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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des E in F, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. November 1992, Zl. 4.300.078/3-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, der seinen bisherigen ständigen Aufenthalt im Libanon gehabt hat, reiste am 2. August 1990 in das Bundesgebiet ein und stellte am 3. August 1990 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Bei seiner am 3. September 1990 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung gab er an, er sei assyrischer Abstammung und gehöre daher dieser Minderheit im Libanon an. Er sei im Libanon geboren und habe auch dort immer gelebt, Mitglieder der assyrischen Minderheit würden jedoch vom libanesischen Staat nicht als Staatsbürger anerkannt. Die Behörden würden zwar die ethnische Minderheit anerkennen, jedoch würden sämtliche Dokumente von der Kirche und nicht vom Staat ausgestellt. Bis zum Jahr 1975 habe es keine besonderen Probleme für die assyrische Minderheit gegeben. Bei Beginn des Bürgerkrieges im Libanon hätten jedoch die Schwierigkeiten und Verfolgungen begonnen. Angehörige dieser Minderheit seien beim Wechsel in die einzelnen Zonen beschimpft und schikaniert worden. Im Jahr 1980 sei der Beschwerdeführer von Mitgliedern der Falange Partei festgenommen worden, obwohl es sich dabei auch um eine christliche Partei handle. Er sei in einem Haus eingesperrt und gefoltert und geschlagen worden. Er habe jedoch nichts sagen können, weil er kein aktives Mitglied bei irgendeiner Gruppierung gewesen sei. Es sei jedoch jeder, der nicht zu ihnen (gemeint zur Falange-Partei) gehört habe, gefoltert worden. Er habe bei diesen Verhören Verletzungen durch Schnitte mit dem Messer an Beinen und Händen und an der Augenbraue davongetragen, deren Narben man auch heute noch sehe. Es seien auch Schlagringe verwendet worden. Der Beschwerdeführer sei noch am selben Tag wieder freigelassen worden, doch die Schikanen hätten sich fortgesetzt. Im Jahre 1983 sei er beschuldigt worden, einige Kämpfer bei sich versteckt zu haben. Nach einer Hausdurchsuchung hätten die Angehörigen der Falange-Partei jedoch wieder sein Haus verlassen. Von 1983 bis zum Jahre 1990 habe er keine besonderen Schwierigkeiten gehabt. Im Juli 1990, am Höhepunkt des Bürgerkrieges, habe eine Großrazzia der libanesischen Armee in Beirut stattgefunden. Er sei in einem Cafe festgenommen worden, weil man ihm vorgeworfen habe, illegale Geldspiele zu machen. Dies habe aber nur als Vorwand für die Festnahme gegolten. In Wirklichkeit hätten Angehörige der assyrischen Minderheit für das libanesische Regime Straßen reinigen sollen. Sie hätten einen Tag Zwangsarbeit unter Waffenaufsicht leisten müssen, dann habe das Kirchenoberhaupt sie frei bekommen, welches ihnen auch nahegelegt habe, das Land zu verlassen, um solchen Schikanen in Zukunft zu entgehen. Von der Familie und den Verwandten des Beschwerdeführers seien alle nach Deutschland oder Schweden geflohen, weil die assyrische Minderheit keine Zukunftsaussichten mehr im Libanon habe. Auch ihm sei keine andere Wahl geblieben, als zu flüchten. Man habe im Libanon nicht mehr leben können. Auch wenn jetzt der Bürgerkrieg zu Ende gehe, bekomme er keine Rechte und keine Staatsbürgerschaft im Libanon.
Mit Bescheid vom 8. September 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.
