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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §59 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Novak, Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde des J in R, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 18. Oktober 1993, Zl. 1086/18-III/4/93, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der am 19. Juli 1974 geborene Beschwerdeführer war im Schuljahr 1992/93 Schüler des 3. Jahrganges der Höheren landwirtschaftlichen Bundeslehranstalt in F. Sein Jahreszeugnis enthielt die Note "Nicht genügend" in den Gegenständen Englisch sowie Mathematik und angewandte Mathematik. Der Beschwerdeführer unterzog sich der Wiederholungsprüfung in beiden Gegenständen; die Wiederholungsprüfung im Gegenstand Mathematik und angewandte Mathematik wurde mit "Nicht genügend" beurteilt. Mit Entscheidung vom 15. September 1993 sprach die Klassenkonferenz des 3a-Jahrganges der genannten Schule aus, daß der Beschwerdeführer gemäß § 25 Abs. 1 und 2 Schulunterrichtsgesetz, BGBl. Nr. 472/1986 in der geltenden Fassung (SchUG), zum Aufsteigen in den vierten Jahrgang nicht berechtigt sei. Dem Beschwerdeführer wurde am 16. September 1993 eine Ausfertigung der Entscheidung ausgefolgt, die folgende Rechtsmittelbelehrung enthielt: "Gegen diese Entscheidung ist die Berufung zulässig, welche innerhalb von fünf Tagen ab Zustellung dieser Entscheidung bei der Schule einzubringen ist."
Am 20. September 1993 gab der Beschwerdeführer einen die Berufung gegen die Entscheidung vom 15. September 1993 enthaltenden Schriftsatz vom 17. September 1993 an das Bundesministerium für Unterricht und Kunst zur Post. Der Schriftsatz langte dort am 21. September 1993 ein. Ebenfalls am 20. September 1993 hatte der Beschwerdeführer ein an die Schule gerichtetes Schreiben vom 18. September 1993 zur Post gegeben.
Dieses hatte folgenden Wortlaut:
"Hiermit teile ich Ihnen mit, daß ich gemäß § 71 Abs. 2 lit. b gegen die Entscheidung der Eröffnungskonferenz vom 15.9.1993, welche besagt, daß ich, J, zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe nicht berechtigt bin, Berufung beim zuständigen Ministerium für Unterricht und Kunst in Wien eingereicht habe.
Begründung:
Da ich der Meinung bin im Schuljahr 92/93 ungerecht behandelt worden zu sein, und mit dem Verlauf der mündlichen Teilprüfung vom 14.9.1993, nicht einverstanden bin."
Die Schule legte das zuletzt erwähnte Schreiben der belangten Behörde vor, wo es am 29. September 1993 einlangte.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung wegen Verspätung zurück. Nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe die Berufung entgegen § 71 Abs. 2 SchUG und auch entgegen der damit übereinstimmenden Rechtsmittelbelehrung auf der Entscheidung der Klassenkonferenz vom 15. September 1993 nicht bei der Schule, sondern direkt beim Bundesministerium für Unterricht und Kunst als der zuständigen Schulbehörde eingebracht. Die Berufungsfrist habe am 21. September 1993 geendet. Die Berufung sei bei der Rechtsabteilung bei der belangten Behörde erst am 23. September 1993 eingelangt, sodaß auch eine Weiterleitung an die für die Einbringung zuständige Stelle nicht mehr rechtzeitig hätte erfolgen können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt; sie vertritt u.a. den Standpunkt, das Schreiben des Beschwerdeführers an die Schule vom 18. September 1993 sei nicht als Berufung, sondern nach seinem klaren Wortlaut als Mitteilung, daß bei einer anderen Stelle Berufung erhoben worden sei, zu werten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 2 lit. b SchUG ist (u.a.) gegen die Entscheidung, daß der Schüler zum Aufsteigen nicht berechtigt ist, die Berufung an die Schulbehörde erster Instanz zulässig. Schulbehörde erster Instanz ist im Beschwerdefall der Bundesminister für Unterricht und Kunst (vgl. § 32 Abs. 1 des land- und forstwirtschaftlichen Bundesschulgesetzes).
