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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Mayer, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Juli 1993, Zl. 4.284.491/4-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein rumänischer Staatsangehöriger, ist am 15. Oktober 1989 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 16. Oktober 1989 beantragt, ihm Asyl zu gewähren. Die Berufung gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 7. Dezember 1990, mit dem festgestellt worden war, daß beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vorliegen, wurde von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen.
Bei der Ersteinvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 26. Oktober 1989 gab der Beschwerdeführer an, daß er der ungarischen Minderheit in Rumänien und der römisch-katholischen Kirche angehöre. Nach einem mißlungenen Fluchtversuch seines Bruders im Jahre 1986 sei ihm der Besuch der Schule für Schlosser verwehrt worden. Er hätte eine andere Schule besuchen müssen und habe eine Anstellung als Hilfsarbeiter in einem Stahlwerk bekommen. Er habe am 1. April 1989 erstmals versucht, nach Jugoslawien zu flüchten. Er sei dabei zehn Kilometer vor der Grenze von Soldaten aufgegriffen und zurückgestellt worden. Er habe in der Folge eine Geldstrafe erhalten und nach seiner Verurteilung wieder im Stahlwerk arbeiten können, sei aber in eine andere Abteilung versetzt worden. Wegen seines illegalen Versuches das Land zu verlassen, habe er sich einmal in der Woche bei der Miliz melden müssen. Nach einem Telefonat mit einem in der Bundesrepublik Deutschland aufhältigen Freund sei er von der Miliz vorgeladen, vernommen und dabei geschlagen worden. Am Arbeitsplatz habe er keine Prämien bekommen und von seinem Lohn seien ihm zehn Prozent abgezogen worden. Er habe unbezahlte Überstunden leisten müssen. Deshalb habe er sich zur Flucht entschlossen.
In der Berufung vertrat der Beschwerdeführer die Ansicht, er habe sein Land aus politischen und religiösen Gründen verlassen, und ersuchte, daß sein Antrag noch einmal daraufhin überprüft werde.
Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid im wesentlichen mit der Begründung ab, daß dem Vorbringen keine Umstände zu entnehmen seien, die den Tatbestand einer politischen Verfolgung darstellen würden. Eine Furcht vor einer im Sinne der Flüchtlingskonvention relevanten Verfolgung erscheine zumindest aus objektiver Sicht nicht begründbar. Sanktionen wegen eines Verstoßes gegen die den Grenzübertritt oder den Aufenthalt eines Staatsangehörigen im Ausland regelnden Vorschriften für sich alleine könnten keine Verfolgung aus den im Asylgesetz normierten Gründen darstellen. Die Nachteile, die der Beschwerdeführer seinen Angaben nach wegen seiner Zugehörigkeit zur ungarischen Minderheit sowie wegen des Fluchtversuches seines Bruders zu tragen gehabt habe, stellten keine derart gravierenden Eingriffe dar, um dem im Asylgesetz angesprochenen Sachverhalt zugrunde gelegt werden zu können. Bezüglich der Probleme nach einem Auslandstelefonat sei für die erkennende Behörde nicht ersichtlich, inwiefern dem Beschwerdeführer daraus heute noch irgendwelche weiteren Konsequenzen erwachsen könnten, da, ganz abgesehen vom erfolgten Umbruch in seiner Heimat, die Sache viel zu unbedeutend erscheine, um daraus sinnvollerweise einen über vier Jahre sich erhaltenden Verfolgungswillen des rumänischen Staates ableiten zu können. Weiters habe der Beschwerdeführer keine weiteren Maßnahmen erwähnt, die für ihn noch mit diesem Telefonat verbunden gewesen seien. Die Sache erscheine somit abgetan. Auch die vorgetragenen Benachteiligungen am Arbeitsplatz würden die für den Begriff der Verfolgung gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 erforderliche Eingriffsintensität nicht erreichen.
In seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Gewährung von Asyl gemäß § 2 Abs. 1 Asylgesetz 1991 bei Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft und in den durch die §§ 37 und 60 AVG gewährleisteten Rechten verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Da das Asylverfahren im vorliegenden Fall am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres anhängig war, war gemäß § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 dieses Gesetz anzuwenden.
Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, der Bescheid sei inhaltlich rechtswidrig, da er wegen seiner Zugehörigkeit zur ungarischen Minderheit verfolgt worden sei, was er auch in seiner Einvernahme angegeben habe. Er habe insbesondere darauf hingewiesen, daß er von staatlichen Stellen willkürlich festgenommen und mißhandelt worden sei.
Dieser Rüge des Beschwerdeführers kommt Berechtigung zu. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde in bezug auf das Argument, daß "die Sache selbst viel zu unbedeutend erscheint, um daraus sinnvollerweise einen über vier Jahre sich erhaltenden Verfolgungswillen des rumänischen Staates abzuleiten", ist unschlüssig. Sofern sich die Verhältnisse in einem Staat während des Asylverfahrens nicht in einer aus asylrechtlichen Sicht maßgeblichen Weise geändert haben, ist der unter Umständen gegebene Verfolgungswille des Heimatstaates in dem Zeitpunkt der Ausreise des Asylwerbers maßgeblich. Daß die belangte Behörde, in dem sie in einer Parenthese auf den "stattgehabten Umbruch" in Rumänien verweist, zutreffend von maßgeblich geänderten Verhältnissen in Rumänien ausgegangen ist, kann deshalb nicht angenommen werden, weil zu diesem Argument jegliche Feststellungen fehlen.
Weiters fehlen zu dem Argument der belangten Behörde, daß das Auslandstelefonat keine weiteren Folgen gehabt habe, insbesondere Sachverhaltsfeststellungen darüber, wann das Telefonat und die sich daran anschließenden behördlichen Maßnahmen stattgefunden haben. Aber selbst wenn die Maßnahmen, die die Miliz gegen den Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Auslandstelefonat gesetzt hat, der ausschlaggebende Anlaß für ihn waren, Rumänien zu verlassen, dann ist die Annahme "die Sache erscheine abgetan", nur dann schlüssig, wenn feststünde, daß dieses Telefonat bereits längere Zeit vor seiner Ausreise stattgefunden hätte. Auch ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Tatsachen die belangte Behörde die Auffassung vertreten konnte, daß die "Sache" (gemeint die Verhaftung, Einvernahme und Mißhandlungen nach dem Auslandstelefonat) "viel zu unbedeutend" sei. Dem Verwaltungsakt läßt sich nichts darüber entnehmen, welchen Inhalt die Einvernahme hatte und welcher Art die Mißhandlungen und ihre Folgen waren.
Die mangelnden Sachverhaltsfeststellungen und die aufgezeigte Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung stellen im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle aufzugreifende Verfahrensmängel dar. Durch die fehlenden Sachverhaltsfeststellungen ist der Verwaltungsgerichtshof an der ihm obliegenden nachprüfenden Kontrolle des Bescheides gehindert (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 1987, Zl. 86/01/0125). Es handelt sich dabei um relevante Verfahrensfehler, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Verfahrensfehler zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1993010951.X00Im RIS seit
20.11.2000