sondern lediglich in einem mit den persönlichen Daten der Beschwerdeführerin ausgefüllten Formular bestehe. In der Sache selbst führte die Beschwerdeführerin ergänzend zu ihrer Erstvernehmung aus, sie sei in ihrem Heimatland sehr wohl politisch engagiert und zusammen mit ihrem Mann aktiv am Widerstand gegen das herrschende Militärregime beteiligt gewesen. Infolge ihrer illegalen politischen Tätigkeit sei sie von der Polizei festgenommen worden und habe nur dank der Intervention des Onkels ihres Ehemannes befreit werden können. Darüberhinaus ersuchte die Beschwerdeführerin, daß im anhängigen Verfahren der notwendige Konnex zum Verfahren ihres Ehegatten hergestellt werde, da sie zusammen im politischen Untergrund tätig gewesen und auch zusammen verhaftet worden seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges, der in Anwendung gebrachten Gesetzesbestimmungen und der hiezu ergangenen Judikatur führte die belangte Behörde begründend insbesondere aus, ihrer Erfahrung nach komme dem Vorbringen von Asylwerbern, die auf den für Schlepperorganisationen typischen Wegen und mit dem in diesen Fällen zu beobachtenden formularmäßigen Vorbringen nach Österreich eingereist seien, eher geringere Glaubwürdigkeit zu. Bei der Beurteilung, ob es sich um ein standardisiertes Vorbringen handle, sei Vorsicht geboten. Ein hervorstehendes Charakteristikum sei jedoch, daß das Vorbringen, wenngleich es bis zu einem gewissen Grad auch auf eigenen Erfahrungen des Asylwerbers beruhe, regelmäßig so abstrakt und allgemein gehalten sei, daß es sich einer Überprüfbarkeit an der Wirklichkeit entziehe. Dieses Charakteristikum zeige sich auch am Vorbringen der Beschwerdeführerin sehr deutlich, erschöpfe sich dieses doch in vagen Behauptungen. So wolle die Beschwerdeführerin pünktlich ein Jahr nach der Neujahrsansprache Rawlings, in welcher dieser die Erarbeitung einer neuen Verfassung sowie künftige demokratische Wahlen (wozu naturgemäß Parteien benötigt würden) für eine oppositionelle Bewegung im Untergrund gearbeitet haben, was zu ihrer behaupteten Anhaltung geführt habe; dies sei aber unglaubwürdig. Das aktive Eintreten für eine Organisation sei nur dann glaubhaft, wenn der Asylsuchende hinreichende Kenntnisse über Zielsetzung, örtliche Struktur und Arbeitsweisen nachweise und seinen Beitritt, seine Motive und Tätigkeiten für diese Organisation im einzelnen in zeitlich und örtlich nachvollziehbarem Zusammenhang darlege und diese Angaben durch seine persönliche Glaubwürdigkeit untermauere. Dazu sei die Beschwerdeführerin jedoch nicht in der Lage gewesen. Hinzu träten die unwahrscheinlichen Angaben über ihre "Befreiung durch den Onkel ihres Mannes", die den Schluß nahelegten, die Beschwerdeführerin habe sich entweder gar nicht in einem Gefängnis befunden oder habe dieses auf legalem Wege verlassen. Im anderen Fall hätte A. G. im Falle der illegalen Befreiung selbst mit schwersten Konsequenzen für die eigene Person zu rechnen gehabt. Weiters wäre auch die auf legalem Wege vollzogene Ausreise nach Nigeria wohl kaum in dieser Form möglich gewesen. Es sei auch unglaubwürdig, daß die Beschwerdeführerin, aufgrund welcher Umstände auch immer, staatlicher Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und trotzdem einen Reisepaß ausgestellt bekommen und mit diesem unbehelligt das Land hätte verlassen können. Als glaubwürdig könnten Fluchtgründe im allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsache im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstelle, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringe. Die Behörde könne einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben mache, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erschienen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluß aufdrängten, daß sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprächen. Allfällige Verständigungsschwierigkeiten seien im Hinblick auf die Beiziehung des