TE Vwgh Erkenntnis 1994/1/27 92/01/1099

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Veröffentlicht am 27.01.1994
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Stöberl und Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inners vom 15. September 1992, Zl. 4.309.571/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Abstammung, reiste am 15. Jänner 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am 16. Jänner 1991 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren.

Bei seiner am 18. März 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien erfolgten niederschriftlichen Befragung gab er zu seinen Fluchtgründen an, er sei Alevite und deshalb in der Türkei geächtet und als Mensch zweiter Klasse behandelt worden. Die Sunniten lehnten die Aleviten ab, weil diese nicht fasteten und nicht in die Moschee gingen, die sunnitischen Türken hätten die Aleviten gezwungen, in die Moschee zu gehen, wenn sie es nicht getan hätten, seien die Türken auf sie losgegangen und hätten sie tätlich angegriffen. Bis 1983 sei der Beschwerdeführer in der Provinz Bingöl wohnhaft gewesen, dann sei er von Bingöl nach Bursa gezogen, weil das Leben in Ostanatolien für Kurden unerträglich gewesen sei. Als Kurde sei er benachteiligt worden, er habe keine regelmäßige Arbeit bekommen. Er sei geächtet gewesen; es sei gesagt worden, Aleviten seien Kommunisten, man müsse sich vor ihnen in Acht nehmen. Er sei von Bingöl nach Bursa gezogen, weil in Bingöl Freiheitskämpfer viele Menschen u.a. auch Großgrundbesitzer ermordet hätten. Es habe viele Anschläge und Morde gegeben; die Soldaten seien daher gegen die kurdische Bevölkerung sehr brutal vorgegangen. Er habe auch Schläge bekommen, hingegen sei er nicht gefoltert worden, Aleviten seien verdächtigt worden, die Freiheitskämpfer zu unterstützen und sie mit Lebensmitteln zu versorgen. Über ausdrückliche Befragung wiederholte der Beschwerdeführer, er sei nicht gefoltert worden. Er fühle sich nicht in der Türkei verfolgt, er fühle sich nur unterdrückt, "weil uns in Bingöl die Soldaten schlugen und in Bursa uns die Sunniten angriffen".

Anläßlich der im Rahmen einer fremdenpolizeilichen Amtshandlung am 28. März 1991 erfolgten Befragung erklärte der Beschwerdeführer, in seinem Heimatland weder strafrechtlich noch politisch verfolgt zu werden.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. April 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Artikels 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 nicht erfülle.

In seiner dagegen fristgerecht erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer über die Erstangaben hinausgehend vor, die Zustände in seinem Heimatland seien auch aus objektiver Sicht aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen für ihn unerträglich geworden. Das kurdische Volk werde bekannterweise unterdrückt, verfolgt und verhaftet. Er selbst sei des öfteren wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet und gefoltert worden. Die Verfolgung sei soweit gegangen, daß seine Existenz und sein Leben bedroht gewesen seien. Personen, die sich in derselben Lage befunden hätten wie der Beschwerdeführer, seien verhaftet und manche sogar ermordet worden.