In der fristgerecht dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer zunächst geltend, der arabische Übersetzer habe nicht alles, was er anläßlich seiner Ersteinvernahme gesagt habe, geschrieben, da er einen anderen Dialekt als der Übersetzer gesprochen habe. Aus diesem Grunde ergänzte er seine diesbezügliche Einvernahme dahingehend, er sei Mitglied der Al-Ahar-Partei gewesen und von der Al-Kataib-Partei, einer Partei, die gegen Christen sei, ständig verhört worden. Auch durch die Al-Moslems-Partei sei er 25 Jahre lang beobachtet und verhört worden. Jeden Tag sei man in sein Haus gekommen und habe gewollt, daß er dieser Partei beitrete. Er habe sich immer geweigert, darum hätten seine Frau und seine Kinder viel Leid erdulden müssen. Außerdem sei er dreimal eingesperrt worden, man habe ihn vor anderen Leuten beleidigt und auch gewollt, daß sein Sohn dieser Partei beitrete und hätte auch nach ihm gefragt. Sein Sohn sei allerdings in einem Kloster gewesen, da er Mönch habe werden wollen. Abgesehen von seiner Verfolgung und der Anhaltung im Gefängnis sei er geschlagen, mit einem Messer geschnitten und am ganzen Körper verbrannt worden. Im Jahr 1977 seien seine Hände, seine Beine und sein ganzer Körper verwundet worden, nur weil sein Sohn nicht in die Partei habe eintreten wollen. Daraufhin habe er sich entschlossen, sein Haus zu verlassen und in eine Kirche zu ziehen. Dort sei er von 1983 bis 1990 verblieben. Er habe seine Frau und seine zwei Kinder allein im Hause zurückgelassen, da er von der Geheimpolizei der Al Kataib-Partei gesucht worden sei. Hätte man ihn gefunden, wäre er sofort getötet worden. Nach seiner Ankunft in Traiskirchen sei er wegen seiner Probleme im Libanon über einen Monat im Krankenhaus gelegen. Hiezu schloß der Beschwerdeführer einen ärztlichen Überweisungsbrief Dris. N vom 14. September 1992 an, demzufolge der Beschwerdeführer an einer chronischen Atemwegserkrankung nach Lungen-Tbc leidet.
Mit Bescheid vom 17. November 1992 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Nach Darstellung des bisherigen Verfahrensganges und der Rechtslage führte die belangte Behörde begründend aus, die vom Beschwerdeführer geschilderten, in der Zeit von 1975 bis 1983 erfolgten Verletzungen, Inhaftierung und Hausdurchsuchungen stünden in keinem unmittelbaren aktuellen Bezug zu den im § 1 Asylgesetz 1991 angeführten Verfolgungsgründen. Nach eigenen Angaben des Beschwerdeführers sei er in der Zeit von 1983 bis 1990 keiner wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt gewesen. In dieser Zeit sei er auch weder von einer der Bürgerkriegsparteien kontaktiert worden, noch habe er sich politisch betätigt. Bezüglich seiner Verfolgung im Jahre 1990 habe er in beiden Instanzen im Asylverfahren jedoch unterschiedliche und widersprüchliche Versionen vorgebracht. Bei der erstinstanzlichen Befragung habe er noch angegeben, er sei im Juli 1990 bei einer Großrazzia der libanesischen Armee in einem Cafe festgenommen und zur Strafarbeit gezwungen worden; in seiner Berufung hingegen habe er widersprüchlich hiezu angegeben, er sei von der Geheimpolizei der Al Kataib-Partei gesucht worden. Da dieses Vorbringen in wesentlichen Punkten widersprüchlich sei, könne ihm die notwendige Glaubwürdigkeit nicht zugebilligt werden. Weiters könne aufgrund der politischen Lage im Libanon nicht mehr von einer akuten Verfolgungsgefahr im Falle einer etwaigen Rückkehr gesprochen werden. Aufgrund der Friedensbemühungen von Präsident Hrawi basierend auf dem Taif-Abkommen vom Oktober 1989, welches u.a. auch die Auflösung bestehender Milizen und die Integration der verschiedenen Miliz-Chefs in die gegenwärtige Regierung vorsehe, sei ein Befriedungsprozeß in Gang gekommen. Am 22. Mai 1991 sei in einem Freundschafts- und Kooperationsvertrag zwischen Syrien und dem Libanon eine legale Machtposition Syriens geschaffen worden, worin erstmals von Syrien die Unabhängigkeit und Souveränität des Libanon anerkannt werde. Ende August 1991 sei überdies ein Amnestiegesetz in Kraft getreten, nach dem Verbrechen, die während des 16-jährigen Bürgerkrieges begangen worden seien, ohne Strafdrohung blieben. Ebenso sei am 1. September 1991 in Shtura ein Sicherheits- und Verteidigungs- Abkommen zwischen dem Libanon und Syrien unterzeichnet worden, nach dessen Bestimmungen Kriterien für die Zusammenarbeit der Sicherheitsapparate beider Länder unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessen aufgestellt worden seien. Auch die im August und September durchgeführten demokratischen Wahlen zeigten eine deutliche Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit im Libanon auf. Nach den der belangten Behörde vorliegenden landesspezifischen Informationen sei der Beschwerdeführer mit seiner religiösen und ethnischen Zugehörigkeit nicht Angehöriger einer Minderheit im