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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Büsser, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Beschwerdeentscheidung) der FLD für Wien, NÖ und Bgld als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom 20. September 1989, Zl. GA 10-498/89, BS I-37/89, betr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Berufung gegen ein Finanzstraferkenntnis, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Erkennntnis der Finanzstrafbehörde erster Instanz (Spruchsenat) vom 26. Februar 1988 wurde der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Firma G-GmbH der teils vollendeten, teils versuchten Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 und § 33 Abs. 2 lit. a FinStrG schuldig gesprochen.
Eine Ausfertigung dieses Erkenntnisses wurde dem Beschwerdeführer am 28. April 1988 zugestellt und von ihm persönlich übernommen. Am 26. Mai 1988 langte bei der Finanzstrafbehörde erster Instanz ein auf Geschäftspapier der Firma G-GmbH verfaßtes, mit 25. Mai 1988 datiertes und vom Beschwerdeführer unterfertigtes Schreiben ein. Darin wurde beantragt, die Frist zur Einbringung einer Berufung bis zum 26. Juni 1988 zu erstrecken, da es dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen bisher nicht möglich gewesen sei, einen rechtskundigen Berater ausfindig zu machen. Die Finanzstrafbehörde wies das Ansuchen mit der Begründung ab, bei der einmonatigen Rechtsmittelfrist des § 150 Abs. 2 FinStrG handle es sich um eine gesetzliche Frist, die gemäß § 110 Abs. 1 BAO nicht verlängerbar sei.
Mit Eingabe vom 29. Juni 1988 (eingelangt am 4. Juli 1988) stellte ein vom Beschwerdeführer bevollmächtigter Rechtsanwalt u. a. den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gegen das Erkenntnis vom 26. Februar 1988. Der Beschwerdeführer sei im Zustellungszeitpunkt nicht voll handlungsfähig gewesen, sodaß die Zustellung bereits an einem Nichtigkeitsgrund leide. Aufgrund schwerer Kriegsverletzungen stünde der Beschwerdeführer in neurologischer Behandlung. Darüber hinaus sei er den "überwiegenden Zeitraum eines Kalenderjahres an das Bett gefesselt"; so auch im Zeitraum zwischen "ca."
25. April 1988 und 8. Juni 1988. Er müsse Medikamente nehmen, sei schwerst zuckerkrank und weise eine Blutsenkung von etwa 80 zu 140 auf. Im Zusammenhang mit den dadurch auftretenden schweren Benommenheitszuständen sei der Beschwerdeführer im Zustellungszeitraum, jedenfalls bis 8. Juni 1988 nicht "diskretions- bzw. dispositionsfähig bzw. nur teilweise diskretions- bzw. dispositionsfähig" gewesen. Der zufällig anwesende S habe den Fristverlängerungsantrag zur Post gebracht. Tatsächlich sei an diesem Tag aber auch bereits eine Berufung vorbereitet gewesen, welche irrtümlicherweise bzw. ohne Verschulden des Beschwerdeführers und unvorhergesehen nicht abgesandt worden sei. "Auf wen konkret" der Fristverlängerungsantrag zurückzuführen sei, könne er "nicht ausdrücklich vorbringen". Weiters wurde in der Eingabe Berufung gegen das Straferkenntnis erhoben.