Mit Bescheid vom 15. September 1992 wies die belangte Behörde die Berufung ab und sprach aus, daß dem Beschwerdeführer kein Asyl gewährt werde. Nach Darstellung des Verfahrensganges und der Rechtslage führte die belangte Behörde begründend aus, dem Vorbringen des Beschwerdeführers könne keine individuell konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung entnommen werden. Die allgemein gehaltenen Ausführungen hinsichtlich der Benachteiligung von Kurden und Aleviten, die im übrigen sämtliche diesem Personenkreis angehörige Personen beträfe, könnten nicht die Gewährung des Asylrechtes rechtfertigen. Die belangte Behörde erachtete im übrigen das gesteigerte Vorbringen in den Berufungsausführungen, der Beschwerdeführer sei verhaftet und gefoltert worden, sein Leben sei bedroht, als unglaubwürdig. Im übrigen habe er lediglich angeführt, in Bingöl von der Polizei geschlagen worden zu sein. Von dort sei der Beschwerdeführer aber nach seinen eigenen Angaben bereits im Jahre 1983 nach Bursa verzogen. Für die Zeit des Aufenthaltes in Bursa hätte der Beschwerdeführer hingegen keine derartigen Maßnahmen behauptet. Die Umstände, die schon längere Zeit vor der Ausreise zurücklägen, seien jedoch nicht beachtlich, die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung müsse vielmehr bis zur Ausreise andauern, was der Beschwerdeführer jedoch nicht behauptet habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst erachtet der Beschwerdeführer die Ansicht der belangten Behörde, er sei keiner individuell konkret gegen seine Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen, seine allgemein gehaltenen Ausführungen hinsichtlich der Benachteiligung von Kurden oder Aleviten träfen sämtliche Angehörende dieses Personenkreises, als aktenwidrig, weil er in seiner Berufung darauf hingewiesen habe, daß er wegen seiner politischen Aktivitäten verhaftet und gefoltert worden sei. Der Beschwerdeführer übersieht dabei, daß die belangte Behörde - die im Beschwerdefall das Asylgesetz 1991 anzuwenden hatte, da das Verfahren bei ihr am 1. Juni 1992 bereits anhängig war (§ 25 Abs. 2 leg. cit.) - das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen hatte (§ 20 Abs. 1 AsylG 1991). Nach der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift vor der Behörde erster Instanz am 18. März 1991 wurde er jedoch nicht nur zur Wahrheit ermahnt, sondern auch umfassend und eindringlich zu seinen Fluchtgründen befragt. Dabei bestätigte er zweimal, darunter über neuerliches ausdrückliches Befragen, er sei nicht gefoltert worden, er fühle sich auch nicht verfolgt, sondern nur unterdrückt. Anläßlich der weiteren Einvernahme vom 28. März 1991 gab er gegenüber der Fremdenpolizei darüberhinaus neuerlich an, weder aus politischen noch aus strafrechtlichen Gründen verfolgt worden zu sein. Auf Grund des in der Berufung enthaltenen Vorbringens kann eine offenkundige Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 - die übrigen in dieser Gesetzesstelle angeführten Gründe für die Anordnung einer Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens kommen bei dem gegebenen Sachverhalt ohnedies nicht in Betracht - nicht angenommen werden. Bestand aber für die belangte Behörde keine Veranlassung, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, so war sie gemäß Abs. 1 dieses Paragraphen verpflichtet, ohne im Sinne des § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 gehalten zu sein, weitere Befragungen oder sonstige ergänzende Ermittlungen durchzuführen, ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen. Ausgehend von dieser Grundlage ergibt sich, daß die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers zu Recht als nicht geeignet gewertet hat, eine konkrete, gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete aktuelle Verfolgung oder begründete Furcht vor einer solchen glaubhaft zu machen, fehlt doch zu den vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfällen bis 1983 (in Bingöl) der erforderliche zeitliche Konnex zu seiner Flucht (vgl. u.a. hg. Erkenntnis vom 25. November 1992, Zl. 92/01/0972, vom 21. April 1993, Zl. 92/01/0966), während er im Verwaltungsverfahren für die Zeit zwischen 1983 und 1991 (in Bursa) nur Auseinandersetzungen mit andersgläubigen Gruppierungen (Sunniten) geltend machte, deren Vorgehen aber nicht ohne weiteres dem Heimatstaat des Beschwerdeführers zurechenbar ist. Auch wenn die von der belangten Behörde angestellten Erwägungen zur Beweiswürdigung bereits in anderen vergleichbaren Fällen herangezogen wurden, kann von einer "Beweislastregel" nicht gesprochen werden.

Die sich insgesamt als unbegründet erweisende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1994:1992011099.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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