Libanon, die durch das herrschende Regime besonderen Repressalien unterworfen sei. Letztlich sei auch der Hinweis auf die Verständigungsschwierigkeiten bei der erstinstanzlichen Befragung mit dem Dolmetsch nicht schlüssig, da der Beschwerdeführer unter Punkt 20 des Protokolls ausdrücklich angegeben habe, daß er die Übersetzung des Dolmetschers verstanden und dem nichts hinzuzufügen habe. Dies sei auch mit seiner Unterschrift bestätigt worden. Hätte er daher wirklich Zweifel an der Richtigkeit des Protokolls gehabt, so hätte er dies im Protokoll vermerken lassen können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zunächst ist dem Beschwerdeführer zuzugeben, daß die Erwägungen der belangten Behörde zur Änderung der allgemeinen politischen Lage im Libanon, soweit sie zur Beurteilung des Vorliegens einer asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr herangezogen wurden, mit dem Beschwerdeführer im Sinn des § 37 AVG hätten erörtert werden müssen, um diesem Gelegenheit zur Stellungnahme hiezu zu geben. Behauptet der Beschwerdeführer nunmehr in der Beschwerde unter diesem Gesichtspunkt, die Änderung der politischen Lage in seinem Heimatland habe konkret keinerlei Auswirkungen auf sein Schicksal gehabt, ist dies daher trotz des Neuerungsverbotes des § 41 VwGG beachtlich. Es liegt daher ein von der belangten Behörde zu vertretender Verfahrensfehler vor. Voraussetzung für eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b oder c VwGG ist jedoch, daß der aufgezeigte Verfahrensfehler für die Entscheidung wesentlich war. Dies ist im vorliegenden Fall aus den nachstehenden Erwägungen zu verneinen:
Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 hat der Bundesminister seiner Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen. Ausgehend von dieser Grundlage - die Behauptung der unrichtigen und unvollständigen Übersetzung wird in der Beschwerde nicht aufrechterhalten - ergibt sich aber, daß der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden kann, wenn sie das Vorliegen einer gegen den Beschwerdeführer selbst gerichteten aktuellen Verfolgungsgefahr im Sinne des Asylgesetzes 1991 als nicht glaubhaft gemacht gewertet hat. Da im Beschwerdefall hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen von Fluchtgründen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 AsylG 1991 im Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Behörde erster Instanz nicht enthalten waren, war die belangte Behörde auch nicht verhalten, gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen. § 16 Abs. 1 AsylG 1991 verpflichtet die Behörde nämlich nur im Falle hinreichend konkreter Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG 1991 in Frage kommt, in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung dieser Angaben zu dringen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 iVm mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet jedoch keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Es kann daher aus dieser Gesetzesstelle keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet hat, zu ermitteln oder einen Asylwerber derart anzuleiten, wie er seine Angaben konkret gestalten sollte, damit sein Antrag von Erfolg gekrönt werde. Zutreffend hat daher die belangte Behörde die in der Berufungsschrift enthaltenen Angaben unberücksichtigt gelassen, von einer "Aktenwidrigkeit" kann nicht die Rede sein, abgesehen davon, daß die Behauptung des Beschwerdeführers in seiner Berufung, er sei Mitglied der Al-Ahar-Partei in unlösbarem Widerspruch zu seinen Angaben anläßlich seiner Erstbefragung steht, wonach er "kein aktives Mitglied bei irgendeiner Gruppierung" gewesen sei.
Da die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Inhaftierung und Folter in keinem zeitlichen Zusammenhang zu seiner 1990 erfolgten Ausreise mehr stand, er selbst bekundete, in der Zeit von 1983 bis 1990 keiner wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein, und auch die kurzfristige Inhaftierung und Einteilung zur Zwangsarbeit für einen Tag im Juni 1990 nicht als derart gravierend angesehen werden kann, daß sie eine den weiteren Verbleib im Heimatland unerträglich machende Intensität erreicht hätte, können Umstände, aus denen der Beschwerdeführer begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG 1991 (übereinstimmend mit Artikel I Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) ableiten hätte können, nicht als glaubhaft gemacht angenommen werden, war die Beschwerde als im Ergebnis unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Pauschalierungsverordnung, BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Parteiengehör Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein (siehe auch Angenommener Sachverhalt) Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1992011125.X00Im RIS seit
20.11.2000