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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §11 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des A in K, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. September 1992, Zl. 4.331.084/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 20. Jänner 1992 ab und sprach aus, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, der am 7. Oktober 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, stellte noch am selben Tag bei der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See einen Antrag auf Asylgewährung. Anläßlich dessen wurde er unter Beiziehung eines Dolmetschers einvernommen und gab als Fluchtgrund an, daß er Kurde sei und bei der kurdischen Untergrundorganisation mitgearbeitet habe. Er sei einmal von der Polizei für eine Woche verhaftet und mißhandelt worden. Der Grund dafür sei seine Sympathie zur PKK gewesen. Da seine rechtmäßige Verurteilung noch ausständig gewesen sei, sei er geflüchtet. Am 9. Jänner 1992 wurde der Beschwerdeführer von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich unter Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache neuerlich befragt, doch sind in dem dabei verwendeten Formblatt lediglich die Punkt 1 bis 4 bezüglich der Personalien, des Reisedokumentes und der Einreise des Beschwerdeführers ausgefüllt. Im Akt befindet sich jedoch ein Aktenvermerk der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich, aus dem hervorgeht, daß der Beschwerdeführer die Dolmetscherin beschimpft - was er jedoch später geleugnet habe - und sich jedenfalls geweigert habe, seine Aussage zu machen, wobei er auch einen anderen Dolmetscher abgelehnt und seinen eigenen Dolmetscher für die kurdische Sprache sowie einen Zeugen der Menschenrechtskommission verlangt habe. Da diese Wünsche nicht hätten erfüllt werden können, habe man die Vernehmung abgebrochen.
In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, in dem ausgeführt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht glaubhaft dargetan habe, daß er Verfolgung erlitten oder zu befürchten habe, erwähnte der Beschwerdeführer diesen Vorfall nicht, sondern gab an, im Sommer 1991 zweimal verhaftet und insgesamt 10 Tage im Gefängnis gewesen zu sein. Er sei nur gegen Kaution freigelassen worden und habe sich einmal wöchentlich bei der Polizei melden müssen. Bereits im März 1990 sei er, als er für die kurdische Arbeiterpartei mündlich Propaganda gemacht habe, von der Polizei beanstandet und auf den Kopf geschlagen worden. Im Mai 1990 sei ihm aus demselben Grund in den rechten Oberschenkel geschossen worden. Da im September 1991 seine Verhaftung wieder unmittelbar bevorgestanden sei und er wegen seiner politischen Tätigkeit eine Freiheitsstrafe von ca. 8 Jahren befürchtet habe, sei der Beschwerdeführer aus der Türkei geflohen.
Im angefochtenen Bescheid führte die belangte Behörde aus, daß sie für eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 keinen Anlaß gesehen habe, da das Ermittlungsverfahren erster Instanz nicht offenkundig mangelhaft gewesen sei. Zwar habe die erste Instanz überhaupt keinen entscheidungsrelevanten Sachverhalt für bescheinigt halten können, von einer Mangelhaftigkeit könne jedoch nicht gesprochen werden, da dem Beschwerdeführer Gelegenheit geboten worden sei, unter Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache sämtliche Gründe vorzutragen, deretwegen er Verfolgung in seinem Heimatstaat befürchte. Der Beschwerdeführer sei ja gemäß der Aussage des beigezogenen Dolmetschers des Türkischen durchaus mächtig und habe sich offenbar aus ideologischen Gründen geweigert, die Vernehmung auf Türkisch fortzusetzen. Schon aus § 19 Asylgesetz 1991 seien die strengen Anforderungen ersichtlich, die dieses Gesetz an die Mitwirkungspflicht einer Partei im Asylverfahren stelle. Dem Gesetz sei somit die Wertung zu entnehmen, daß im gegenständlichen Fall der Behörde weitere Schritte nicht zumutbar gewesen seien.
Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer und gibt an, daß seine Muttersprache kurdisch sei, türkisch verstehe er nur schlecht. Bei seiner Einvernahme am 9. Jänner 1992 sei es zu unüberwindlichen sprachlichen Kommunikationsschwierigkeiten gekommen.
