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10 VerfassungsrechtNorm
VfGG §33Leitsatz
Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unrichtiger RechtsmittelbelehrungSpruch
Die Wiedereinsetzung in der vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 20. November 1990, Z SV - 1341/2 - 1990, wird bewilligt.
Begründung
Begründung:
I. 1. a) Die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten hat mit Bescheid vom 27. März 1990 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Befreiung von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung zufolge der Tätigkeit als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft gemäß ArtVI Abs2 der 37. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) abgelehnt.
b) Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin Einspruch erhoben. Der Landeshauptmann von Oberösterreich hat mit Bescheid vom 20. November 1990, Z SV - 1341/2 - 1990, dem Einspruch keine Folge gegeben. Der Bescheid enthielt die Rechtsmittelbelehrung, daß gegen diese Entscheidung gemäß §415 ASVG die binnen zweier Wochen nach Zustellung beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung schriftlich oder telegraphisch einzubringende Berufung an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zulässig sei.
2. Entsprechend dieser Rechtsmittelbelehrung erhob die Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich Berufung; diese wurde vom Bundesminister für Arbeit und Soziales mit Bescheid vom 25. Juni 1991, Z120.639/2-7/91, als unzulässig zurückgewiesen. In der Begründung wird ausgeführt, daß gemäß §415 ASVG die Berufung an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gegen Bescheide des Landeshauptmannes in den Fällen des §413 Abs1 Z1 ASVG (Entscheidungen des Landeshauptmannes über Einsprüche gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen) nur zustehe, wenn über die Versicherungspflicht oder die Berechtigung zur Weiter- oder Selbstversicherung entschieden worden sei. Gemäß ArtVI Abs2 der 37. Novelle zum ASVG seien die im §4 Abs3 Z10 ASVG genannten Personen (Vorstandsmitglieder oder Geschäftsleiter von Aktiengesellschaften, Sparkassen, Landeshypothekenbanken sowie Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit und hauptberufliche Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsleiter von Kreditgenossenschaften), die vor dem 1. Jänner 1982 das 50. Lebensjahr vollendet haben und am 31. Dezember 1981 noch nicht zur Pflichtversicherung angemeldet waren, von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung zu befreien, wenn ein diesbezüglicher Antrag innerhalb eines Jahres bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten gestellt werde. Gegenstand einer Entscheidung nach ArtVI Abs2 der 37. Novelle zum ASVG sei somit ein Befreiungsantrag eines in der Pensionsversicherung nach dem ASVG Pflichtversicherten, nicht jedoch die Versicherungspflicht selbst; diese und Ausnahmen von ihr seien nur Tatbestandsvoraussetzungen für die beantragte Befreiung von der Pflichtversicherung. Da gemäß §415 ASVG und nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Rechtszug an den Bundesminister für Arbeit und Soziales hinsichtlich einer Entscheidung des Landeshauptmannes über einen Befreiungsantrag nicht zustehe, sei die Berufung als unzulässig zurückzuweisen.
Der Zurückweisungsbescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales wurde der Beschwerdeführerin am 4. Juli 1991 zugestellt.
3. Mit dem vorliegenden Antrag wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich begehrt. Zugleich mit dem Antrag wird die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde eingebracht, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides (in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof) beantragt wird.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den Wiedereinsetzungsantrag erwogen:
1. Nach §33 VerfGG kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist in den Fällen des Art144 B-VG bewilligt werden. Eine näherer Regelung dieses Rechtsbehelfes enthält das Verfassungsgerichtshofsgesetz nicht. Es sind daher gemäß §35 Abs1 VerfGG die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung (ZPO) sinngemäß anzuwenden.