Mit Bescheid vom 19. Oktober 1988 wies die Finanzstrafbehörde erster Instanz den Wiedereinsetzungsantrag ab. Eine Nichtigkeit des Zustellvorganges sei nicht zu erkennen, da der Beschwerdeführer den Zustellschein eigenhändig unterschrieben habe. Was den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers anlange, liege ein Gutachten des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Wien vom 4. Februar 1988 vor. Dieses sei vom Landesgericht für Strafsachen Wien deshalb in Auftrag gegeben worden, weil der Beschwerdeführer auch in einem dort anhängigen Verfahren behauptet habe, haft- und verhandlungsunfähig zu sein. Nach dem Ergebnis dieser Untersuchung bestehe beim Beschwerdeführer kein lebensbedrohender Zustand und könne auch keine Gesundheitsverschlechterung eintreten. Der Beschwerdeführer sei in der Lage, an einer Verhandlung teilzunehmen, unter der Voraussetzung, daß er in sitzender Haltung einvernommen werde und bei Ermüdung Pausen zugestanden würden; er sei auch voll haftfähig, da sein Zustand lediglich eine medikamentöse Behandlung erfordere. Folglich bestünde kein Anlaß daran zu zweifeln, daß der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Zustellung des Erkenntnisses voll handlungsfähig gewesen sei. Sein Gesundheitszustand hätte es ihm jedenfalls erlaubt, mit dem steuerlichen Vertreter der Firma G-GmbH, als deren Geschäftsführer er bestraft worden sei, in Verbindung zu treten und diesen mit der fristgerechten Einbringung der Berufung zu beauftragen. Auch sei zu beachten, daß es dem Beschwerdeführer möglich gewesen sei, ein Fristverlängerungsansuchen rechtzeitig einzubringen. Der Beschwerdeführer widerspreche sich selbst, wenn er vorbringe, eine Berufung sei bereits fertiggestellt gewesen. Im übrigen habe er die angeblich vorbereitete Berufung dem Wiedereinsetzungsantrag nicht beigelegt und auch nicht angegeben, warum diese nicht zur Post gebracht worden sei.
In der dagegen erhobenen Administrativbeschwerde brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, er habe dem Steuerberater der G-GmbH niemals Vollmacht erteilt und sei daher im fraglichen Zeitraum nicht vertreten gewesen. Das Fristverlängerungsansuchen trage zwar seine Unterschrift, doch sei dafür blanko unterschriebenes Briefpapier verwendet worden, welches er stets vorsorglich zuhause bereit halte. Warum die fertiggestellte Berufung nicht aufgegeben worden sei, entziehe sich aufgrund der geschilderten Diskretions- und Dispositionsunfähigkeit seiner Kenntnis. Doch müßten diese Umstände von der Behörde gemäß § 114 und § 115 FinStrG von Amts wegen erhoben werden.
Dem Rechtsmittel angeschlossen war eine ärztliche Bestätigung vom 2. Dezember 1988 folgenden Inhaltes:
"Über Verlangen meines Patienten (=Beschwerdeführer) ... bestätige ich - auf Grund meiner ärztlichen Aufzeichnungen -, daß der Patient am 28. März 1988 an - vertebragen ausgelösten - Drehschwindelanfällen erkrankte und in den folgenden Wochen nahezu ständig bettlägerig war. In dieser Zeit deutliche Verschlechterung der diabetischen Stoffwechsellage. In der Zeit vom 28. März 1988 bis etwa 12. Juni 1988 war der Patient weder dispositons- noch diskretionsfähig."
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerde unter Hinweis auf die Ausführungen des Spruchsenates keine Folge gegeben. Insbesondere wurde - allerdings zu Unrecht - darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer "die gemäß § 167 Abs. 3 FinStrG geforderte gleichzeitige Nachholung der versäumten Handlung mit seinem Wiedereinsetzungsantrag nicht erfüllt hat." Die beantragten Beweisaufnahmen lehnte die Finanzstrafbehörde zweiter Instanz ab, da das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nicht von Amts wegen zu erforschen sei, sondern der Wiedereinsetzungswerber den diesbezüglichen Sachverhalt glaubhaft zu machen habe.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, mit
dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 167 Abs. 1 FinStrG ist u.a. gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag des Beschuldigten eines anhängigen oder abgeschlossenen Finanzstrafverfahrens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn der Antragsteller durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet und glaubhaft macht, daß er durch ein unvorgesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß dem Beschuldigten ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers im Wiedereinsetzungsantrag gesteckt wird (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1990, 90/15/0134 und die dort angeführte Vorjudikatur).