Nicht nur im Asylgesetz 1991, sondern auch im § 11 Abs. 1 des bis dahin geltenden Asylgesetzes (BGBl. Nr. 55/1955), welches von der Behörde erster Instanz bei der gegenständlichen Vernehmung nach anzuwenden war, findet sich die Vorschrift, daß der Vernehmung eines der deutschen Sprache nicht kundigen Asylwerbers eine der fremden Sprache mächtige Person als Dolmetsch zuzuziehen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet dies, daß die Vernehmung zwar nicht in der Muttersprache des Asylwerbers erfolgen, daß der Asylwerber jedoch in der verwendeten Sprache in ausreichendem Maße der Verständigung fähig sein muß (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. September 1991, Zl. 91/01/0047, und vom 23. September 1992, Zl. 92/01/0102). Die belangte Behörde vermeint, daß der Beschwerdeführer des Türkischen ausreichend mächtig gewesen sei. Soweit sie sich diesbezüglich auf eine Aussage des beigezogenen Türkisch-Dolmetschers beruft, ist die Rüge des Beschwerdeführers, daß es sich dabei um eine Aktenwidrigkeit handle, berechtigt. Aus dem Akteninhalt ist nämlich nicht ersichtlich, daß der Dolmetscher irgendeine Aussage zu den Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers gemacht hätte, und entbehrt auch die Feststellung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich offensichtlich aus ideologischen Gründen geweigert, seine Aussage zu machen, jeglicher Sachverhaltsgrundlage. Daß es bei Beantwortung der Fragen zu den Punkten 1 bis 4 zu "keinerlei Verständigungsschwierigkeiten gekommen" sei, erweist sich ebenso als nicht zwingendes Argument. Die zitierten Punkte umfassen nämlich weitestgehend nur Personaldaten, die im wesentlichen auf Grund des vorgelegten Reisedokumentes aufgenommen werden konnten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. März 1993, Zl. 92/01/0833). Da demnach nicht festgestellt wurde, in welchen Sprachen es dem Beschwerdeführer möglich gewesen wäre, sich in ausreichendem Maße zu verständigen, sich darüber hinaus nicht einmal die Muttersprache des Beschwerdeführers aus dem Akteninhalt ableiten läßt, konnte die belangte Behörde nicht von vornherein von einer den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Vernehmung ausgehen. Dabei geht auch ihr Hinweis auf § 19 Asylgesetz 1991 ins Leere, da dieses Gesetz im Zeitpunkt der gegenständlichen Vernehmung des Beschwerdeführers noch nicht anzuwenden war, sondern gemäß seinem § 27 erst mit 1. Juni 1992 in Kraft trat.
Die belangte Behörde hätte daher eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991, welches Gesetz sie, wie sie richtig erkannt hat, gemäß § 25 Abs. 2 leg.cit. dann bereits anzuwenden hatte, zumindest in die Richtung anzuordnen gehabt, als festgestellt hätte werden müssen, in welcher Sprache eine Vernehmung des Beschwerdeführers den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen hätte. Ohne dies durchgeführt zu haben, durfte die belangte Behörde die Weigerung, an der Vernehmung mitzuwirken, sowie die Ablehnung des Dolmetschers seitens des Beschwerdeführers nicht von vornherein als Verletzung seiner "Mitwirkungsobliegenheit" werten.
Der Beschwerdeführer hat in seinem am 7. Oktober 1991 bei der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See mündlich gestellten Asylantrag Gründe für seine Flucht angeführt, wobei sich allerdings aus der darüber aufgenommenen Niederschrift nicht ergibt, in welcher Sprache der Beschwerdeführer vernommen wurde. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß, wie die belangte Behörde ausführt, "überhaupt kein entscheidungsrelevanter Sachverhalt bescheinigt sei". Dieses Vorbringen des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde einer Beweiswürdigung unterziehen müssen.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 lit. b und c VwGG aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, wobei das Mehrbegehren abzuweisen war, da die Beschwerde nur in zweifacher Ausfertigung und nur mit jeweils S 120,-- Bundesstempelmarken frankiert einzubringen war.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1992010880.X00Im RIS seit
20.11.2000