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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Zurückweisung eines Gesetzesprüfungsantrages des Verwaltungsgerichtshofes mangels Präjudizialität; mangelnde Präjudizialität der materiellrechtlichen Vorschriften bei einer zurückweisenden Entscheidung wegen entschiedener SacheSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Der Verwaltungsgerichtshof stellt aus Anlaß des bei ihm zur Z90/18/0226 anhängigen Beschwerdeverfahrens aufgrund seines Beschlusses vom 14. Dezember 1990 gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag, "§3a Abs2 lita des Tiroler Krankenanstaltengesetzes, LGBl. Nr. 5/1958, in der Fassung LGBl. Nr. 3/1990, ferner §3 Abs2 lita des Krankenanstaltengesetzes, BGBl. Nr. 1/1957, in der Fassung BGBl. Nr. 565/1985, als verfassungswidrig aufzuheben".
Dem beim Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 22. Jänner 1990 wurde dem Antrag der MEDIKO-Dialysezentrum Gesellschaft m.b.H. auf Erteilung einer Errichtungsbewilligung für eine private Krankenanstalt in der Rechtsform eines selbständigen Ambulatoriums zur Behandlung nierenkranker Patienten mit der sogenannten künstlichen Niere mit dem Standort Reutte mit der Maßgabe Folge gegeben, daß der gerätemäßige Umfang des Dialysezentrums mit höchstens 8 Dialyseplätzen begrenzt werde und die Genehmigung nicht die Behandlung von Patienten mit ordentlichem Wohnsitz im Bundesland Tirol umfasse. Mit Bescheid derselben Behörde vom 4. April 1990 wurde der Beschwerdeführerin auch die Betriebsbewilligung für die genannte private Krankenanstalt unter bestimmten Auflagen erteilt. Mit Schriftsatz vom 16. August 1990 beantragte die Beschwerdeführerin die "Erweiterung" der Errichtungs- und der Betriebsbewilligung dahin, daß die Einschränkung betreffend die Behandlung von Patienten mit ordentlichem Wohnsitz in Tirol zu entfallen habe. Ohne Durchführung eines weiteren Verfahrens wies die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 29. August 1990 diesen Antrag gemäß §68 Abs1 AVG 1950 wegen entschiedener Sache zurück. Die Landesregierung vertrat die Ansicht, daß über die Frage der Behandlung von Patienten, die keinen ordentlichen Wohnsitz in Tirol hätten, im Bescheid vom 22. Jänner 1990 bindend und rechtskräftig abgesprochen worden sei. Bei unverändertem Sachverhalt könne der Antrag nicht erneuert werden, weil dem §68 Abs1 AVG 1950 entgegenstünde.
Gegen diesen Bescheid erhob die genannte Gesellschaft Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Der Verwaltungsgerichtshof ist unter Berufung auf sein Erkenntnis VwSlg. 11525 A/1984, wonach eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn die Beschwerde nur Verfahrensmängel geltend macht, der Ansicht, daß er bei der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde nicht allein vom §68 Abs1 AVG 1950 auszugehen hat, sondern daß "auch zu erwägen (ist), ob die seinerzeitige aus Bedarfsgründen erfolgte Einschränkung der Errichtungsbewilligung zu Recht - das heißt u.a. auch auf verfassungsmäßiger Grundlage - erfolgte". Sollte dies zu verneinen sein, so könnte dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 16. August 1990 nicht die Rechtskraft des seinerzeitigen Bescheides über die Errichtungsbewilligung entgegengehalten werden, weil dann die Sache - es handle sich bei der Beschwerdeführerin um eine private, erwerbswirtschaftlich geführte Einrichtung - ohne Rücksicht auf die Bedarfsprüfung zu entscheiden gewesen wäre. Aus diesen Gründen seien die angefochtenen Bestimmungen einerseits des Tiroler Krankenanstaltengesetzes, andererseits des Krankenanstaltengesetzes für die zu treffende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes präjudiziell.
2.1. Die Bundesregierung begehrt in ihrer Äußerung, den §3 Abs2 lita des Krankenanstaltengesetzes nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung stellt die Bundesregierung den Antrag, für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.
2.2. Die Tiroler Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie insbesondere die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen verneint. Dies begründet sie wie folgt:
"Bei dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 29. August 1990 handelt es sich um eine Zurückweisung nach §68 Abs1 AVG. Nach dieser Bestimmung sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, ... wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Diese Zurückweisung ist ein verfahrensrechtlicher Bescheid ...
Eine entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben ... Eine Änderung der Rechtslage ist jedenfalls nicht gegeben, weil die die Errichtungs- und die Betriebsbewilligung tragenden krankenanstaltenrechtlichen Bestimmungen keine Änderung erfahren haben. Von einer Identität der Sache kann nur gesprochen werden, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und andererseits das neue Parteibegehren sich im wesentlichen mit dem früheren deckt ... Eine Änderung der maßgeblichen tatsächlichen Umstände und damit des wesentlichen Sachverhaltes wäre im Beschwerdefall dann vorgelegen, wenn sich der Bedarf geändert hätte.
Nach §41 VwGG 1965 hat der Verwaltungsgerichtshof, soweit er nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde oder wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gegeben findet und nicht §38 Abs2 anwendbar ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte oder im Rahmen der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen.
Wie aus dem Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Dezember 1990 hervorgeht, wurde Beschwerde gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 29. August 1990 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhoben. In dem ... Erkenntnis VwSlg. 11525 A/1984 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, daß er an seinem Rechtsstandpunkt, daß dann, wenn eine Beschwerde nur Verfahrensmängel geltend macht, eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides ausscheide, nicht mehr festhalte. Wie bereits dargelegt, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes eine für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit im Rahmen der Beschwerdepunkte maßgebende inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auch dann aufzugreifen, wenn sie vom Beschwerdeführer weder ausdrücklich noch nach dem Inhalt der Beschwerde geltend gemacht wurde.