Nach §146 Abs1 ZPO ist das Vorliegen eines unvorgesehenen oder unabwendbaren Ereignisses Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Im Beschluß VfSlg. 4536/1963 hatte sich der Verfassungsgerichtshof mit der Frage zu befassen, ob eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung, die denjenigen, der im Vertrauen auf sie die Frist zur Einbringung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof versäumt, an der rechtzeitigen Vornahme dieser Prozeßhandlung hindert, für den Betroffenen ein unvorhergesehenes Ereignis darstellt. Damals hat der Verfassungsgerichtshof ausgeführt, daß er bei der Auslegung der entsprechenden Bestimmungen der ZPO auf die von der Gesetzgebung vorgenommenen Wertungen unrichtiger Rechtsmittelbelehrungen zu rekurrieren hat. Dies nötige zum Schluß, daß die Unrichtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung für die Partei ein unvorhergesehenes Ereignis darstelle und daß das Vertrauen auf die Richtigkeit der bekanntgegebenen Rechtsmittelbelehrung der Partei nicht als Verschulden angerechnet werden könne (vgl. auch VfSlg. 7566/1975, 8785/1980, 8874/1980, 9143/1981).
Daraus ergibt sich, daß einer Partei, die im Vertrauen auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung dieser entsprechend rechtzeitig Berufung ergriffen hat und erst durch den ihr Rechtsmittel als unzulässig zurückweisenden Bescheid Kenntnis von der Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung erhalten hat, wenn die übrigen Voraussetzungen gegeben sind, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist zu bewilligen ist (vgl. VfSlg. 7566/1975, VfSlg. 9143/1981).
2. Gemäß §415 ASVG steht die Berufung an den Bundesminister für Arbeit und Soziales gegen Bescheide des Landeshauptmannes in den Fällen des §413 Abs1 Z2 ASVG allgemein, in den Fällen des §413 Abs1 Z1 leg.cit. (Entscheidungen über Einsprüche gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen) jedoch nur zu, wenn über die Versicherungspflicht oder die Berechtigung zur Weiter- bzw. Selbstversicherung entschieden worden ist.
Im vorliegenden Fall hat der Landeshauptmann als Rechtsmittelbehörde über den Einspruch gegen einen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten entschieden, mit dem über die Befreiung von der Pflichtversicherung gemäß ArtVI Abs2 der 37. Novelle zum ASVG, nicht jedoch über die Pflichtversicherung der Beschwerdeführerin selbst abgesprochen wurde. Mit anderen Worten: Gegenstand der Entscheidung des Landeshauptmannes war nur die Frage, ob dem auf ArtVI Abs2 der 37. Novelle zum ASVG gestützten Antrag der Beschwerdeführerin auf Befreiung von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG zu Recht vom Sozialversicherungsträger nicht entsprochen wurde. Der Instanzenzug war daher gemäß §415 ASVG erschöpft (vgl. VwGH vom 12.2.1982, Z81/08/0014, vom 10.11.1983, Z82/08/0042 und vom 20.11.1986, Z83/08/0235).
Die im Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich enthaltene Rechtsmittelbelehrung war daher unzutreffend. Die Beschwerdeführerin, die im Vertrauen auf die Rechtsmittelbelehrung Berufung eingebracht hat, wurde erst durch den diese Berufung zurückweisenden Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales von der Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung in Kenntnis gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist für die Einbringung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid des Landeshauptmannes schon abgelaufen.
3. Durch dieses - im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. II.1.) unvorhergesehene und unverschuldete - Ereignis wurde die Beschwerdeführerin an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung, nämlich der Einbringung der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, gehindert, was den Rechtsnachteil des Ausschlusses von dieser Prozeßhandlung zur Folge hatte.
Die Beschwerdeführerin hat den Wiedereinsetzungsantrag am 18. Juli 1991 zur Post gegeben. Sie hat diesen Rechtsbehelf somit gemäß §125 Abs1 ZPO binnen 14 Tagen nach Zustellung des zurückweisenden Bescheides des Bundesministers (s. I.2.) und daher binnen 14 Tagen ab Kenntnis der Unzulässigkeit der Berufung eingebracht (§148 Abs2 ZPO). Da sie auch unter einem die versäumte Beschwerde nachgeholt hat (§149 Abs1 ZPO), war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §146 Abs1 ZPO iVm §35 VerfGG Folge zu geben.
Schlagworte
VfGH / Wiedereinsetzung, RechtsmittelbelehrungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1991:B826.1991Dokumentnummer
JFT_10089070_91B00826_00