Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Zurückweisung einer Beschwerde gegen die behauptete Festnahme mangels eines tauglichen Beschwerdegegenstandes; kein Zwangscharakter der Aufforderung zum Mitkommen zum GendarmeriepostenSpruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1.1.1. EÖ begehrt in seiner mit Berufung auf Art144 (Abs1) B-VG an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, daß er in Langenlois/Niederösterreich durch eine (der Bezirkshauptmannschaft Krems zuzurechnende) Amtshandlung von Gendarmeriebeamten, nämlich seine am 19. Mai 1990, 11 Uhr 30, verfügte Festnahme und anschließende Anhaltung in Haft bis (nach) 18 Uhr desselben Tages, demnach durch Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nach Art8 StGG iVm Art5 EMRK verletzt worden sei.
1.1.2. Der Beschwerdeführer macht in der Beschwerdeschrift geltend, die Gendarmen hätten ihn am 19. Mai 1990 am Arbeitsplatz festgenommen und gezwungen, zum Gendarmerieposten mitzukommen, wo man ihn von 11 Uhr 30 bis 18 Uhr festgehalten habe (Beschwerdepunkt a)). Nach 18 Uhr sei er - schon auf dem Rückweg - (zwangsweise) dazu verhalten worden, das Postenkommando (vorübergehend) aufzusuchen, um einen Strafbetrag zu erlegen (Beschwerdepunkt b)).
1.2.1. Die Bezirkshauptmannschaft Krems als belangte Behörde erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift, in der sie das Vorliegen jedes nach Art144 Abs1 B-VG anfechtbaren Befehls- oder Zwangsaktes bestritt und die Abweisung, der Sache nach die Zurückweisung der Beschwerde beantragte.
1.2.2. Die belangte Behörde brachte in ihrer Gegenschrift vor, daß der Beschwerdeführer und zwei seiner Arbeitskollegen damals ersucht worden seien, die einschreitenden Beamten zum Gendarmerieposten zu begleiten; sie hätten zunächst die Arbeitskleidung abgelegt und sich gewaschen und seien dann freiwillig - zu Fuß - zur Dienststelle mitgegangen (Beschwerdepunkt a)). Bei der Aufforderung, zum Posten zurückzukehren, habe es sich ebenfalls um ein bloßes "Ersuchen" gehandelt, dem der Beschwerdeführer ohne weiteres nachgekommen sei (Beschwerdepunkt b)).
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1. Vorausgeschickt wird, daß dieses beim Verfassungsgerichtshof im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988, di. der 1. Jänner 1991 (Art8 Abs1 leg.cit.), bereits anhängig gewesene Verfahren (über eine Beschwerde gegen eine polizeiliche Festnahme und Anhaltung) kraft der Übergangsbestimmung des Art8 Abs4 des zitierten Verfassungsgesetzes sowie des ArtIX Abs2 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 (Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. 685/1988, nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen ist (s. dazu: ArtII des Bundesgesetzes vom 6. Juni 1990, BGBl. 329/1990).
2.2. Beweis wurde erhoben insbesondere durch zeugenschaftliche Vernehmung der Gendarmeriebeamten M H und K P, ferner des B A und des A M sowie des Beschwerdeführers als Partei:
Aufgrund dieser Beweismittel stellt der Verfassungsgerichtshof folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:
2.2.1. Am 18. und am 19. Mai 1990 arbeitete der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, zusammen mit anderen auf einer Baustelle der Firma E Bau GmbH in Langenlois, Kasernstraße 12. Dort wurden er und zwei weitere Arbeiter dieses Unternehmens (B A und A M) am 18. Mai 1990 von den Gendarmeriebeamten M H und K P zur Ausweisleistung verhalten. Da sich in der Folge herausstellte, daß der Beschwerdeführer und seine beiden Kollegen an den von ihnen angegebenen Adressen nicht gemeldet waren, forderten die Beamten die drei Männer am nächsten Tag - wieder am Arbeitsplatz - auf, mit ihnen zum Gendarmerieposten zu kommen. Dort wurde der Beschwerdeführer von einem Organ der Bezirkshauptmannschaft Krems gemäß §3 Abs1, §5 Abs1 und §6 Abs1 iVm §16 Z1 MeldeG bestraft (300 S, Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden). Er verließ daraufhin den Posten, wurde aber zur Rückkehr aufgefordert, um die Geldstrafe zu zahlen oder den Zahlschein zu übernehmen.
