Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung des §39 StGB; Möglichkeit der Geltendmachung von Bedenken im Zuge eines Rechtsmittelverfahrens beim Gericht zweiter Instanz; Abweisung des Antrags auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen Aussichtslosigkeit.Spruch
1. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
2. Die Eingabe wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
1. In seiner auf Art139, Art140, Art142 und Art144 B-VG gestützten Eingabe begehrt der nicht durch einen Rechtsanwalt vertretene Einschreiter, "der Verfassungsgerichtshof möge den §39 StGB als verfassungswidrig rückwirkend aufheben" und "in der Individualüberprüfung die unrechtmäßige Anwendung des §39 StGB in (s)einem Fall überprüfen und dessen Anwendung aufheben".
Dazu führt der Einschreiter aus, daß er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4. Juni 1987, Z Hv 1837/87, unter Anwendung des §39 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden sei. Durch die Anwendung des §39 leg.cit. werde er in seinen Rechten verletzt, weil diese Bestimmung rechtswidrig sei. Diese Auffassung sei bereits des öfteren in Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes kundgetan worden, bewirke sie doch eine zweifache Bestrafung eines Tatbildes.
Des weiteren beantragt der Einschreiter die Bewilligung der Verfahrenshilfe.
2. §39 StGB lautet wie folgt:
"§39. (1) Ist der Täter schon zweimal wegen Taten, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden und hat er diese Strafen wenigstens zum Teil, wenn auch nur durch Anrechnung einer Vorhaft oder der mit dem Vollzug einer vorbeugenden Maßnahme verbundenen Freiheitsentziehung, verbüßt, so kann, wenn er nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres neuerlich aus der gleichen schädlichen Neigung eine strafbare Handlung begeht, das Höchstmaß der angedrohten Freiheitsstrafe oder Geldstrafe um die Hälfte überschritten werden. Doch darf die zeitliche Freiheitsstrafe die Dauer von zwanzig Jahren nicht überschreiten.
(2) Eine frühere Strafe bleibt außer Betracht, wenn seit ihrer Verbüßung bis zur folgenden Tat mehr als fünf Jahre vergangen sind. In diese Frist werden Zeiten, in denen der Verurteilte auf behördliche Anordnung angehalten worden ist, nicht eingerechnet. Ist die Strafe nur durch Anrechnung einer Vorhaft verbüßt worden, so beginnt die Frist erst mit Rechtskraft des Urteils."
3. Es kann dahingestellt bleiben, ob die vorliegende Eingabe als Beschwerde gemäß Art144 B-VG zu werten ist, in der eine amtswegige Prüfung des §39 StGB anregt wird, und/oder ob der Einschreiter - gestützt auf Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG - einen (Individual-)Antrag auf Aufhebung des §39 leg.cit. stellt, weil die Eingabe in jedem Fall unzulässig ist.
3.1. Sollte der Einschreiter gegen das unter 1. zitierte Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien Beschwerde gemäß Art144 B-VG führen, ist diese deshalb unzulässig, weil sie sich gegen eine gerichtliche Entscheidung wendet.
Gemäß Art144 Abs1 B-VG idF der Novelle BGBl. Nr. 685/1988 erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen letztinstanzliche Bescheide.
Weder Art144 B-VG noch eine andere Rechtsvorschrift räumt dem Verfassungsgerichtshof jedoch die Zuständigkeit ein, gerichtliche Entscheidungen aufgrund einer an ihn gerichteten Beschwerde zu überprüfen.
3.2. Aber auch ein sog. Individualantrag gemäß Art140 (Abs1 letzter Satz) B-VG ist im gegenständlichen Fall unzulässig.
Voraussetzung der Antragslegitimation nach Art140 B-VG ist nämlich, daß die bekämpfte Gesetzesstelle für den Antragsteller nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist (vgl. VfSlg. 8009/1977, 11315/1987). Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüberhinaus erforderlich, daß der Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar durch das Gesetz selbst tatsächlich erfolgt ist, daß dieser Eingriff nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, daß die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden und daß dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (vgl. VfSlg. 9724/1983, 11315/1987).
Dem Einschreiter stand ein solcher Weg zur Verfügung. Er hätte im Zuge eines Rechtsmittelverfahrens beim Gericht zweiter Instanz seine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des §39 StGB geltend machen können. Gemäß Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG ist ein Rechtsmittelgericht, sofern es - gleich dem Antragsteller - Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des anzuwendenden Gesetzes hegen sollte, zur entsprechenden Anrufung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet (vgl. VfSlg. 8552/1979, 9394/1982, 11248/1987). Auch ein Individualantrag ist daher nicht zulässig; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter des Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (VfSlg. 8312/1978, 8594/1979, 9583/1982, 10251/1984, 11315/1987).
4. Damit erweist sich die vom Einschreiter angestrebte Rechtsverfolgung in jedem Falle als offenbar aussichtslos, sodaß sein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gemäß §63 Abs1 ZPO iVm §35 VerfGG abzuweisen und die Eingabe gleichzeitig wegen offenbarer Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes bzw. wegen Fehlens der Antragslegitimation gemäß §19 Abs3 Z2 lita und e VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen war.
Schlagworte
VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:G235.1991Dokumentnummer
JFT_10089070_91G00235_00