Nach § 71 Abs. 2 zweiter Satz SchUG ist die Berufung schriftlich oder telegrafisch innerhalb von fünf Tagen bei der Schule ... einzubringen.
Im Beschwerdefall erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage, ob im vorliegenden Verfahren § 63 Abs. 5 AVG anzuwenden und die Berufung daher im Hinblick auf das Einlangen des Berufungsschriftsatzes bei der belangten Behörde innerhalb der Berufungsfrist rechtzeitig war, weil sich die Berufung schon aus einem anderen Grund als rechtzeitig erhoben erweist.
Bringt die Partei innerhalb offener Berufungsfrist mehrere Schriftsätze, mit denen Berufung gegen denselben Bescheid erhoben wird, ein, so sind diese als EINE Berufung anzusehen. Die Berufungsbehörde hat darüber - wenn nicht die Voraussetzungen für eine Trennung nach mehreren Punkten gemäß § 59 Abs. 1 AVG vorliegen - in einem zu entscheiden (vgl. die Erkenntnisse vom 19. November 1985, Slg. Nr. 11943/A, vom 29. September 1992, Zl. 92/08/0122, und vom 27. April 1993, Zl. 92/04/0284). Diese für den Bereich des AVG entwickelten Grundsätze wären im Beschwerdefall selbst dann zu beachten, wenn die nach § 71 Abs. 2 SchUG erhobene Berufung einer Berufung im Sinne der §§ 63 ff AVG nicht gleichzusetzen wäre (vgl. zu dieser Problematik Mayer, Ausgewählte verfahrensrechtliche Probleme des Schulunterrichtsgesetzes, RdS 1980, 9, 10 mwN in FN 15, 16; Hosch-Merkl, Bemerkungen zum Verfahren bei Vollziehung des Schulunterrichtsgesetzes, RdS 1979, 10 mwN in FN 6).
Handelte es sich somit bei dem an die Schule gerichteten, am 20. September 1993 an diese (und somit innerhalb der Frist des § 71 Abs. 2 erster Satz an die für die Einbringung der Berufung zuständige Stelle) zur Post gegebenen Schriftsatz um einen solchen, mit dem - im Sinne der oben dargelegten Grundsätze - "Berufung" (im vorliegenden Fall im Sinne des § 71 Abs. 2 SchUG) erhoben wird, so hatte dieser die Wirkung der Wahrung der Berufungsfrist. Die soeben erwähnte Voraussetzung ist - ungeachtet des von der belangten Behörde in der Gegenschrift hervorgehobenen Umstandes, daß die Erklärung in der Form der Mitteilung abgefaßt ist - zu bejahen, weil das Verfahrensziel des Beschwerdeführers für die belangte Behörde eindeutig zu erkennen war.
Es kann im Beschwerdefall somit unerörtert bleiben, ob eine Berufung nach § 71 Abs. 2 SchUG nur dann wirksam erhoben ist, wenn sie einen begründeten Berufungsantrag enthält (vgl. hiezu Zeizinger-Jisa, SchUG3, MSA 1989, § 71 Anm. 5; Jonak-Kövesi,
Das österreichische Schulrecht 4, § 71 SchUG, Anm. 9;
Hosch-Merkl, aaO; derselbe, Bemerkungen zur Berufung nach dem Schulunterrichtsgesetz, RdS 1981, 38, insbesondere FN 12, 14;
Mayer aaO, sowie Wagner, Verfahrensrechtliches zur Entscheidung nach § 71 Abs. 2 lit. b Schulunterrichtsgesetz, RdS 1987, 1 ff).
Die belangte Behörde hat somit in der Frage der rechzeitigen Erhebung einer wirksamen Berufung das Gesetz verkannt; der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, soweit es den Kostenersatz für Stempelgebühren betrifft, die auf eine Ausfertigung des Beschwerdeschriftsatzes und Beilagen entfallen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig waren.
Schlagworte
Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Spruch Diverses Trennbarkeit gesonderter AbspruchEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993100218.X00Im RIS seit
02.07.2001