2.2.2. Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich zunächst auf die Zeugenaussagen der Gendarmeriebeamten M H und K P, die glaubhaft bekundeten, daß die drei Beschäftigten freiwillig zur Gendarmeriedienststelle mitgegangen seien: Weder sei eine Festnahme ausgesprochen noch jemand zum Mitkommen gezwungen worden; der Beschwerdeführer habe ausreichend deutsch gesprochen, um sich mit ihnen zu verständigen. Damit im wesentlichen übereinstimmend deponierte der Zeuge B A glaubwürdig, daß er und seine Kollegen - so auch der Beschwerdeführer - den Beamten freiwillig zum Gendarmerieposten gefolgt seien (Beschwerdepunkt a)). Zum Beschwerdepunkt b) gab der Zeuge P - der Zeuge H war bei dem Vorfall nicht anwesend - an, daß auch zu dieser Zeit von einer Festnahme keine Rede gewesen sei, er habe bloß ein Ersuchen (zum Posten zurückzukommen) ausgesprochen.
Das Beweisverfahren erbrachte keine Hinweise, daß die Beamten dem Beschwerdeführer die Festnahme auch nur angedroht hätten, um ihn zum Mitkommen zu bewegen.
2.3.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF vor der Nov. BGBl. 685/1988 erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies auf sicherheitsbehördliche Befehle zutrifft, die durch die Androhung unmittelbar folgenden physischen Zwangs sanktioniert sind (VfSlg. 8689/1979, 9922/1984 uam.).
2.3.2. Zu einer Festnahme des Beschwerdeführers kam es nach den Verfahrensergebnissen nicht (s. Abschnitte 2.2.1. und 2.2.2.). Daher bleibt zu prüfen, ob in den - eingangs festgestellten - Aufforderungen (Ersuchen), der Beschwerdeführer möge zum Posten mitkommen, ein "Befehl" iSd Art144 B-VG zu erblicken ist:
Unverzichtbares Inhaltsmerkmal eines verfahrensfreien Verwaltungsaktes in der Erscheinungsform eines - alle Voraussetzungen des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF vor der Nov. BGBl. 685/1988 erfüllenden - "Befehls", dh. der "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt", bildet der Umstand, daß dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Dies traf hier - angesichts des erwiesenen Sachverhalts - nicht zu. Die mit der vorliegenden Beschwerde bekämpften Aufforderungen der Gendarmeriebeamten stellten sich vielmehr unter voller Berücksichtigung aller Begleitumstände nur als "Einladung" dar, die der Beschwerdeführer nach eigenem Gutdünken unerfüllt lassen konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, daß er deshalb unverzüglich ("unmittelbar") - das ist jedenfalls ohne Dazwischentreten weiterer Verwaltungsakte (so etwa der konkreten formalen Androhung der sofortigen Festnahme, wenn der erteilte Befehl unbefolgt bliebe) - physischem (Polizei-)Zwang unterworfen werde, um den gewünschten Zustand herzustellen.
Eine derartige, den Charakter eines schlichten "Ansinnens" tragende formlose Enuntiation entbehrt jedoch nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (s. VfSlg. 8688/1979, 9457/1982, 9922/1984, 11.568/1987, 11.878/1988 uam.) des individuell-normativen Inhalts, wie ihn die Bestimmung des Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF vor der Nov. BGBl. 685/1988 zwingend verlangt.
2.4. Da es allein schon aus diesem Grund an einem tauglichen Beschwerdegegenstand fehlt, war die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren getroffen werden.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, FestnehmungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:B782.1990Dokumentnummer
JFT_10089070_90B00782_00