Wie im Administrativverfahren macht der Beschwerdeführer auch vor dem Verwaltungsgerichtshof seine "Dispositions- und Diskretionsunfähigkeit" im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bzw. während der Berufungsfrist als Wiedereinsetzungsgrund geltend. Er wirft der belangten Behörde vor, die zum Beweis für seinen schlechten Gesundheitszustand angebotenen Beweise nicht erhoben zu haben.
Der Beschwerdeführer nimmt mit diesem Vorbringen offensichtlich Bezug auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Danach bildet eine die Dispositionsfähigkeit völlig ausschließende Krankheit einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 6. Februar 1989, 88/10/0132; vom 7. Oktober 1985, 85/15/0294, 0295; vom 19. Mai 1983, 83/15/0025-0027).
Dispositionsunfähigkeit liegt dann vor, wenn jemand außerstande ist, als notwendig erkannte Handlungen fristgerecht zu setzen.
Nach Meinung des Beschwerdeführers wurde er zu Unrecht wegen eines Finanzvergehens bestraft. Aus dieser Sicht war eine Berufung gegen das Erkenntnis des Spruchsenates geboten. Es stellt sich somit die Frage, ob der Beschwerdeführer aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes bereits im fraglichen Zeitraum diese Einsicht gewinnen und in die Tat umsetzen konnte.
Im allgemeinen wird eine Antwort darauf anhand medizinischer Befunde und hievon abgeleiteter ärztlicher Schlußfolgerungen zu finden sein. Dabei genügt es zunächst, wenn der Wiedereinsetzungswerber den behandelnden Arzt namhaft macht und dieser die Dispositionsunfähigkeit bestätigt. Erscheint die ärztliche Aussage nicht schlüssig begründet, hat die Behörde dem Wiedereinsetzungswerber dies vorzuhalten und ihm so Gelegenheit zu geben, ein fundiertes Gutachten vorzulegen.
Der Beschwerdefall ist jedoch insoweit anders gelagert, als die belangte Behörde an der Handlungsfähigkeit des Wiedereinsetzungswerbers keinen Zweifel hegen mußte, da der Beschwerdeführer innerhalb der Berufungsfrist durch Einbringung eines Fristverlängerungsansuchens TATSÄCHLICH GEHANDELT hat. Dispositionsfähigkeit im oben definierten Sinn zeigt sich nämlich auch an rechtlich verfehlten Schritten. Aus dem Schreiben vom 25. Mai 1988 ergibt sich, daß der Beschwerdeführer alle relevanten Umstände (Bestrafung, Berufungsmöglichkeit, Notwendigkeit der Fristwahrung) ERKANNT HAT UND IN DER LAGE WAR, AN DIE BEHÖRDE HERANZUTRETEN. In diesem Zusammenhang ist ohne Belang, ob der Fristverlängerungsantrag vom Beschwerdeführer am angegebenen Tag unterfertigt wurde oder blanko unterschriebenes Geschäftspapier Verwendung fand. In jedem Fall konnte der Beschwerdeführer - möglicherweise aufgrund besonderer Vorsorge und durch Unterstützung dritter Personen - seinen Willen der Finanzstrafbehörde gegenüber kundtun.
Damit ist der Beschwerdefall aber bereits entschieden. Durfte die belangte Behörde nämlich von der Dispositionsfähigkeit des Beschwerdeführers ausgehen, war der Wiedereinsetzungsantrag schon deshalb abzuweisen, weil der behauptete Wiedereinsetzungsgrund nicht vorlag. Das Vorbringen, der Beschwerdeführer sei im Finanzstrafverfahren entgegen der behördlichen Annahme nicht (durch den Steuerberater der G-GmbH) vertreten gewesen, vermag der Beschwerde folglich ebensowenig zum Erfolg zu verhelfen, wie der Umstand, daß die versäumte Handlung (die Berufung) gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt wurde.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1994:1990130004.X00Im RIS seit
20.11.2000