Dolmetschers sowie der Übersetzungshilfe durch ihren Ehemann im Rahmen ihrer Einvernahme auszuschließen. Der durch die Beschwerdeführerin "monierte" Konnex zum Verfahren ihres Ehemannes sei jedenfalls gegeben; soferne sie sich jedoch auf eine allfällige Verfolgung ihres Ehegatten bezöge, wäre auszuführen, daß dessen Angaben, die den ihren nahezu wörtlich gleichlauteten, die gleiche Würdigung zukäme, sofern dessen Asylantrag nicht bereits aus formalen Gründen abzuweisen gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst rügt die Beschwerdeführerin, die von der belangten Behörde angestellten Erwägungen seien nicht stichhaltig. Der ihr gemachte Vorwurf, keine konkreten Angaben hinsichtlich jener politischen Gruppe, für die sie tätig gewesen sei, machen zu können, sei unberechtigt, da sie bei ihrer Ersteinvernahme über die politischen Aktivitäten ganz konkrete Angaben in zeitlicher und örtlicher Hinsicht gemacht und auch den Inhalt der politischen Ziele ihrer Bewegung dargelegt habe, darüber hinausgehende Fragen jedoch gar nicht an sie gerichtet worden seien. Sie sei daher auch nicht in der Lage gewesen, weitere nähere Angaben über ihre politische Betätigung und innenpolitische Gruppierung zu machen.

Wie die belangte Behörde selbst zutreffend aus Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert, ist bei der Beurteilung, ob es sich um "standardisiertes Vorbringen" eines Asylwerbers handelt, Vorsicht geboten. Ganz davon abgesehen, daß der Umstand der Zuhilfenahme von Schlepperorganisationen auf die Glaubwürdigkeit nur im Zusammenhang mit anderen, hinzutretenden Faktoren Einfluß haben kann, ist die Behauptung der "Widersprüchlichkeit" oder "Steigerung des Vorbringens" oder der "vagen Behauptungen" aus dem Akteninhalt nicht verifizierbar. Um einem Asylwerber vorwerfen zu können, er sei nicht in der Lage gewesen, nähere Angaben über ein bestimmtes Beweisthema zu machen, muß zunächst einmal festgestellt werden, daß solche näheren Angaben als möglicherweise entscheidungswesentliche Kriterien überhaupt erfragt worden sind. Die Anwendung europäischer Denkweisen und rechtsstaatlicher Prinzipien europäischer Prägung auf Sachverhalte betreffend jene Staaten, die erst - wenn überhaupt - auf dem Wege der Demokratisierung sind, wie dies die belangte Behörde bei ihrer Beweiswürdigung vorgenommen hat, erscheint zumindest fraglich und erfordert eine gewissenhafte Erforschung der tatsächlichen Umstände. Die nicht nach europäischem Muster agierenden politischen Gruppierungen oder Parteien afrikanischer Staaten können nicht ohne Hinzutreten näherer Umstände als Argument der Beweiswürdigung dienen. Worin eine "Steigerung des Vorbringens" der Berufungswerberin gelegen sein soll, ist dem angefochtenen Bescheid im übrigen nicht zu entnehmen. Der belangten Behörde ist zwar zuzustimmen, daß die Art der von der Beschwerdeführerin geschilderten Flucht aus der Inhaftierung abenteuerlich erscheinen mag, doch kann diese ohne zumindest versuchte Verifizierung nicht von vornherein als unglaubwürdig abgetan werden. Auch aus der legalen Ausreise aus dem Heimatland der Beschwerdeführerin - angeblich in Begleitung eines Majors der UNO-Truppen - kann nicht ohne weiteres auf das Nichtvorliegen asylrechtlich relevanter Verfolgung geschlossen werden (vgl. u.a. auch hg. Erkenntnisse vom 18. September 1991, Zl. 91/01/0037 und vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0410). Der Beschwerdeführerin ist - von der Warte der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Schlüssigkeitsprüfung (vgl. z. B. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0706) - daher darin beizupflichten, daß die Erwägungen der belangten Behörde bei der Würdigung ihres Vorbringens als unglaubwürdig nicht zu überzeugen vermögen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1992011117.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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