Gegenstand der in Rede stehenden Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist die Prüfung der Frage, ob die mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 29. August 1990 erfolgte Zurückweisung wegen entschiedener Sache zu Recht erfolgt ist oder nicht. Auch wenn in der Beschwerde gegen diesen Bescheid nur die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurde, mag es auf Grund der oben angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zulässig sein, daß dieser auch eine allfällige inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides aufgreift. Inhaltlich relevant kann aber nur die Frage sein, ob sich gegenüber dem früheren Bescheid die Rechtslage oder der wesentliche Sachverhalt geändert haben. Die Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im Beschluß vom 14. Dezember 1990 (S. 4), wonach bei der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde nicht allein vom §68 Abs1 AVG auszugehen, sondern auch zu erwägen ist, ob die seinerzeitige aus Bedarfsgründen erfolgte Einschränkung der Errichtungsbewilligung zu Recht erfolgt ist, scheint aber zu weit zu gehen. Dies würde im Ergebnis dazu führen, daß auch die seinerzeitige, nicht Gegenstand dieser Beschwerde bildende Entscheidung der Überprüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes unterliegen würde. Dies kann aber aus dem zitierten Erkenntnis VwSlg. 11525 A/1984 wohl nicht abgeleitet werden. Richtig ist, daß der Verwaltungsgerichtshof, geht man von seiner Prüfungsbefugnis im Sinne dieses Erkenntnisses aus, zu beurteilen hat, ob die Entscheidung der Behörde richtig war, daß sich der Bedarf nicht geändert hat und somit auch keine wesentliche Änderung des Sachverhaltes im entscheidungsrelevanten Punkt vorliegt. Dies bedeutet aber keine Anwendung des §3a Abs2 lita des Tiroler Krankenanstaltengesetzes und des §3 Abs2 lita des Krankenanstaltengesetzes. Vielmehr bildet die auf Grund dieser Bestimmungen getroffene Entscheidung nur den Prüfungsmaßstab. Würde man von einer Anwendung dieser Vorschriften im angefochtenen Bescheid ausgehen, dann wäre dem Verwaltungsgerichtshof tatsächlich auch die Befugnis zur Prüfung jener Entscheidung eingeräumt, auf Grund deren Rechtskraft die Zurückweisung durch den beschwerdegegenständlichen Bescheid erfolgt ist. Eine so weitgehende Überprüfungsbefugnis läßt aber §41 VwGG 1965 auch im Lichte des Erkenntnisses VwSlg. 11525 A/1984 nicht zu. Auszugehen ist daher allein vom §68 Abs1 AVG.
Im Falle der Anfechtung eines Gesetzes durch den VwGH oder OGH muß die Beurteilung dessen, was Voraussetzung für das vom Gericht zu fällende Erkenntnis bildet, der Beurteilung des erkennenden Gerichtes selbst überlassen bleiben, es wäre denn, daß die zur Überprüfung beantragte Bestimmung ganz offenbar und schon begrifflich überhaupt nicht als eine Voraussetzung des gerichtlichen Erkenntnisses in Betracht kommen kann. ... Eine solche Denkunmöglichkeit liegt nach Ansicht der Tiroler Landesregierung im gegenständlichen Fall vor."
Für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof entgegen ihrer Auffassung die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen bejaht, beantragt die Tiroler Landesregierung die Abweisung des vorliegenden Antrages des Verwaltungsgerichtshofes mit näherer Begründung.
II. Der Verfassungsgerichtshof findet den Einwand der Tiroler Landesregierung im Ergebnis als begründet. Er verweist auf seine ständige Rechtsprechung (siehe zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984, 11565/1987), daß er sich nicht für berechtigt hält, bei der Prüfung der Frage, ob die Vorschriften, deren Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit behauptet werden, für die Entscheidung des Gerichtes präjudiziell sind, das Gericht an eine bestimmte Auslegung zu binden und damit auf diese Weise der gerichtlichen Entscheidung indirekt vorzugreifen. Ein Mangel der Präjudizialität liege daher nur dann vor, wenn die zur Prüfung beantragte Bestimmung ganz offenbar nicht als eine Voraussetzung des gerichtlichen Erkenntnisses in Betracht kommen kann.
Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes ist es von vornherein ausgeschlossen, daß der Verwaltungsgerichtshof die von ihm angefochtenen Bestimmungen im Beschwerdeverfahren anzuwenden hätte. Die Frage, ob die beim Verwaltungsgerichtshof belangte Behörde im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt zu Recht entschiedene Sache angenommen und daher eine verfahrensrechtliche Entscheidung getroffen hat, ist nämlich unter dem Blickpunkt des §68 Abs1 AVG 1950 nicht anhand der einschlägigen materiellen Rechtsvorschriften, sondern ausschließlich aufgrund jener Rechtslage zu beantworten, die im Bescheid vom 22. Jänner 1990 rechtskräftig angenommen worden war. Wie schon der gedachte Fall einer materiell rechtswidrigen, jedoch in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung zeigt, kommt es nicht auf die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung tatsächlich gegebene Rechtslage an, sondern auf die von der Behörde rechtsirrig angenommene, auf die sie bei der Erledigung eines Begehrens auf neuerliche Sachentscheidung nach Art eines Tatbestandsmerkmales Bedacht zu nehmen hat (so schon VfSlg. 7999/1977).
Der Gesetzesprüfungsantrag des Verwaltungsgerichtshofes war sohin zurückzuweisen.
Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Rechtskraft Bescheid, res iudicataEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:G72.1991Dokumentnummer
JFT_10089070_91G00072_00